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Frontalansicht des Deutschen Theaters

© Jens Kalaene/dpa

Autorentheatertage 2016: Überraschungspotential? Fehlanzeige

Popkultureller Einfallsfuror und höchste Kunstanstrengung: Eine Zwischenbilanz der Autorentheatertage am Deutschen Theater.

Schon seltsam. Da stehen Krieg, Verrat und Drogen auf dem Programm, lauter Hardcore-Themen also, und trotzdem sitzt man in der Mehrzahl der Fälle im Theater und hadert, ob die EM-Vorrunde nicht mehr Dramatik geboten hätte. Das liegt weniger daran, dass die Organisatoren der Autorentheatertage am DT (noch bis 25. Juni) mit der Auswahl ihrer Gastspiele daneben gegriffen hätten. Das Festival, das schon oft das bessere Theatertreffen war, bildet den Status quo der deutschsprachigen Gegenwartsdramatik ab. Und offenbar steht’s um die momentan längst nicht so gut wie in den Jahren, als sich mit Wolfram Lotz, Wolfram Höll oder Ferdinand Schmalz spannende neue Stimmen aufgedrängt haben. Diesmal ist das Überraschungspotenzial eher mau.

Fritz Kater, das schreibende Alter Ego des Stuttgarter Intendanten Armin Petras, quält sich in dem Stück mit dem verquasten Titel „I’m searching for I:N:R:I (eine Kriegsfuge)“ durch eine monologlastige Mischung aus Melodram und film noir, die in der Regie von Jossi Wieler schon nach wenigen Minuten unter ihrer artifiziellen Last so zu humpeln beginnt wie die Hauptfigur Maibom (André Jung) – ein jüdischer ehemaliger Kampfpilot mit Holzbein, der nach dem Krieg für den Mossad untergetauchte Nazis jagt. Maibom verliebt sich in die falsche Frau, Rieke (Fritzi Haberlandt), die eine Trauma-Vergangenheit und nicht wenige Leichen im Keller hat. Bis man das alles aber mal erfahren hat, ist Kater durch 13 Szenen, drei Zeitebenen und einige bedeutungsschwangere Exkurse über die Flüchtigkeit der Fuge gesprungen.

Was gut zu den Klavieren passt, die Thom Luz in seiner Stückentwicklung „LSD – Mein Sorgenkind“ aus Basel auffahren lässt. Kategorie: höchste Kunstanstrengung. Der Theatermacher, der gerne Christoph Marthaler wäre, assoziiert sich am Bekenntnisbericht des Schweizer LSD-Erfinders Albert Hofmann entlang. Papierbahnen entrollen sich aus den Instrumenten Richtung Bühnenhimmel, und weil deren Hämmer mit Farbe beschmiert sind, hinterlässt jeder Ton seine Spur darauf. Töne sehen! LSD! Alle Wetter!

Sieger wird es nicht geben

Mehr Weltgehalt beziehungsweise politische Ambition hat das Projekt „Ramstein Airbase: Game of Drones“, das Jan-Christoph Gockel fürs Staatstheater Mainz entwickelt hat. Es geht um den Drohnenkrieg der USA, der via Satellitenverbindung über den belasteten Stützpunkt Ramstein in Deutschland abgewickelt wird. So erklärt es Whistleblower Brandon Bryant, den die Theatermacher fürs Video-Interview treffen durften. Leider gehen dessen Ausführungen verloren im popkulturellen Einfallsfuror des Regisseurs, der die Serie „Game of Thrones“ (Machtkämpfe!), den Film „Eine Frage der Ehre“ (moralische Grauzonen!) und Marilyn Monroe (Sexbombe?) zu einem bunten Anklage-Abend mit Musik von, na klar, Rammstein zusammenzwingt. Da wünscht man sich die Gedankenschärfe eines Hans-Werner Kroesinger. Oder als Gegenentwurf: den gut geölten Psychorealismus des amerikanischen Theaters.

Sich von dessen Familienschlachten „schon kathartisch durchnudeln zu lassen“, darauf hat der Protagonist Jesko Drescher (Benjamin Grüter) im Stück „Bilder von uns“ des Autors Thomas Melle so gar keine Lust. Ihn quälen aber auch grad andere Sorge. Ein Unbekannter hat ihm Fotos geschickt, die ihn als Jungen zeigen. Nackt. Ist er als Internatszögling missbraucht worden? Im anrollenden Skandal, der Drescher mit ehemaligen Mitschülern zusammenführt, steht weniger die Wahrheitsfindung auf dem Spiel. Sondern die Frage, wie sich Deutungsmacht über die eigene Erinnerung und mithin Identität gewinnen lässt. In der Bonner Inszenierung von Alice Buddeberg entfaltet Melles kluges, von Prosareflexionen durchsetztes Drama dabei ein beeindruckendes Verunsicherungspotenzial. Sieger, so viel ist klar, wird es hier nicht geben.

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