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Siegfried Lenz, 1926–2014.

© dpa

Autor der "Deutschstunde": Siegfried Lenz ist tot

Mit dem Roman „Deutschstunde“ schuf Siegfried Lenz einen Welterfolg. Jetzt starb der große Nachkriegsautor im Alter von 88 Jahren. Er setzte sich für Versöhnung mit Polen und Israel ein - Bundespräsident Gauck und Kulturstaatsministerin Monika Grütters würdigten sein Werk.

Im Tagesspiegel-Interview lobte Siegfried Lenz die "lebensrettende Funktion der Fantasie" - nun hat das Leben dieses großen Schriftsteller der deutschen Nachkriegsliteratur ein Ende gefunden. Lenz starb am Dienstag im Alter von 88 Jahren im Kreise der Familie, wie sein Verlag Hoffmann und Campe mitteilte. Lenz' wichtigstes Werk ist der in viele Sprachen übersetzte und verfilmte Roman „Deutschstunde“ (1968). Der gebürtige Ostpreuße galt vor allem auch als ein Meister der Erzählung. Dafür stehen humorvolle Bände wie „So zärtlich war Suleyken“ (1955) oder „Lehmanns Erzählungen“ (1964). Vor zwei Jahren (2011) erschien sein letzter Erzählband „Die Maske“.

Seit Jahren war Siegfried Lenz gesundheitlich schwer angeschlagen. Bereits auf den Rollstuhl angewiesen, hatte der Autor in den letzten Jahren ein Appartement in einer Hamburger Senioren-Residenz an der Elbchaussee mit freiem Blick auf den Elbstrom. Im September 2013 besuchte er noch das Hamburger Filmfest und sah sich die Verfilmung seiner Kurzgeschichte „Die Flut ist pünktlich" an. Im Juni 2014 dieses Jahres rief Lenz in Hamburg die gemeinnützige Siegfried-Lenz-Stiftung ins Leben, die sein Werk wissenschaftlich aufarbeiten soll. Das persönliche Archiv des Schriftstellers soll an das Deutsche Literaturarchiv in Marbach gehen.

Lenz war Ehrenbüger von Hamburg und seiner masurischen Geburtsstadt

Lenz wurde 1926 im ostpreußischen Lyck geboren. Er studierte Philosophie, Anglistik und Literaturwissenschaft. Anschließend arbeitete er als Redakteur bei der Zeitung „Die Welt“. Seit 1951 lebt Lenz als freischaffender Schriftsteller, Essayist und Kritiker in Hamburg und auf der dänischen Insel Alsen. Lenz war Ehrenbürger der Hansestadt und seiner masurischen Geburtsstadt, die heute zu Polen gehört und jetzt Elk heißt.

Neben den Nobelpreisträgern Heinrich Böll und Günter Grass gehörte Lenz zu jenen Autoren, die die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und die Aussöhnung insbesondere mit Polen und Israel als Lebensaufgabe verstanden. Bei einem Festakt zum 85. Geburtstag am 17. März 2011 in Hamburg würdigte der damalige Bundespräsident Christian Wulff, wie sehr Lenz zum wiedergewonnenen Ansehen Deutschlands nach dem Krieg beigetragen habe.

Der Börsenverein würdigte Lenz 1988 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Noch im hohen Alter gelang Lenz mit seiner ersten Liebesnovelle „Schweigeminute“ ein Bestseller. Die „Deutschstunde“ (1968) gilt als Lenz' Schlüsselwerk zur Aufarbeitung der Nazizeit und historischer Schuld. Darin geht es um einen Vater-Sohn-Konflikt - stellvertretend für die Kriegsgeneration und die rebellierende Folgegeneration - sowie um die fatalen Folgen eines unkritischen Pflichtbewusstseins in der NS-Zeit.

In dem ebenfalls verfilmten Roman „Heimatmuseum“ (1978) lässt Lenz die verlorene ostpreußische Heimat literarisch wiederauferstehen. Die Hauptfigur, der masurische Teppichwebermeister Zygmunt Rogalla, verbrennt das von ihm einst gerettete Heimatmuseum, um es vor ideologischem Missbrauch zu retten.

1970 begleitete er Willy Brandt zur Unterzeichnung des Warschauer Vertrages

Auch politisch engagierte sich der in der Nazizeit aufgewachsene Autor für die Aussöhnung mit Polen. 1970 begleitete er mit Grass den damaligen Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) zur Unterzeichnung des Warschauer Vertrages. Außerdem mahnte Lenz Solidarität mit Israel an, als der damalige irakische Diktator Saddam Hussein den jüdischen Staat mit Raketen bedrohte.

Besonderen Erfolg hatte der begnadete Erzähler mit seinen vergnüglichen Kurzgeschichten. Unvergessen ist sein legendärer Erzählband „So zärtlich war Suleyken“ mit humorvollen Geschichten aus Ostpreußen. Publikumserfolge wurden auch „Lehmanns Erzählungen“, die amüsant geschriebenen Erfahrungen eines Schwarzhändlers nach dem Zweiten Weltkrieg - Lenz hatte sein Studium in Hamburg selbst mit Schwarzhandel weitgehend finanziert.

Seine Werke sind nach Angaben des Hamburger Hoffmann und Campe Verlags, dem Lenz seit Beginn seiner schriftstellerischen Arbeit sein Leben lang die Treue hielt, in mindestens 35 Sprachen übersetzt. Die Weltauflage dürfte bei über 30 Millionen Exemplaren liegen. Ein Millionenpublikum fanden die Fernsehverfilmungen „Der Mann im Strom“, „Das Feuerschiff“ und „Die Auflehnung“, jeweils mit Jan Fedder in der Hauptrolle. Das breite Oeuvre von Lenz umfasst Romane, Erzählbände, Theaterstücke, Hörspiele und Essays - etwa über das Selbstverständnis des Schriftstellers als „Ein-Mann-Partei“ Zuletzt hatte Lenz gemeinsam mit Altkanzler Helmut Schmidt, 95, das Gesprächsbuch „Schmidt - Lenz. Geschichte einer Freundschaft“ herausgebracht.

Gauck: "Lenz wurde geliebt wie nur wenige andere Künstler"

Bundespräsident Joachim Gauck hat Siegfried Lenz als „einen der ganz Großen der deutschen Literatur“ gewürdigt. „Mit seinen Büchern hat er die Menschen bewegt, begeistert und zum Nachdenken gebracht. In seinen Romanen und Erzählungen finden sich die großen Hoffnungen und Irrtümer, die Ängste und Sehnsüchte ganzer Generationen“, schrieb Gauck an die Witwe. Lenz habe „auf fast altmodische und doch immer aktuelle Weise an das Gute und an die Verbesserungsfähigkeit des Menschen geglaubt hat“. Gauck fügte hinzu: „Er wurde verehrt und geliebt wie nur wenige andere Künstler."

Auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hat Siegfried Lenz als einen der weltweit bedeutendsten deutschen Schriftsteller gelobt. „Es ist ihm mit großer Meisterschaft gelungen, das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte literarisch wach zu halten und für die nachfolgenden Generationen verständlich zu machen“, erklärte Grütters am Dienstag in Berlin. „Die eigene Geschichte nicht zu verdrängen, sondern aufzuarbeiten - mit dieser Überzeugung hat er als Autor der Nachkriegsgeneration viel dazu beigetragen, den Ruf Deutschlands als Kulturnation wiederherzustellen.

Überschattet von Lenz' Tod haben am Dienstag am Hamburger Thalia Theater die Proben für die Bühnenadaption seines Romans „Deutschstunde“ begonnen. „Wir wussten, dass es ihm nicht gut geht und haben dennoch inständig gehofft, dass er die Aufführung noch erleben könnte“, erklärte Intendant Joachim Lux. „Jetzt bleibt uns nur sein Vermächtnis: sein Werk.“ (dpa/Tsp)

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