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Arthur Schnitzler

© promo

Arthur Schnitzler: Stuhl oder Diwan

Eine Ausstellung in Berlin widmet sich den Werken des Dramatikers Arthur Schnitzler. Gesellschaft und Intimität spiegeln sich als Pole der gelungenen Schau.

Als Arthur Schnitzler 1888 – damals noch mehr Mediziner als Dichter – zum ersten Mal von Wien nach Berlin reiste, wurde er mit einigen technischen Neuerungen konfrontiert: einem Hotelzimmer mit elektrischem Licht und, für ihn zum ersten Mal, einer Fahrt mit dem Lift. Die Technik des Fahrstuhls wurde in der beginnenden Moderne rasch zu einem Symbol für den beschleunigten gesellschaftlichen Auf- und Abstieg, ohne die soziale Ordnung von oben und unten einzuebnen. Für Arthur Schnitzlers literarisches Werk wiederum sollte die Frage nach der sozialen Schichtung, nach den vertikalen Verhältnissen prägend werden.

Daneben aber und mindestens genauso wichtig war sein Interesse an jenen Beziehungen, die sich zumindest sprichwörtlich in der Horizontalen abspielen. Weswegen sich Schnitzlers Werk trefflich als Spannung zwischen zwei Möbelstücken skizzieren lässt: zwischen dem Stuhl und dem Diwan. Der Stuhl hat als Symbol aufrechten Sitzens und endloser Sitzungen seinen vertikalen Sitz in der gesellschaftlichen Ordnung; der Diwan hingegen vermag die aufrecht gehende Spezies Mensch wieder in eine kriechende und keuchende zu verwandeln; zudem gibt spätestens seit und für Freud das Individuum auf der Couch sein Innerstes preis.

Im Rahmen einer Ausstellung sind nun Teile von Schnitzlers Werk nach Berlin (zurück)gekommen – und mit ihnen das verzwickte Spannungsverhältnis vom vertikalen und horizontalen Menschsein, vom sozialen Treiben und vermeintlich unbeherrschten Trieben. „Affairen und Affekte“ haben Evelyne Polt-Heinzl und Gisela Steinlechner ihre Schnitzler-Ausstellung genannt, die nun – nach Stationen in Wien und Bratislava und in Kooperation mit den Jüdischen Kulturtagen – im Berliner Literaturhaus zu sehen ist. Dabei geht es den beiden Kuratorinnen nicht darum, den „ganzen Schnitzler“ zu präsentieren; vielmehr haben sie exemplarisch drei seiner wichtigsten Werke ausgewählt: den 1896/97 entstandenen ‚Reigen’, der nacheinander und quer durch die Gesellschaftsschichten zehn Paare zum Liebesakt auf der Bühne versammelt – und für mehr als nur einen Theaterskandal sorgte; die 1900 erschienene Novelle ‚Leutnant Gustl’, in der sich ein verstörter junger Offizier mit all seinen Widersprüchen durch einen einzigen inneren Monolog bis zur Kenntlichkeit entstellt; und schließlich „Fräulein Else“ (1924), ebenfalls eine Monolognovelle, in der ein Grandhotel der Jahrhundertwende retrospektiv zur Bühne wird für verschiedene Weiblichkeitsbilder und Männerphantasien der Epoche.

Jedem dieser drei Werke ist ein eigener Raum gewidmet, wobei sich die Ausstellungsarchitektur von Peter Karlhuber als wesentlicher Bestandteil des Gesamtkonzepts erweist. Sie baut Fassaden um Schnitzlers Werke, nur um diese mit immer neuen Öffnungen zu durchbrechen und genau darin das Hintergründige der Texte zu vermitteln. So führt eine Drehtür mit Szenen aus pornografischen Filmen der Jahrhundertwende in einen Hotelgang mit verschiedenen Fenstern, die dann etwa das ebenso prekäre wie erotisch aufgeladene Verhältnis von Frau und Geld im Fin de Siècle thematisieren: „Fräulein Else“ in der Spannung von Handlungs- und Entstehungszeit. Und direkt daneben „Leutnant Gustl“, als begehbarer Klangraum inszeniert, in dem sich der zu hörende Text mit Auszügen aus der damaligen Duellordnung und visuellen Insignien des Militärischen mischt.

All das hat nur wenig gemein mit jener Vitrinenästhtik, die Autographen, Erstdrucke und Porträts zu einer chronologischen Werkbiographie eines Dichters versammelt. Es hat aber noch weniger gemein mit jenem notorisch gewordenen Erlebnisterror, bei dem sich Begreifen auf Anfassenkönnen reduziert. Den Ausstellungsmachern ist vielmehr ein ebenso kluger wie kurzweiliger Mittelweg gelungen, der hinter den Texten immer wieder sinnfällig Aperçus aus der zeitgenössischen Kultur- und Mentalitätsgeschichte aufblitzen lässt.

Arthur Schnitzlers charakteristische Fähigkeit zur Introspketion erscheint da im Kontext zeitgenössischer Hypnosetechniken, mit denen er selbst schon als junger Arzt experimentierte und die er mit literarischen Mitteln im „Leutnant Gustl“ fortsetzte: Hier wie dort vermag die kunstvolle Suspendierung des Bewusstseins bisher unbeachtete Traumata freizulegen. Darüber zu sinnieren oder einfach nur zu verweilen, laden die Besucher der Ausstellung wahl- und wechselweise diverse Stühle und Diwane ein. Wie der Thron für den König, steht der Stuhl für den ordentlichen Bürger.

Doch gerade wer lange sitzt, will und wird irgendwann liegen. Die daraus resultierenden Konflikte sind Thema dieser Ausstellung.

Literaturhaus Berlin, bis 28.10. Di - So 11-20 Uhr. Der im Verlag Christian Brandstätter erschienene Katalog kostet 36 €. Die Ausstellung begleitet ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Filmen, Lesungen und Vorträgen. Informationen: www.literaturhaus-berlin.de

Thomas Wegmann

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