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Szene aus "Enter Achilles".

© Hugo Glendinning

Ballet Rambert in Berlin: Männliches Gehabe und nationalistische Tiraden

Schonungsloser Blick in die männliche Psyche: Das Ballet Rambert gibt bei den Berliner Festspielen ein Revival des Hooligan-Stücks „Enter Achilles“.

Von Sandra Luzina

Lloyd Newson zählt zu den einflussreichsten Choreografen Großbritanniens. Der aus Australien stammende Wahlbrite hat sich Zeit seines Lebens für Gay-Rights engagiert. Auch in den Stücken seiner gefeierten Company DV8 Physical Theatre hat er sich mit Homophobie, Misogynie und Intoleranz auseinandergesetzt. DV8 sind mittlerweile Geschichte, Newson hat die Company 2015 aufgelöst.

Insofern ist es ein Glücksfall, dass das Ballet Rambert ihn gebeten hat, seinen Klassiker „Enter Achilles“ von 1995 neu zu inszenieren. Denn das Stück, das die Verquickung von toxischer Männlichkeit und Nationalismus thematisiert, bleibt aktuell. Die Gewaltexzesse von Hooligans in britischen Fußballstadien waren einer der Anlässe für das Stück. Einige Tänzer in dem Revival von „Enter Achilles“ im Haus der Berliner Festspiele haben sich den Hooligan-Look perfekt angeeignet.

Acht Männer aus der working class treffen sich in einem Pub, der hier eine schäbige Bretterbude ist. Im Fernseher läuft ein Fußballspiel, kurz wird ein Rechtspopulist bei seinen Hetzreden gezeigt. Später schmücken zwei der Männer die Kneipe mit Wimpeln der englischen Flagge. Und Ian, der mit Glatze und schwarzer Kluft besonders bedrohlich wirkt, ergießt sich in rassistischen und nationalistischen Tiraden.

Performer hier die exerzieren Männlichkeitsrituale durch

In dem Pub bleiben die Männer unter sich. Die Kneipe wirkt wie ein Verstärker für dumpfe Verhaltensweisen. Saufen und raufen: Wie die Performer hier die Männlichkeitsrituale durchexerzieren, hat eine große Komik. Immer wieder messen die Männer sich miteinander: Sei es beim Kampftrinken oder Absolvieren von Liegestützen. Mit dem Bierglas in der Hand tanzen die Buddies zu bekannten britischen Popsongs, auch dies ist eine Form der Verbrüderung.

Wie Newson aus rempelnden Bewegungen akrobatische Duette mit Sprüngen und Lifts entwickelt, ist überaus gekonnt. Der Choreograf hat die männlichen Codes genau studiert. Beim Rumkumpeln ist Körperkontakt erlaubt, doch es gibt eine unsichtbare Grenze. Wenn der rothaarige Nelson die Spice Girls parodiert, finden das alle lustig. Wenn er später in seinen Tanz zu viele Emotionen legt, wird er schief angeschaut.

Männlichkeit ist hier gleichbedeutend mit Härte und emotionalen Analphabetismus. Jede Abweichung vom traditionellen Männerbild wird als Schwäche bestraft. In diese Heten-Clique platzt ein Außenseiter. Der fabelhafte Miguel Fiol Duran verkörpert den schwulen Mann. Er sieht anders aus, tanzt anders – nämlich anmutiger. Rasch wird er von der Gruppe bedrängt. Der schwule Mann wird aber nicht zum Opfer stilisiert. Wenn er sein Hemd auszieht und darunter sein Superman-Kostüm sichtbar wird, sorgt das für Gelächter.

Wunsch nach Zärtlichkeit

Duran fliegen die Zuschauerherzen zu. Er weiß nicht nur die Attacken elegant zu parieren, er mischt auch die Hetero-Horde auf – ohne übernatürliche Kräfte. Wenn er sich an einem Seil durch die Lüfte schwingt und einen der Männer hochzieht in diese andere Sphäre, dann ist das ein poetisches Gegenbild zu dem ruppigen Männergehabe auf dem Boden.

Der Prolog zeigt einen Mann, der mit einer Sexpuppe schäkert. Auch wenn die Szene albern wirkt, drückt sich darin der Wunsch nach Zärtlichkeit aus. Später wird die Plastikpuppe in einer Art Gruppenvergewaltigung zerstört. Die aufwühlende Szene zeigt, wie Misogynie und Schwulenfeindlichkeit zusammenhängen. Den Performern gelingt eine Gratwanderung: Eben noch amüsiert man sich über das Imponiergehabe der Männer, doch wenn sie sich zusammenrotten, wirken sie bedrohlich.

Furchtlos an die Männerfront

Lloyd Newson beleuchtet die Unsicherheiten und Aggressionen, die unter der Oberfläche brodeln. „Enter Achilles“ ist ein schonungsloser Blick in die männliche Psyche, deutet aber auch andere Möglichkeiten des männlichen Miteinanders an. Das 25 Jahre alte Stück lässt sich nicht nur mit der aktuellen Genderdebatte verknüpfen, es begeistert zudem durch seine genaue Figurenzeichnung und den großen Bewegungswitz. Zum Schluss gab es jubelnden Applaus für die tollen Performer, die sich so furchtlos an die Männerfront begeben.

Das Ballet Rambert zeigt noch eine weitere Produktion im Festspielhaus. „Aisha and Abhaya“ (11. bis 13.3., 20.00 Uhr) kombiniert Film, Animation, Tanz und Musik. Die gefeierte israelische Choreografin Sharon Eyal arbeitet erstmals mit dem britischen Filmemacher Kibwe Tavares zusammen.

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