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Ausstellungen zum Ende der Kohle-Ära: Schacht matt

Kunst und Kohle gingen schon immer gut zusammen, davon ist man im Ruhrgebiet überzeugt. Jetzt ist bald Schluss mit der Förderung. 17 Museen in der ganzen Region widmen sich dem Thema.

Diese Wanduhr sehnt sich nach der Vergangenheit. Wenn der rote Sekundenzeiger vorrückt, dreht sich die gesamte Uhr gegen den Uhrzeigersinn. So scheint der Sekundenzeiger ständig auf der Stelle zu stehen: wie Sisyphos auf einem Laufband. Nun schrieb bereits Camus, dass wir uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen müssen, und in der Tat befindet sich dieser Sekundenzeiger in der komfortablen Position, zwischen Vergangenheit und Zukunft nicht entscheiden zu müssen. Jedes Mal, wenn er vorrückt, wird er zurückgeschoben; scheinbar stellt er die Gegenwart auf Dauer. Doch auch das ist nur ein Irrtum: Stunden- und Minutenzeiger stehen richtig.

In ihrer Schleife aus Rückblick und Aufbruch ist Alicja Kwades Installation „Gegen den Lauf“ im Kunstmuseum Gelsenkirchen ein Sinnbild für das Ausstellungsprojekt der Ruhr Kunst Museen zum Kohleausstieg. Am 21. Dezember schließt in Bottrop die letzte Zeche des Ruhrgebiets: Die Subventionierung der deutschen Steinkohleförderung geht zu Ende, und damit eine Industrie-Epoche. Aus diesem Anlass zeigen unter dem Motto „Kunst und Kohle“ 17 Museen auf 20 000 Quadratmetern Ausstellungsfläche Werke von 100 Künstlern.

Ibrahim Mahama zeigt Spuren der Globalisierung im Patchwork-Gewand

Kunst und Kohle, so ist man sich während der Eröffnung auf Zeche Zollverein sicher, gehören in Deutschlands größtem Ballungsraum eng zusammen: Erst der Bergbau habe die Museenlandschaft möglich gemacht. Und während zum Anlass einer Kulturveranstaltung auf dem Podium mehr über Kohle als über Kunst geredet wird, wundern sich die Diskutanten anschließend, dass das Ruhrgebiet weiterhin als Industriegebiet statt als Kulturregion wahrgenommen wird.

Und die Kunst? Am unmittelbarsten durchbricht Ibrahim Mahama die lokale Selbstbespiegelung. Seine Verhüllung der Kasseler Torwache gehörte bereits auf der letztjährigen Documenta zu den Lichtblicken. Nun nimmt sich der ghanaische Künstler das barocke Wasserschloss Strünkede in Herne vor und hüllt es von drei Seiten in benutzte und zusammengenähte Jutesäcke, die er in seiner Heimat im Tausch gegen neue Exemplare erhält. Die bei Brautpaaren beliebte Fotokulisse trägt nun die Spuren der Globalisierung in seinem zerschlissenen Patchwork-Gewand. Und wird von so manchem Spaziergänger im verträumten Schlosspark misstrauisch beäugt. Ibrahim Mahama durchkreuzt westliche Sehgewohnheiten und veranschaulicht vernachlässigte Zusammenhänge: Zwar endet die Produktion von Steinkohle in Deutschland, doch wird der Rohstoff weiterhin zur Energieerzeugung importiert. Neben Osteuropa, den USA und Kolumbien kam in den letzten Jahren eine geringe Menge auch aus Südafrika.

Unter welchen Bedingungen dort Kohle gewonnen wird, reflektiert Mohau Modisakeng aus Johannesburg in seiner düster poetischen Videoarbeit „To Move Mountains“, die im Dortmunder Museum Ostwall zu sehen ist. Dort wird neben internationaler Gegenwartskunst auch die direkte Verschränkung von Kunst und Ruhrbergbau präsentiert: bergmännische Laienkunst aus den Fünfzigern und Sechzigern. Von den Gewerkschaften gefördert und durch Wettbewerbe animiert, malten die Bergleute Szenen ihrer Lebenswelt – mal rührend, mal unheimlich in der dem Dilettantismus geschuldeten Leblosigkeit der Figuren.

Alphabet der Industriearchitektur

Wie Kohle in der Kunst als Material genutzt wird, lässt sich im Erweiterungsbau des Lehmbruck Museums studieren, dessen Architektur unter dem Motto „Schwarz ist Gold“ eine gefällige Kulisse für eine Vielzahl an Installationen bietet. Neben Arbeiten von Richard Serra oder Robert Smithson aus den Sechzigern und Siebzigern, als Industriematerialien Einzug in die Kunst fanden, sind Werke jüngerer Künstler und Künstlerinnen zu sehen, etwa von Lucy Skaer, die 2009 für den Turner-Preis nominiert war. Ein der arte povera verpflichteter Aschekegel von Reiner Ruthenbeck ist mit einer Dauerwelle aus Stahldraht garniert. Aus dem Nebenraum wehen Klänge von John Coltrane herüber, die zu David Hammons Installation „Chasing the Blue Train“ gehören. In der umkurvt eine blaue Spielzeugeisenbahn eine Skyline aus hochkant gestellten Pianodeckeln und durchquert einen Kohleberg. Die Route, die der Zug nimmt, führt unsichtbar durch die afroamerikanische Geschichte: vom New Yorker A-Train, der nach Harlem fährt, bis zur Underground Railroad. Das war der Name für ein amerikanisches Netzwerk, das im 19. Jahrhundert Sklaven half, aus den Südstaaten nach Norden und nach Kanada zu fliehen.

Am Rande des Bottroper Stadtgartens liegt das 1983 eröffnete Josef Albers Museum Quadrat wie der verlorene Sohn von Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie. Seine streng geometrische Architektur bildet einen idealen Hintergrund für Bernd und Hilla Bechers ikonische Industriefotografie. Seit den Sechzigern dokumentierten die Begründer der Düsseldorfer Fotoschule Industriebauten im Ruhrgebiet, aber auch in Wales, Frankreich und den USA. Von erhöhten Standpunkten mit Mittelformatkameras gaben sie der Formensprache dieser stillen Skulpturen eine Stimme. Wie ein Alphabet der Industriearchitektur muten denn auch die Typologien der Hochöfen, Fördertürme und Gasometer an. Daneben sind in der Ausstellung die „Industrielandschaften“ genannten Aufnahmen zu sehen, die die Anlagen in ihrem landschaftlichen Umfeld zeigen. Die gestapelten Gebäude einer Kokerei winden sich hier wie Bruegels „Turmbau zu Babel“ in den amerikanischen Himmel.

Ein postapokalyptischer Sandkasten für Roboter

Wer nach dieser lichtdurchfluteten Erkundung der überirdischen Zeugen des Steinkohlezeitalters unter Tage steigen will, kann dies im Kunstmuseum Bochum tun. Erbaut von den Architekten des Kopenhagener Louisiana Museums, Jørgen Bo und Vilhelm Wohlert, bietet das Gebäude mit seinen niedrigen Decken im Untergeschoss den idealen Ort für Andreas Golinskis Ausstellung „In den Tiefen der Erinnerung“. Golinski, der in Essen lebt und dem Berlin nach eigener Aussage „auf den Sack geht“, konfrontiert hier imaginierte Räume von Piranesi oder Walter Pichler mit eigenen Installationen im Schummerlicht: eine Falltür hier, eine aufgerollte Gummimatte dort. Im Obergeschoss wartet ein riesiges, von Metallwänden eingezäuntes Rechteck aus grauen Gehwegplatten, übersät von Betontrümmern. Es wirkt wie ein postapokalyptischer Sandkasten für Roboter. Wer nach so viel Schwere erst mal durchatmen möchte, kann im Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr Helga Griffiths per Destillation gewonnenes Holzkohle-Parfum einsaugen und sich anschließend im Angesicht der verkohlten Holzskulpturen David Nashs in den Flottmann-Hallen Herne besinnen.

In Gelsenkirchen, wo Alicja Kwades Uhr ihre Runden dreht, hängt im Nebenzimmer noch „Der große Regen“ von Gregor Hildebrandt. Das riesige schwarze Rechteck erinnert in der Tiefe seiner Dunkelheit und den Reflexionen des Lichts zunächst an Werke von Pierre Soulages. Doch dann zeigt sich, dass es aus unzähligen zerschnittenen Schallplatten zusammengesetzt ist. Man würde am liebsten eine Nadel über die zerkratzten Rillen ziehen und die verschlossene Zeit befreien. Vielleicht wäre das ja ein Ansatz für das Erbe der Steinkohlezeit: die Vergangenheit bewahren, indem man sie zerteilt und neu zusammensetzt.

Ruhr Kunst Museen, Programm und alle teilnehmenden Museen: www.ruhrkunstmuseen.com. Im Wienand Verlag erscheinen Kataloge zu allen Ausstellungen.

Jonas Lages

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