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Autumn (Sidney Flanigan, re.) und ihre Cousine Skylar (Talia Rider) sind ohne Geld in New York gestrandet. Auf die Teenager wirkt die Metropole wie ein anderer Planet.

© Universal Eliza

Bärengewinner im Kino: „Niemals Selten Manchmal Immer“ zeigt das Drama der US-Abtreibungspolitik

Eliza Hittman erzählt in ihrem Film die Geschichte zweier junger Cousinen aus Pennsylvania. Sie begeben sich nach New York, um eine Abtreibungsklinik zu finden.

„He makes me do things I don’t wanna do“, so beginnt ein Song der Girlgroup The Exciters im fröhlichen Uptempo-60s-Beat. Die 17-jährige Autumn (Sidney Flanigan) hat ihn Song für einen Auftritt in ihrer Schule gewählt. Ungelenk steht sie mit Gitarre auf der Bühne, und in den sorglosen Zeilen über die Kraft der Liebe schwingt plötzlich etwas Bedrohliches mit: „He’s got the power / the power of love / over me“.

Dass der jungen Protagonistin im amerikanischen Indiedrama „Niemals Selten Manchmal Immer“ etwas Bedrohliches passiert ist, wird schnell klar. Autumn, die mit ihrer Cousine Skylar (Talia Rider) in einem Supermarkt im ländlichen Pennsylvania arbeitet, muss sich während der Arbeit übergeben.

Sie macht einen Schwangerschaftstest, später besucht sie ein sogenanntes Krisencenter: Das Personal teilt ihr glücklich mit, dass sie in der zehnten Woche sei – und zeigt ihr einen Anti-Abtreibungs-Film mit drastischen Beschreibungen. Denn dass das Kind ausgetragen werden muss, steht in der Beratungsstelle außer Frage: Zur Not könne sie es schließlich zur Adoption freigeben. Für einen Abbruch bräuchte ein Teenager in Pennsylvania ohnehin das Einverständnis der Eltern.

Doch die zurückhaltende Autumn, die Flanigan mit konzentrierter Stille spielt, sticht sich zu Hause mit einer heißen Nadel und Eiswürfeln ein Nasenpiercing – als ob „My body, my choice“ schon damit beginnt. Kurz darauf nimmt die eingeweihte Skylar Geld aus der Supermarktkasse, und die beiden Mädchen machen sich mit dem Bus auf den Weg nach New York, wo Abtreibungen legal sind.

Dort erwarten sie allerdings neue Hindernisse: In New York erfährt Autumn, dass sie bereits in der 18. Woche ist, die Prozedur wird darum zwei Tage dauern – und teurer sein. Doch die beiden jungen Frauen haben weder die Zeit noch das Geld.

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„In unserem Land werden Teenager-Schwangerschaften geradezu gefeiert, unter anderem mit Reality-Fernsehformaten wie ,Teen Mom‘“, erklärt die New Yorker Regisseurin Eliza Hittman auf der Berlinale im Februar, wo „Niemals Selten Manchmal Immer“ den Silbernen Bären gewann.

„Es ist irrsinnig, wie über die Mutterschaft gesprochen wird. Ich wollte eine Geschichte erzählen, in der etwas Dunkles geschehen ist, das die Protagonistin dazu bringt, es wieder ungeschehen zu machen.“

Hittman hat ihre sensible Coming-of-Age-Story als Plädoyer für die körperliche Selbstbestimmung von Frauen angelegt, ein Film mit Haltung, der dennoch nie polemisiert.

[In 14 Berliner Kino (auch OmU), OV: Rollberg]

Aus vorsichtigen Hinweisen lassen sich Autumns Drama und Trauma erahnen: Der Text des Exciters-Songs, die Reaktion eines Jungen im Publikum, das passiv-aggressive Verhalten des Freundes von Autumns Mutter (Sharon Van Etten).

Film dokumentiert eine echte Anti-Abtreibungs-Demonstration

Und ganz besonders die Szene, der der Film seinen Titel verdankt: Im New Yorker Beratungszentrum soll Autumn auf Fragen zu ihrer sexuellen Aktivität mit „niemals“, „selten“, „manchmal“ oder „immer“ antworten. Bei der Frage, ob ihr je gegen ihren Willen etwas angetan wurde, stockt sie. Und kämpft mit den Tränen.

Doch Hittman geht es nicht nur um augenscheinlich durch Gewalt herbeigeführte Schwangerschaften, sondern um die Situation an sich: „In unserem Land sind legale Abtreibungen prinzipiell sehr schwer zu bekommen, und es wird immer schwieriger. Ich kann nur hoffen, dass der nächste Präsident progressiver ist.“

Ihr Film dokumentiert auch eine echte, kirchlich organisierte Demonstration vor einer Abtreibungsklinik. An dieser Menschenmenge mit ihren Schildern von blutigen Embryos müssen Autumn und Skylar auf ihrem Weg ins Gebäude vorbei.

Indieregisseurin mit progressivem Blick. Eliza Hittman.
Indieregisseurin mit progressivem Blick. Eliza Hittman.

© Universal

Die stumme Innigkeit der Cousinen – und besten Freundinnen – ist eine weitere Stärke des Films. Man habe nur einen Tag zur Vorbereitung mit Flanigan und Rider, die beide noch nie vor der Kamera standen, gehabt, erzählt Hittman.

Sie habe ihnen sehr persönliche Fragen gestellt und sie gebeten, die Antworten zu notieren. „Dann habe ich sie allein gelassen, damit sie sich gegenseitig ihre Geheimnisse erzählen können. Denn das Wichtigste war, diese Verbindung zwischen den beiden herzustellen.“

Der Bund der Mädchen wird jedoch früh gestört. Schon auf dem Weg nach New York wird Skylar im Bus von Jasper (Théodor Pellerin) angesprochen. Man tauscht Kontakte aus, später wird sich herausstellen, dass Jasper den beiden eventuell helfen kann. Aber natürlich nicht ohne Gegenleistung.

„Frauen leben mit der allgegenwärtigen, ungewollten Aufmerksamkeit von Männern“, sagt Hittman, „sie müssen sich permanent dazu stellen.“ Jaspers ambivalentes Verhalten ist nur ein weiteres Glied in einer Kette von Beobachtungen, die das Verhältnis von Frauen und Männern in Bezug auf Körperlichkeit und Machtstrukturen betreffen.

New York ist eine komplizierte Stadt

Nebenbei zeigt die New Yorkerin Hittman, wie zwei junge Landeier die Ungastlichkeit der Metropole erleben. Das New York, das die französische Kamerafrau Hélène Louvart einfängt, ist keine Schneekugel mit Empire State Building und Central Park, kein Hipstertreff und kein Park-Avenue-Glamour.

Die Stadt besteht aus zugebauten U-Bahn-Aufgängen, schmuddeligen Straßen, anonymen Hauseingängen. „Ich wollte das auf keinen Fall romantisieren“, erklärt Hittman. „New York ist nicht besonders einladend, es ist eine komplizierte Stadt.“

Autumn, so viel darf verraten werden, schafft es jedenfalls, die für sich richtige Entscheidung zu treffen. Und Hittman lässt ihr und der Geschichte die nötige Distanz, um jeglicher Haltung den nötigen Respekt zu erweisen. Autumn ist am Ende nicht weniger maulfaul. Doch was passiert ist, wie es ihr damit geht und was sie davon erzählt, bleibt ihre eigene Entscheidung.

Kurz vor dem dritten Akt wird Sidney Flanigan, die wie ihre Figur Musikerin ist, noch ein weiteres Lied singen, diesmal in einer Karaokebox in einer weiteren ungastlichen Ecke von New York. Es ist „Don’t let the sun catch you crying“, eine Ballade von Gerry & the Pacemakers. In den Zeilen lässt sich nun durchaus etwas Tröstliches finden.

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