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Balthus

© promo

Balthus-Ausstellung: Der schuldige Blick

Die Erotik seiner Bilder machte den französischen Maler Balthasar Klossowski, kurz "Balthus", schon früh bekannt. Seine erste Ausstellung, 1934 in Paris, galt als skandalös. Künstler, darunter Picasso oder Dali, kauften seine Werke. Jetzt zeigt das Kölner Museum Ludwig die Kunst des Sonderlings.

Eine wilde Liebe, eine verbotene Liebe. Nicht standesgemäß, diese Beziehung zwischen der verwöhnten Gutsbesitzertochter Catherine Earnshaw und dem ungeschliffenen Findelkind Heathcliff. Aber auch: eine Kinderliebe, alles andere als unschuldig. Das Hochmoor von Yorkshire ist ihre Seelenlandschaft, rauh, einsam und ursprünglich. Ausreißer sind sie beide, Aufbegehrende: Konventionen gelten nicht. Sie endet finster, die Liebesgeschichte von „Wuthering Heights“, die die Schriftstellerin Emily Brontë 1847 unter Pseudonym veröffentlicht. Für den Maler Balthus, der den Roman 1933 illustriert und sich zeit seines Lebens als Außenseiter und Einzelgänger stilisiert, ist es die Geschichte seines Lebens.

Skandal gemacht hat Brontës Roman Mitte des 19. Jahrhunderts wegen der offen geschilderten Sexualität mindestens ebenso sehr wie wegen der unstandesgemäßen Liebesgeschichte. Skandal haben auch Balthus’ Bilder gemacht, schon von der ersten Ausstellung an in der Pariser Galerie Pierre Loeb 1934. Wenn nun im Kölner Museum Ludwig sechs Jahre nach Tod des Malers 2001 die erste BalthusAusstellung überhaupt in Deutschland zu sehen ist, hat diese Verzögerung wohl auch mit den immer noch unbequemen Bildthemen zu tun, mit diesem sexualisierten Blick auf Kinder, die Balthus in verführerischen Posen zeigt.

Kein deutsches Museum besitzt ein Balthus-Bild, auch die deutsche Forschung stellt sich bei diesem Jahrhundertkünstler seltsam blind. Die Ausstellung verdankt sich dem Engagement von Sabine Rewald, Kuratorin am Metropolitan Museum New York, die sich seit Jahren dem Künstler widmet. Aber auch in Frankreich und Amerika, wo sich die meisten Balthus-Bilder befinden, ist der Umgang mit dem Künstler längst noch nicht entspannt. Noch 1984 durfte das leider nicht nach Köln entliehene Hauptwerk „Die Gitarrenstunde“, sein wohl explizitestes Werk, welches, ob als Vergewaltigung oder als Initiation, ein kindliches Erweckungserlebnis zeigt, bei der großen Retrospektive im Centre Pompidou Paris und im Metropolitan Museum New York nicht öffentlich ausgestellt werden.

So ist es tatsächlich eine Sensation, wenn in Köln, der einzigen Station der Ausstellung, 25 Bilder von Balthazar Klossowski, genannt Balthus, sowie rund 50 Zeichnungen zu sehen sind. 25 Werke, das klingt nicht viel bei einem Oeuvre von rund 300 Bildern. Allein: es sind fast ausnahmslos die Hauptwerke. Wie schon bei der großen Edward-Hopper-Ausstellung 2004 ergibt sich in Köln die einzigartige Möglichkeit, sich gleichsam im Schnellrundgang das Gesamtwerk anzueignen – zumindest das der wichtigsten Jahre. Die gefälligeren Akte der Fünfziger, erst recht die ephemeren Werke, die ab 1961 während seiner Zeit in der Villa Medici in Rom sowie ab 1977 in seinem Alterswohnsitz in Rossinière in der Schweiz entstehen, sind weitgehend ausgeklammert.

Stark ist die Ausstellung in den Dreißigern und Vierzigern, der besten Zeit von Balthus. Das beginnt mit dem ersten Auftritt 1934 in Paris. Drei der sieben in der ersten Ausstellung gezeigten Werke sind in Köln vereint, darunter das frühe Hauptwerk „Die Straße“, das sich in seinem strengen Bildaufbau und den gedeckten Farben stark auf Piero della Francesca bezieht und vom Personal her, diesen puppigen, monströsen Kindern, von Lewis Carrolls „Alice im Spiegelland“ inspiriert scheint. Die rüde Geste, mit der ein Junge im Bild einem Mädchen unter den Rock greift, wurde von den Zeitgenossen als so unerträglich empfunden, dass Balthus die Stelle später abändern musste.

Balthus, der Außenseiter, der Provokateur. Als Genie, das keinen Regeln gehorcht, hat er sich immer gefühlt, hochbegabt, aber ungefestigt. Vielleicht Folge der unsteten Jugend. Aufgewachsen in Pariser Künstlerkreisen, muss Balthus als Achtjähriger mit seiner Familie nach Deutschland zurückkehren: Es ist 1914, der Krieg ist ausgebrochen. Schluss mit dem großbürgerlichen Wohlstand, es folgen Jahre des Herumziehens, der Abhängigkeit von Freunden. Vielleicht daher der unbedingte Geltungswille. Balthus, das Wunderkind, das mit elf Jahren das Leben des Katers Mitsou in einem wunderbaren Bilderbuch verewigt – Rilke, der Lebensgefährte seiner Mutter, schreibt dazu das Vorwort –, hat sich sein eigenes Leben konsequent zusammengelogen. Hat sich als Graf Balthazar Klossowki de Rola ausgegeben, obwohl er bürgerlichen Ursprungs war – sein Vater war der deutsche Kunsthistoriker Erich Klossowski. Hat sich als Schlossherr von Chassy bewusst zum adligen Gutsbesitzer stilisiert und bis zu seinem Tod an der Legende festgehalten.

Und immer wieder hat er sich in ganz junge Mädchen verliebt, in diese Gestalten mit wildlockigem Haar und noch knabenhaftem Körper, diese katzenhaften, geschmeidigen Wesen, die in seinen Bildern immer wieder als Aktmodelle auftauchen. Schon in den Illustrationen zu „Wuthering Heights“ gibt Balthus der Figur des Heathcliff seine Züge, der Catherine hingegen die seiner ersten großen Liebe Antoinette de Watteville, einer Berner Großbürgerstochter, die er als 16-Jährige kennengelernt hat und um die er neun Jahre werben muss, bis sie ihn 1937 erhört. Auch seine späteren Gefährtinnen Laurence, die 16-jährige Tochter des Schriftstellers George Bataille, oder Frédérique Tison, Stieftochter seines Bruders Pierre Klossowski, die in den Jahren von Chassy bei ihm lebt, passen ins Bild.

Der Schatten Proust’scher Mädchenblüte liegt über diesen Bildern, aber auch die Direktheit der Nabokov’schen Lolita, das Wilde, Ungezügelte, Unbotmäßige von Emily Brontës Catherine. Doch nicht nur Heranwachsenden hat Balthus sich zugewandt, sondern auch Kindern. Und es sind vor allem diese Kinderbilder, die seinen Ruhm begründeten und seinen Ruf verdarben. Er malt die Nachbarkinder in seinem Pariser Atelier und die Bauernkinder in der Schweiz: ernste, verträumte, verschlossene Kindergesichter, einzigartige psychologische Zeugnisse. Vor allem in den Porträts der 10-jährigen Thérèse Blanchard, in der Langeweile ob der langen Malsitzung, die aus ihrem leeren, nach innen gekehrten Blick spricht, in ihrer unkindlichen Reife erkennt man Balthus’ außergewöhnliches Einfühlungsvermögen. Nie spielen diese Kinder oder lachen, das kahle Atelier, in dem er sie malt, ist kein Spielplatz.

Aber mindestens ebenso deutlich wird: Diese Kinder zu malen war kein unschuldiger Akt. Der Blick des Erwachsenen, zumal eines Erwachsenen wie Balthus, ist ein voyeuristischer, ein missbräuchlicher Blick. Die Faszination, mit der er runde, kräftige Kinderknie gemalt hat, duftendes Haar und schimmernde Haut, weiße Höschen und heruntergerutschte Hemdchen, ist nicht nur ästhetisch begründet. Und der Betrachter, der, hingerissen ob ihrer Raffinesse, vor den Bildern steht, wird gezwungen, diesen Blick zu teilen. Daher das Unbehagen, das Balthus heute noch hervorruft.

„Thérèse, träumend“ zum Beispiel, von 1938. Nicht genug, dass wir dem Mädchen, das entspannt, ein Knie aufgestützt, auf einem Stuhl sitzt, unter den Rock blicken, ihre weiße Unterhose sehen, während sie, träumend, vielleicht auch abwehrend, den Kopf abwendet – da muss auch noch eine Katze im Bild sein, die genüsslich Milch aus einem Teller schlürft, direkt unter dem Schoß des Mädchens. Oder, in dem Bild „Die glücklichen Tage“ von 1944. Da liegt nicht nur ein feingemachtes Kind auf dem Sofa, der kurze Rock hochgeschoben, die langen, gebräunten Beine ausgestreckt – nein, es ist noch ein Mann im Raum, der das Feuer schürt, den man nur von hinten sieht, eine kräftige, muskulöse Gestalt. Unschuldig mögen die Kleinen sein, sich ihrer Wirkung nicht bewusst, aber durch die Anwesenheit der Erwachsenen kommt Gefahr ins Spiel. Balthus’ Bilder sind hinreißende Kinderporträts. Einerseits. Aber eben auch Dokumente schwärzester Erwachsenenpsychologie.

Balthus. Aufgehobene Zeit. Gemälde und Zeichnungen 1932 – 1960. Museum Ludwig, Köln, bis 4. November, Katalog (Schirmer/Mosel) 35 Euro

Christina Tilmann

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