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Jasmina Kuhnke

© Marvin Ruppert

Autorin sah sich in Gefahr: Warum Jasmina Kuhnke die Frankfurter Buchmesse boykottiert

Die Frankfurter Buchmesse wollte ihr Comeback feiern. Doch nun sagten mehrere Autorinnen ihren Besuch wegen der Präsenz rechter Verlage ab.

Als der Direktor der Frankfurter Buchmesse Jürgen Boos vor ein paar Wochen in einem Interview mit dem SWR gefragt wurde, wie die Messe dieses Jahr mit rechten Verlage umgehe, antwortete er: „Solange diese nicht das Grundgesetz verletzen, werden wir auch politisch extreme Aussteller zulassen.“ Boos schloss noch an: „Ich habe den Eindruck, diese sind alle gerade sehr mit sich selbst beschäftigt. Wenn ich durch den Ausstellungskatalog blättere, sehe ich niemand, der mir da gerade auffällt aus diesem Spektrum."

Ob Boos zu flüchtig geschaut hat? Oder schlichtweg nicht wusste, dass ein paar rechte Verlage auch auf dieser Messe vertreten sind? Es sind dies der österreichische Karolinger Verlag, den Sigrid Löffler vor vielen Jahren schon als „Dunkelmännerverlag“ bezeichnet hatte; das Buchhaus Loschwitz der rechten Kreisen gern nahestehenden Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen, das am Gemeinschaftsstand der Unabhängigen Verlage seinen Platz gefunden hat und hier beispielsweise neben dem linksanarchistischen Karin Kramer Verlag seine Bücher ausstellt; und schließlich der von dem rechtsextremen Aktivisten Philip Stein geleitete Jungeuropa Verlag, der in der Halle 3.1. direkt neben dem Verdi Schriftstellerverband VS und gegenüber der Bühne des Blauen Sofas einen Stand hat.

Insbesondere die Präsenz des Jungeuropa Verlag hat nun dazu geführt, dass die 1982 in Hagen geborene TV-Autorin, Kolumnistin und Antirassismus-Streiterin Jasmina Kuhnke ihren Auftritt auf der Messe und die Vorstellung ihres Debütromans „Schwarzes Herz“ absagte. „Es ist also damit absehbar“, schrieb Kuhnke am Dienstag vor der Messeeröffnung auf Twitter unter Verweis auf den Jungeuropa-Stand, „dass über den Verlag und Autor*innen auch weitere Rechtsextreme die Messe besuchen werden, was die Gefahr für mich persönlich unübersehbar gegenwärtig macht.“ Und: „Selbstverständlich bedaure ich, dass mir nur das Mittel des Boykotts bleibt, um mich als Schwarze Frau zu schützen. Ich möchte den Verantwortlichen damit aufzeigen, dass die hier getroffene Entscheidung, Nazis den Raum zu bieten sich darzustellen, vor alle Konsequenzen für Betroffene wie mich hat.“ Kuhnkes Boykott beschert der Messe nun nach den Jahren 2017 und 2018 abermals ein Aufreger-Thema, das sie vermutlich bis Messe-Ende und darüber hinaus beschäftigen wird. „Es muss uns nicht gefallen, aber es muss möglich sein, weil Meinungsfreiheit für uns das höchste Gut ist“, erklärte Jürgen Boos schon auf der Eröffnungpressekonferenz zum Vorwurf Kuhnkes, die Anwesenheit der Rechten gefährde ihre Sicherheit. Und Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins sekundierte: „Es ist ein Konflikt, mit dem wir leben müssen. Das bildet die Gesellschaft ab.“

Am Mittwoch unterstrichen beide das in einer gemeinsamen Erklärung, auch was das Nicht-Zulassen rechter Verlage betrifft: „Das Verbot von Verlagen oder Verlagserzeugnissen obliegt in unserem Rechtsstaat den Gerichten, und nicht einzelnen Akteur*innen wie der Frankfurter Buchmesse.“

Verständlich sind Kuhnkes Befürchtungen, da sie schon im Frühjahr dieses Jahres von Rechten bedroht wurde und mit ihrer Familie deshalb umziehen musste. Ihr Auftritt am Freitagabend bei der ARD-Buchnacht und der Diskussionsrunde „Die Streiterinnen“ war nicht angekündigt worden, weil, so schrieb sie es auf Twitter, ihre Teilnahme „nur unter besonderen Schutzmaßnahmen“ möglich sei.

Es stellt sich die Frage, ob der Jungeuropa-Stand das Bedrohungspotential für Kuhnke noch einmal zusätzlich erhöht hat. Ob die Schriftstellerin mit ihrer Absage nicht schlichtweg eine Chance sah, ihrem Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung eine noch medienwirksamere Resonanz zu verschaffen, viel mehr, als es ihr Aufritt am Freitagabend vermocht hätte. Ihrem Boykott angeschlossen haben sich bislang die Tänzerin Nikeata Thompson und die Schauspielerin und Moderatorin Annabelle Mandeng, die ihre Bücher „Schwarz auf Weiß: Trau dich zu träumen und schaff das Unmögliche“ (Thompson) und „Umwege sind auch Wege: Vom Schwarzsein und anderen Abenteuern“ (Mandeng) vorstellen wollten, dazu der allseits bekannte Influencer Riccardo Simonetti. Der Comedian Bülent Ceylan überlegte, wie man hörte, ebenfalls seinen Auftritt am Freitag abzusagen, hat sich nun aber entschlossen anzureisen, um dann auf dem Blauen Sofa ein Zeichen zu setzen.

Was der Boykott diverser Autorinnen aber auch bewirkt: Im Fokus dieser Messe und ihrem sowieso etwas schlichten Alles-und-Nichts-Überthema „Wie wollen wir leben?“ stehen drei kleine, alles andere als bedeutende rechte Verlage, die nun wieder frohlocken ob der so unverhofften Publicity.

Der Weg führt also an diesem ersten Messetag als erstes an den Stand eben jenes Jungeuropa Verlags, an dem man in Bücher wie „Europa Power Brutal“, „Enklave“ oder Michel Onfrays „Theorie der Diktatur“ blättern kann. Der junge Mann im Rammstein-T-Shirt, der gerade Standdienst hat, heißt Volker Zierke und ist der Autor von „Enklave“. Während nebenan gerade Antje Rávik Strubel aus ihrem Buchpreis-Roman liest, sagt er, es sei hier an dieser Stelle besser als vor zwei Jahren „in der Sackgasse“, da der Jungeuropa Verlag erstmals bei einer Messe war und diese die rechten Verlage alle zusammen in einem Dead End der Halle 4 untergebracht hatte. Zierke erwartet „Aktionen“ gegen seinen Verlag an den Publikumstagen von Freitag an, und einen besonders unglücklichen Eindruck macht er darob nicht. Gerrit Bartels
 

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