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Autobiografie: Lehr- und Wanderjahre einer Kämpferin: Alice Schwarzer

Alice Schwarzer legt den ersten Teil ihrer Biographie vor. Viel Neues fördert sie nicht zu Tage, und ein wirklich privates Buch ist es auch nicht geworden, auch wenn Schwarzer erstmals ihre Bisexualität benennt.

Vielleicht so: Von Anfang an ist alles da im Menschen. Die Fotos führen den Beweis. Wie sie da so hinter ihrem Schulheft sitzt, 1950, mit acht Jahren. Der Rücken gerade, ein leises, durchaus selbstsicheres Lächeln im Gesicht, die Spange im seitlich gescheitelten Haar, den Stift fest umklammert. Da liegt alles drin in diesem wachen Blick: die Neugier, der Ernst, die Lebensfreude, die Arroganz, die Verletzlichkeit, der Wille.

Oder doch lieber so: Skandal! Das ist ein Knaller! Alice Schwarzer, die verkappte Lesbe, hatte was mit Schlagerstar Udo Jürgens. Ist auch fotografisch belegt: wie er sie küssen will, 1969 im Club Méditerannée in Agadir. Und der Satiriker Robert Gernhardt hat zugeschaut.

Das wären die zwei möglichen Tonarten, um über die Autobiografie „Lebenslauf“ von Alice Schwarzer zu schreiben, die am heutigen Donnerstag erscheint. Beide hat die seit fast 40 Jahren im Feuer der öffentlichen Meinung stehende Galionsfigur des deutschen Feminismus nicht verdient. Beide – Küchenpsychologie und Voyeurismus – sind trotzdem im Buch angelegt. Und zwar in 15 reich und rührend bebilderten Kapiteln, denen ein 70 Seiten starker Anhang mit Artikeln von und über Alice Schwarzer aus den sechziger und siebziger Jahren folgt.

Dass Schwarzer nicht vorhat, ihre historische Rolle als Rädelsführerin der Neuen Frauenbewegung klein zu schreiben, sondern viel Stoff für künftige Seminararbeiten liefern will, dokumentiert allein die Tatsache, dass sie ihre Memoiren auf zwei Bände angelegt hat. Dieser erste, chronologisch erzählte Teil widmet sich Kindheit, Jugend, Politisierung, Berufsfindung und früher Kampfzeit bis zur Gründung der feministischen Frauenzeitschrift „Emma“ in Köln, deren erste Ausgabe am 26. Januar 1977 erscheint.

Viele biografische Daten aus Schwarzers öffentlichem Leben sind bekannt – zumal bereits 1998 gleich zwei Schwarzer-Biografien erschienen waren. Die positiv konnotierte des mit Schwarzer befreundeten Journalistenpaars Gert von Paczensky und Anne Dünnebier sowie die „kritische“ von Schwarzers Intimfeindin Bascha Mika, damals Chefredakteurin der „taz“. Mika entwarf ein wenig schmeichelhaftes Psychogramm eines Alpha-Weibs, geprägt von der narzisstischen Kränkung, ein ungewolltes Kind gewesen zu sein.

Bei dieser Deutung macht Schwarzer nicht mit. Für sie ist der Motor ihres Handelns ein unbedingter Gerechtigkeitssinn. Denn natürlich ist die Autobiografie auch eine Rechtfertigungsschrift, in der sie ihre aus zahllosen Zeitungsartikeln, Anthologien und mehr als 20 eigenen Büchern bekannten Positionen noch einmal durchdekliniert. Besonders, wenn die Politaktivistin – Mutter, komm erzähl vom Krieg! – peinigend detailreich vom Schlachtengetümmel der frühen frauenbewegten Jahre berichtet. Ihre privaten Nöte und Selbstzweifel verschweigt Schwarzer trotzdem nicht. Die professionelle Biografienschreiberin („Romy Schneider – Mythos und Leben“,, Marion Dönhoff – Ein widerständiges Leben) gibt in kleinen Dosen immer wieder etwas von sich preis. Etwa ihre Bisexualität, die sie jetzt mit 68 Jahren erstmals ausdrücklich benennt, auch wenn es sich seit Jahr und Tag um ein offenes Geheimnis handelt.

Damit früher an die Öffentlichkeit zu gehen, erschien der als Lesbe gebrandmarkten Frauenrechtlerin lange abträglich für ihre Position. Auch jetzt fehlt jeder exhibitionistische Ton, es dominiert der feministische. Ihre Lieben zu Männern namens M und Bruno, mit dem sie zehn Jahre zusammen ist, und zu Ursula, mit der sie zwei Jahre in Berlin lebt, sowie zu ihrer jetzigen (im Buch namenlosen) Lebensgefährtin sind für Schwarzer Anlass zur Reflexion über Rollenprägung und die von ihr verachtete zwangsheterosexuelle Norm. Intime Bettbekenntnisse sind ihre Sache nicht. Das ist klug und konsequent, doch auf diese Weise bleiben ihre Schilderungen überdiskret und blutleer, wie überhaupt das ganze in einer Attitüde abgeklärter Rückschau geschriebene Buch.

Zum Krimi, den man mit roten Ohren liest, geraten weniger die persönlichen als die politischen Episoden. Etwa die Organisation und praktische Durchführung der mutigen, riskanten und für die Frauenbewegung entscheidenden Selbstbezichtigungsaktionen der Siebziger rund um den Paragraphen 218: von Frauen, die öffentlich bekannten, abgetrieben zu haben. Und von Ärzten, die Abtreibungen vornahmen.

Beides damals gewaltige öffentliche Paukenschläge, bei denen Schwarzer ihre Doppelfunktion als Aktivistin und Berichterstatterin nicht mehr sauber trennte, wie sie im Buch zugibt. Nicht wirklich selbstkritisch übrigens. In ihrem leidenschaftlichen Kampf für Frauenrechte ist ihr jedes Mittel recht, das vielleicht moralisch fragwürdig, aber politisch schlagkräftig ist. Sie ist eine Frau, die brennt.

Regeln brechen ist ihr erklärtes Ziel, wie sie 1968 an ihren Freund Bruno schreibt: „Ich sterbe vor Hunger auf alles. Absolut alles!... Ich will einen großen Schritt machen. Will alles ändern. Etwas Neues. Mich befreien!“

Wie es zu solcher Maßlosigkeit im Herzen eines 1942 in Wuppertal-Elberfeld geborenen Mädchens kommt, scheint der geübten Selbstdarstellerin Schwarzer selbst ein Rätsel zu sein. Die Suche fängt in der Kindheit an. Geliebtes Zentralgestirn der ersten Jahre in Bombenkrieg und Nachkriegszeit ist ihr Großvater Ernst Schwarzer, ein fürsorglicher, lebensfroher Mann, dem „Lebenslauf“ auch gewidmet ist. Die Großmutter Grete, eine glühende Nazi- Gegnerin, hat ebenso wenig Talent zur Mütterlichkeit wie ihre Tochter Erika, die das „Kind der Schande“ bei Opa und Oma aufwachsen lässt. Ihr Start sei nicht gerade rosig gewesen, kommentiert Schwarzer lakonisch und wandert von dort per Recherchereisen, Studium von Archiven, Briefsammlungen und Taschenkalendern durch ihr Leben. Sie ist anders als die anderen Kinder, von Anfang an.

Amüsant, wie sie von ihren ersten journalistischen Abenteuern in der Lokalredaktion der „Düsseldorfer Nachrichten“ erzählt. Enthusiastisch, wie die Psychologie- und Soziologiestudentin die Pariser Anfänge der französischen Frauenbefreiungsbewegung MLF erlebt. Zeitgeschichtlich aufschlussreich, wie sie die revolutionäre Stimmung im geliebten Paris (inklusive ihrer Bekanntschaften mit Beauvoir, Sartre, Foucault, Marcuse) und im verhassten Berlin Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger beschreibt. Meinungsfreudig, wie sie ihr Engagement für Emanzipation und Frauensolidarität, gegen Männergewalt, Männerjustiz, Fundamentalismus plus kleiner Analysen zur aktuellen Lage im Geschlechterkampf skizziert. Mit selbstgefälligem Impetus – wo ich bin, ist Avantgarde. Aber auch mit niedlichen selbstkritischen Sätzen wie: „Ich fürchte, ich war recht streng als junge Frau.“

Das würden viele ihr auch jetzt noch attestieren: Denn bei ihrer „Bild“-Berichterstattung über den Kachelmann-Prozess oder bei der Kopftuch-Diskussion agiert Alice Schwarzer weiter unverdrossen nach dem Prinzip viel Feind’, viel Ehr’. Jetzt, wo sie als elder stateswoman mehrheitsfähig geworden ist und von jedermann als humorvoll und herzlich beschrieben wird. Früher wurde sie als frigide Tucke beschimpft. Was sie das für eine Kraft gekostet haben muss, wird in einigen erstaunten Kommentaren klar.

Wirklich Neues fördert die Autobiografie angesichts des Riesenbergs schon veröffentlichter politischer Schwarzer-Texte nicht zutage. Die Positionen, die Charaktermerkmale, der Status sind bekannt, die Lebensleistung ist dokumentiert. Ein wirklich privates Buch, das ins empfindsame Löwenherz einer Kämpferin schaut, ist „Lebenslauf“ aber auch nicht geworden.

Ach ja: mit Udo Jürgens hatte Alice Schwarzer übrigens nichts. Der Arme hat der blitzgescheiten, strahlenden Blondine am Strand von Agadir vergeblich nachgestellt.

Alice Schwarzer: Lebenslauf. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011. 464 Seiten plus Anhang, 22,99 €. Buchpremiere mit Alice Schwarzer und Peter Schneider am 23. 9., 20 Uhr, im Deutschen Theater.

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