zum Hauptinhalt
Die in Berlin lebende syrische Schriftstellerin Rasha Abbas im Hinterhof ihres Wohnhauses in Schöneberg.

© Doris Spiekermann-Klaas

Autorin Rasha Abbas kam aus Syrien nach Berlin: Kurzgeschichten über die seltsamen Deutschen

Von Damaskus nach Berlin: Ein Hausbesuch bei der Schriftstellerin Rasha Abbas, die in ihren Kurzgeschichten vom seltsamen Alltag ihres Gastlands erzählt.

Vielleicht muss sie noch etwas überschüssige Energie loswerden, jedenfalls läuft Rasha Abbas doch noch mal rein in die Küche. Die Sonne strahlt in den Schöneberger Hinterhof, als hätte es nie dunkle Wintertage gegeben. Und nun lässt Abbas sich wirklich draußen auf dem Stuhl nieder. „Wo ich mich zu Hause fühle? Ganz ehrlich? Hier, in Berlin, mehr als jemals irgendwo anders.“ Sie zündet sich ihre Zigarette an. Natürlich vermisst sie Damaskus. Immerhin hat sie dort 28 Jahre ihres Lebens verbracht. Aber hier kann sie in Frieden schreiben und durch die Straßen spazieren, wie es ihr gefällt. „Die Menschen sind so offen. Viele kommen von woanders und suchen hier ihr Glück. Ich fühle mich nicht fremd.“

Seit über zwei Jahren lebt die syrische Schriftstellerin in Deutschland. Nach Beginn des Bürgerkriegs in Syrien übersiedelte sie zunächst nach Beirut, dann gewährte man ihr ein Schreib-Stipendium in Stuttgart. Als das Visum nach drei Monaten ablief, kam sie nach Berlin, um Asyl zu beantragen.

Im Lageso begegnete sie plötzlich hunderten anderer Syrer. So viele Landsleute auf einem Fleck, das hatte sie nicht mehr erlebt, seitdem sie ihre Heimat verlassen hatte. In „Die Erfindung der deutschen Grammatik“, ihrem gerade erschienenen Kurzgeschichtenband, beschreibt sie die Situation und wie Schuldgefühle sie überkamen, weil sie legal und bequem per Flugzeug eingereist war. Es ist eine der wenigen Passagen im Buch, die etwas nach der Schwermut klingt, die man erwartet, wenn man als Deutsche das Buch einer Geflüchteten aufschlägt.

Behördengänge stellt man sich am besten als Computerspiel vor

„Wir Syrer sollen immer nur unser Leid klagen!“, empört sich die 31-Jährige. Deswegen sind ihre Geschichten über den deutschen Alltag vor allem eins: witzig. Wie zum Beispiel überlebt man Gänge auf deutsche Behörden? Indem man sich vorstellt, es sei ein Computerspiel. Und wie erlernt man die deutsche Sprache? Gar nicht, denn zwei bösartige Barone haben die Grammatik so entworfen, dass Nicht-Muttersprachler mit ihr keinen Satz formen können. Rasha Abbas treibt all das Abwegige, dem sie begegnete, in ihren Geschichten noch tiefer ins Absurde. Komik als Survival-Strategie.

Angekommen. Rasha Abbas, 31, ging zunächst nach Beirut, vor zwei Jahren dann nach Berlin. Jetzt lebt sie in Schöneberg.
Angekommen. Rasha Abbas, 31, ging zunächst nach Beirut, vor zwei Jahren dann nach Berlin. Jetzt lebt sie in Schöneberg.

© Doris Spiekermann-Klaas

Die Texte in „Adam Hates the Television“, ihrem Erstlingswerk, für das sie 2008 beim „Damascus Capital of Arab Culture Festival“ ausgezeichnet wurde, und in „The Gist of It“, ihrem zweiten Erzählungsband, den sie in Stuttgart fertigstellte, waren dunkler, fragmentierter, überhaupt beunruhigender. Aber in finsteren Zeiten braucht es auch ein bisschen Leichtigkeit und Momente, in denen man wenigstens kurz vergessen kann. Deshalb entschied sie sich diesmal für ein komödiantisches Buch. „Manchmal unterhalte ich mich mit Leuten, die keinen blassen Schimmer haben, was in Syrien vor sich geht. Das ist unglaublich erleichternd. Dann kann man einfach von Mensch zu Mensch sprechen.“

Ein „Flüchtling“ zu sein, das heißt nämlich immer auch hilflos und abhängig zu sein. Die Erfahrung, aus der Blase einer bürgerlichen, Damaszener Tochter gerissen zu werden und sich als eine von vielen Geflüchteten zu fühlen – jenseits aller gesellschaftlichen Unterschiede – sei für sie von unschätzbarem Wert gewesen, sagt sie. Aber sie wollte sich auch aus der Position des Opfers lösen.

Inmitten der polarisierten Flüchtlingsdebatte entwickelt Abbas ihren Witz

Genau das gelingt ihr, wenn ihre Erzählerin den Deutschen zum Dank einen Superhelden erschaffen will, an dem Versuch aber scheitert. „Aber Jan, was hindert dich denn?“, ruft die Erzählerin ihrer Skizze zu, als der Held bei einem Raubüberfall auf offener Straße nicht eingreift. „Er verschränkte die Arme fest vor der Brust und verweigerte jeglichen Kommentar. Bis die Ampel schließlich grün wurde. Inzwischen hatte sich die Bande längst aus dem Staub gemacht, und es gab nicht mehr viel für Jan zu tun, außer der Dame wieder aufzuhelfen und sie zur nächsten Polizeistation zu begleiten.“

Inmitten der derzeit völlig polarisierten öffentlichen Debatte um die Integration von Flüchtlingen, in der ihnen – je nach Lagerzugehörigkeit – die stummen Rollen des traumatisierten Opfers oder des gefährlichen Eindringlings zugewiesen werden, erinnern Rasha Abbas’ Geschichten daran, dass von Menschen die Rede ist. Menschen, die in ihrer Jugend computerspielsüchtig waren, heimlich geraucht haben und deren gutes Recht es ist, Deutsche komisch zu finden.

Im Gespräch ist die Autorin herzlich, wenngleich ernster, als man es nach der Lektüre ihrer Anekdoten erwartet hätte. Geflüchtete nur als Last wahrzunehmen, so wie es aktuell oft geschieht, geht ihr gegen den Strich. „Integration muss ein Austausch sein. Wir können Deutschland auch bereichern.“ Aber dafür müssten die Leute rausgehen können und anderen Menschen begegnen, sich unters Volk mischen. Was das angeht, hat sie selbst viel Glück gehabt. Wenn man sie so sieht in ihrer Schöneberger WG, kann man sie sich nicht „integrierter“ vorstellen, auch wenn sie mit ihnen (noch) Englisch spricht.

"Westliche Werte? Gelten die Menschenrechte nicht überall?", fragt Abbas

Und doch sei es nicht einfach, Hals über Kopf in eine ganz andere Kultur zu springen, sagt sie. Die Prägungen, zum Beispiel durch den starken Sexismus, der in der arabischen Welt herrsche, legten die Menschen nicht an der Grenze ab. „Aber ich finde es merkwürdig, dass dann immer von ‚westlichen Werten‘ gesprochen wird“, entrüstet sie sich. „Gelten denn die Menschenrechte, die Rechte der Frauen nicht für alle gleichermaßen?“ Diese Probleme einfach „ausweisen“ zu wollen, findet sie egoistisch. Stattdessen sollte jeder Mensch eine Chance als lernfähiges Individuum bekommen. Generalisierungen seien unfair. „Es ist schmerzhaft zu sehen, wie die Menschen in der U-Bahn arabisch aussehende Männer beäugen, wie sie sie meiden.“

Die Begegnung auf Augenhöhe, von Mensch zu Mensch, die betont Rasha Abbas immer wieder. Sie sei entscheidend für Integration. Dass sich dabei beide Seiten nicht allzu ernst nehmen, setzt sie voraus. In diesem Sinn erteilt sie in ihrem Buch auch Verbesserungsvorschläge für die Texte, die in Integrationskursen gelesen werden. Aus arabischer Sicht fehle den Geschichten der Kick. Vielleicht könnte man ja noch ein paar Schwiegermutter-Intrigen einbauen inklusive Voodoo-Zaubereien?

Mit ihrer Komik will sie keine politische Botschaft vermitteln. Auch nicht, wenn sie sich auf ihrem arabischsprachigen Blog über den „Islamischen Staat“ lustig macht, indem sie „Benimmregeln fürs Händeabschlagen“ auflistet oder „sieben Wege darlegt, die Ehefrau zur Strecke zu bringen“. Doch ihre Texte fordern zum Lachen heraus, vor allem über sich selbst. Auch eine Form von Provokation.

Rasha Abbas: Die Erfindung der deutschen Grammatik. Aus dem Arabischen von Sandra Hetzl.

E-Book: mikrotext, 200 S. auf dem Smartphone, 3,99 €. www.mikrotext.de. Print-Ausgabe: Orlanda Verlag, 100 S., 12,50 €.
Die Autorin liest am 4.6., 21.15 Uhr, anlässlich der langen Buchnacht bei Dante Connection in der Oranienstraße 165a.

Carolin Haentjes

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false