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© Austilat

Ausstellung: Archäologie: Retter oder Räuber?

Tutanchamuns Entdecker: Streit um den Archäologen Howard Carter – und eine Ausstellung in Hamburg.

Von Andreas Austilat

Der eine hatte fünf Jahre damit zugebracht, ein Wüstental bis auf den blanken Fels abzugraben. Der andere setzte dabei mindestens 40 000 britische Pfund in den Sand, eine Summe, die heute rund einer Million Euro entspräche. Am späten Nachmittag des 26. November 1922 standen sie endlich vor der letzten vermauerten Tür, es kam zum berühmtesten Wortwechsel der Archäologie-Geschichte. „Können Sie etwas sehen?”, fragte George Herbert, der fünfte Earl of Carnarvon. „Ja, wunderbare Dinge“, antwortete Howard Carter, während er seine Kerze in ein aufgestemmtes Loch hielt. So jedenfalls hielt er die Szene in seinem Tagebuch fest.

Die Nachricht von der Entdeckung der Grabstätte des Pharaos Tutanchamun tickerte um die Welt. Der größte Schatz, der je im ägyptischen Wüstensand gefunden wurde, beflügelte die Fantasie des Publikums. Die drohte vollends überzuschnappen, als Lord Carnarvon wenige Monate nach der Entdeckung an einem infizierten Mückenstich starb. Das konnte doch nur der Fluch des Pharao sein.

Carter selbst blieb kühl. Kaum hatte der schnauzbärtige Brite einen Blick auf den goldenen Glanz getan, will er das Loch wieder verschlossen haben. Drei Tage später wurde das Grab offiziell erneut geöffnet, in Anwesenheit von Behördenvertretern. Zweifel an dieser Version kamen schon damals auf; beides, Faszination und Argwohn gegen Carter wirken bis heute.

Zurzeit tourt „Tutanchamun – sein Grab und die Schätze“ durch Deutschland. In München kamen 330 000, in Hamburg seit Oktober bisher über 200 000 Besucher. Dabei zeigt die Schau kein einziges echtes Stück. Doch über 1000 der 5398 Objekte wurden in bemerkenswerter Qualität maßstabsgetreu nachgefertigt und so arrangiert, wie Carter sie dokumentierte. Sogar die Jagdtruhe ist da, jenes Stück, das er beim ersten Besuch für eins der schönsten hielt. Schwer sei es ihm gefallen, sich „davon loszureißen“.

Die Jagdtruhe. Sie steht schief in der sogenannten Vorkammer, alle anderen Kisten sind im rechten Winkel ausgerichtet. Das macht sie für Christian Loeben, Kurator der ägyptischen Sammlung im Kestner-Museum Hannover, zu einem Indiz gegen Carter. Der sei nämlich, erläutert Loeben dem Tagesspiegel, entgegen seiner Behauptung an jenem Abend des 26. November mit seinen Begleitern erneut in das Grab eingedrungen. Dabei hätten sie jene Unordnung hinterlassen, die Carter später antiken Grabräubern zuschrieb.

War Carter selbst der Räuber? Immer wieder tauchten vermeintliche Grabgegenstände in Museen auf. Als Beispiel nennt Loeben einen Uschebti aus Alabaster – eine jener Figuren, die dem Pharao im Jenseits zu Diensten sein sollten – mit dem Namenszug Tutanchamuns, die er im Pariser Louvre entdeckt hat. Der „Spiegel“ griff die Geschichte nun groß auf, schreibt von Dokumenten und Beweisen, die Carter angeblich zum Dieb machen.

Der Verdacht des Grabraubs wiegt um so schwerer, als damit laut Loeben eine einmalige Chance vertan ist. Nur ein unversehrtes Grab kann Aufschluss darüber geben, wie viele Uschebtis beispielsweise einem Pharao mit ins Jenseits gegeben wurden. Unversehrt? Carter schreibt von aufgebrochenen Siegeln, von antiken Räubern, die ins Grab eindrangen, aber gestört wurden. Doch diese Geschichte hält Loeben für suspekt. Für die Grabungslizenz Lord Carnarvons galt die gleiche Regel wie etwa auch für Ludwig Borchardts Amarna-Expedition von 1912, bei der die Büste der Nofretete entdeckt wurde: Die Ausgräber durften die Hälfte ihres Fundes ausführen. Im Falle eines unversehrten Grabes blieb der gesamte Inhalt jedoch in Ägypten. Carter und der Lord mussten also Interesse daran haben, kein unversehrtes Grab vorzufinden.

Die Vorwürfe gegen Carter sind jedoch alt, ebenso alt sind die vermeintlichen Beweise. Loeben sichtete den Uschebti im Louvre bereits 1982. Thomas Hoving, der ehemalige Direktor des New Yorker Metropolitan Museums und Kronzeuge des „Spiegel“, erhob sie Ende der 70er Jahre. Und ein enger Mitarbeiter Carters versicherte bereits 1942, er habe keinen Zweifel daran, dass sein Kollege in jener Nacht wohl im Grab war.

Jaromir Malek leitet in Oxford das Archiv des Griffith Instituts, dessen größter Schatz die Dokumentation der Tutanchamun-Ausgrabung ist. Er kennt jede Zeile, die Carter geschrieben hat, und hält es für ausgeschlossen, dass dieser einen Einbruch vorgetäuscht hat. Das passe nicht zur Akribie, mit der er zehn Jahre lang den Grabinhalt sichtete und dokumentierte, so Malek dieser Tage in Hamburg.

Und selbst wenn Carter getrickst haben sollte, es hätte ihm nicht viel genutzt. Als die britische Regierung Ägypten 1922 in die Unabhängigkeit entließ, wurden die Regeln der Fundteilung infrage gestellt – sechs Wochen vor der Entdeckung des Grabes. Der Streit spitzte sich 1923 zu, schon damals forderten ägyptische Zeitungen auch die Rückführung Nofretetes.

Lady Carnarvon verzichtete auf jeden Anspruch auf den Fund. Doch Gelegenheit sich zu bedienen, hatte Carter noch reichlich. Vielleicht hat er es getan. In seinem Nachlass fanden sich Stücke, die aus dem Grab stammen könnten. Doch selbst ein Uschebti mit dem Namenszug des Pharaos könnte Malek zufolge auch außerhalb des Grabes gefunden worden sein. So oder so, Beweise sind schwer zu erbringen. Welches Museum gibt schon gern zu, auf Raubgut zu sitzen?

Die genaue wissenschaftliche Aufarbeitung und Publikation der Carter-Funde steht bis heute aus. Sie überforderte den Mann, der zwar die besten Wissenschaftler an seiner Seite hatte, als der ewige Underdog in der damaligen britischen Klassengesellschaft aber immer mehr zum Einzelkämpfer wurde.Immerhin finden sich heute 95 Prozent der Funddokumentation im Internet (www.griffith.ox.ac.uk), einschließlich der brillanten Bilder des Expeditionsfotografen Harry Burton und der Aufzeichnungen Carters. In Kürze folgen die chemischen Analysen, dann ist das Projekt abgeschlossen. Ein weites Feld für Hobbydetektive.

„Tutanchamun – Sein Grab und die Schätze“, bis 18. 4. Hamburg, Am Stephansplatz, Fr - Mi 10 - 18 Uhr, Do 10 - 20 Uhr.

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