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© Katalog

Mode der DDR: Eleganz und Widerstand

Die Untergrundmode hatte Biss, war aber kaum tragbar. "In Grenzen Frei": Mode der DDR im Kunstgewerbemuseum

Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein verschrumpelter Autoreifen. Auf den zweiten sind im oberen Drittel Zahnreihen zu erkennen, die angsteinflößend offen stehen. Auf den dritten Blick erweist sich: In der Vitrine liegt ein Damenkleid aus lederähnlichem Material. Es liegt, weil es so genäht ist, dass weder eine Schaufensterpuppe noch eine lebendige Frau es tragen kann, und es hat Zähne. Das Modell steht exemplarisch für die Untergrundmode in der DDR: Sie hatte Biss, war aber kaum tragbar. Das ausgestellte Objekt stammt von „Allerleirauh“, einem Label der Achtziger, das Mode nicht für den Gebrauch herstellte, sondern als Protest gegen das Alltagsgrau.

Mode für wenige – sowohl in der Subkultur als auch für wenige, zahlkräftige Kunden – steht im Zentrum der Ausstellung „In Grenzen Frei. Mode, Fotografie, Underground in der DDR 1979-89“. Anhand von Fotografien aus den letzten zehn Jahren der DDR illustriert die Schau, was Mode in einem Staat bedeutete, der Konsum und Individualismus ablehnte und Kleidung als Teil der zentralisierten „Versorgung mit Verbrauchsgütern“ betrachtete.

Den zwei Ausweichmöglichkeiten zum verordneten Einheitslook gibt die Ausstellung Raum: Auf der einen Seite gab es die Flucht nach oben. Hochwertige „Exquisit“-Kollektionen und die fortschrittliche Frauenzeitschrift „Sibylle“ sollten das Bedürfnis nach Luxus stillen. Die Videos von Modenschauen und Fotografien, die einst das Cover der „Sibylle“ zierten, illustrieren den Versuch, innerhalb des Realsozialismus dem Hochglanzideal nachzueifern. Auf mattem Papier erschienen Aufnahmen etwa von Sibylle Bergemann, die das Magazin als Plattform nutzte, um innerhalb der gegebenen Grenzen ihre künstlerische Freiheit auszuleben und damit der Modefotografie eine politische Dimension verlieh.

Da die „offiziellen“ Alternativen weder bezahlbar noch beschaffbar waren, entwickelten sich parallel im Untergrund Labels wie „chic, charmant und dauerhaft“ oder „Stattgespräch“, die dem Einerlei des Alltags individuelle Entwürfe entgegensetzten und mit allen nur denkbaren Materialien – vom Autolack bis zur Zeltplane – ihrer Kreativität freien Lauf ließen. Die Resultate präsentierten sie auf erfolgreichen, halblegal und privat organisierten Modenschauen, die wiederum „Sibylle“-Fotografen besuchten. So sind auch vom „anderen Ende der Modewelt“ beeindruckende Aufnahmen geblieben. Sie zeigen Menschen, die nicht einfach Kleidung präsentieren, sondern so ihre Wut ausdrücken. Deutlich wird das in vorwurfsvoll direkten Blicken in die Kamera, im oft melancholischen Gesichtsausdruck, in provozierenden Posen. Die aufgeheizte Stimmung spiegelt sich im Publikum, das freudig, erstaunt und vor allem neugierig die bunte Welt jenseits der Alltagsmode bestaunt.

Fotografen wie Tina Bara, Ute Mahler, Sven Marquardt, Roger Melis und Robert Paris fixieren „Momente zwischen den Koordinaten Diktatur und Subkultur, Eleganz und Widerstand, Tristesse und Humor“, wie es Mitkurator Michael Boehlke ausdrückt. Einige Fotos sind derzeit auch in der Ausstellung „Übergangsgesellschaft“ in der Akademie der Künste zu sehen. Im Gegensatz zu vielen Fotografen, die heute noch von der Fotografie leben, gingen die meisten Modelabels kurz nach der Wende ein, ebenso die „Sibylle“, deren letztes Heft 1995 erschien.

Melancholisch stimmt das Verschwinden angesichts der Energie, die die Bildern zeigen. Auf nahezu jeder Aufnahme ist das Herzblut zu spüren, das darin steckt. „Wir waren wir selbst, und das exzessiv,“ schreibt ein Modemacher. Etwas von diesem Herzblut ist auch in die Ausstellung geflossen. Schade, dass sie keine Struktur besitzt, Ende und Anfang unklar bleiben, Videoprojektionen nicht bezeichnet und nur wenige Kleidungsstücke zu sehen sind. Das bissige Kleid hätte Gesellschaft vertragen.

Kunstgewerbemuseum, Kulturforum, bis 13. 9.; Di-Fr 10-18 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr. Katalog (Kerber Verlag) 19,80 €.

Lea Hampel

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