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Fotoausstellung: Auge um Auge

Das Willy-Brandt-Haus in Berlin zeigt Propagandafotos der Nazis aus dem besetzten Warschau. Keine andere Stadt hat im Zweiten Weltkrieg so gelitten wie sie. Die polnische Hauptstadt war bei Kriegsende komplett zerstört, 700 000 Menschen gestorben, die gesamte jüdische Bevölkerung war ermordet worden.

Am 1. September 1939 marschierten allerdings auch mit Kameras bewaffnete Soldaten in Polen ein: die Propaganda-Kompanien von Wehrmacht und SS. Bis 1945 schossen ihre Fotografen rund 25 000 Bilder, ein Zehntel davon in Warschau. Eine Auswahl von 135 Bildern ist nun erstmals in Deutschland zu sehen. „Im Objektiv des Feindes“ heißt die Ausstellung im Berliner Willy-Brandt-Haus.

Das ist leicht reißerisch formuliert, denn nur wenige der Fotos sind als Propagandabilder zu erkennen. Etwa wenn deutsche Soldaten Brot an Zivilisten verteilen (die Szene musste so oft wiederholt werden, bis die Polen lächelten). Vielmehr scheinen die meisten Aufnahmen einem dokumentarischen Impuls entsprungen zu sein. Sie belegen deutschen Sadismus und polnischen Widerstand. In einer Serie schlagen Soldaten zwei Häftlinge und grinsen. Auf einer unscharfen, vielleicht heimlich entstandenen Aufnahme werden Frauen in einem verschneiten Wald erschossen.

Dann wieder: Straßenszenen, ein Orchester, Schwarzmarkthändler. Diese Bilder sind offensichtlich ohne jeden formalen Anspruch entstanden, und es wäre interessant gewesen, etwas über ihre Verwendung zu erfahren. Bisher gab es nur wenige Fotos aus dem besetzten Warschau. Diese Leerstelle versucht die Ausstellung, die verschiedene Archive und Forschungsinstitute aus Deutschland und Polen organisierten, zu schließen. Ein Kapitel ist dem Warschauer Aufstand von 1944 gewidmet. Auch hier zeigt die Auswahl weniger glorreiche Deutsche als vielmehr glorreiche Polen, etwa wenn die Überlebenden der aufständischen Heimatarmee erhobenen Hauptes in die Gefangenschaft marschieren. Auch die Fotos aus dem jüdischen Getto diffamieren die Opfer an für sich nicht: barfüßige Jungs in verschlissenen Mänteln, verhungernde alte Männer, in Tücher gewickelte Leichen – aber keine Karikaturen des „hässlichen Juden“.

Zur besseren Einordnung der Bilder helfen die exzellent ausgewählten Texttafeln: unter anderem Auszüge aus Goebbels’ Tagebuch und den Aufzeichnungen des Offiziers Wilm Hosenfeld. Er rettete dem jüdischen Musiker Wladyslaw Szpilman das Leben – die Geschichte kam 2003 unter dem Titel „Der Pianist“ ins Kino. Nach der Liquidierung des jüdischen Gettos notierte er: „So wollen wir den Krieg gewinnen. Diese Bestien. (…) Wir verdienen keine Gnade.“ Philipp Lichterbeck

Bis 3. Juni, Di - So 12 - 18 Uhr, Stresemannstr. 28, Ausweis mitbringen.

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