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Gelbe Spinne. Die weitläufige Fußgängerbrücke „Luchtsingel“ in Rotterdam, die ein bis dahin wenig einladendes Quartier entlang der Bahn zugänglich macht.

© ZUS/Annette Behrens

Ausstellungen zu Stadtplanung: Spaß am Städtischen

Raum für Experimente: Zwei Berliner Ausstellungen zu Architektur und urbaner Planung stellen interessante Projekte vor.

Einhundert Jahre ist der Zusammenschluss zu Groß-Berlin nun her, einhundert Jahre, in denen die Stadt durch Höhen und Tiefen ging und doch stets als Metropole gelten durfte.

Was das ist und dazu gehört, dazu kann man mancherlei Ansichten vertreten; mit Sicherheit aber die, dass eine Metropole vielfältig ist, überraschend, nie ganz zu überblicken, dass sie Raum lässt für Experimente, vom Reißbrett wie vom Zufall.

Zwei Ausstellungen, die beide nicht speziell zum Jubiläum ausgerichtet werden, aber dazu wunderbar passen, sind derzeit zu besichtigen, „Living The City“ im Flughafen Tempelhof und „urbainable – stadthaltig“ in der Akademie der Künste.

Die eine hat viel mit den Zufällen zu tun, die andere stellt Pläne von Architekten vor. Beide verbreiten Zuversicht: dass die Entwicklung der Stadt, immer wieder überschattet von gravierenden sozialen Problemen, weder zu Ende ist noch ihren Bewohnern entgleiten muss.

Nur können die Wege sehr verschieden sein, um eine lebenswerte Stadt zu gewinnen. „Living The City", im Auftrag des Innenministeriums zur deutschen Europa-Ratspräsidentschaft konzipiert, zeigt in der Haupthalle des Flughafens Tempelhof, was in der Interaktion mit Bewohnern und Nutzern entstehen kann – nicht notwendigerweise immer „von unten“, sondern durchaus mit den zuständigen Ämtern und Behörden, aber eben doch ausgerichtet auf den Zuwachs an Möglichkeiten und Lebensformen für die konkret vorhandenen Nutzer.

„bottom up“ und „top down“

„Urbainable“, eine Leistungsschau der Mitglieder der Sektion Baukunst der Akademie in den schönen Hallen des Düttmann-Baus am Hanseatenweg, zeigt Planungen und Vorschläge ausgewiesener Architekten für gegebene städtische Situationen und Areale.

Man ginge zu weit, wollte man die eine Ausstellung als diejenige für „bottom up“-Geschehnisse und die andere für „top down“-Projekte unterscheiden. Aber ein bisschen in diese Richtung geht’s schon.

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Dabei gibt es eine hübsche Überschneidung in Gestalt des riesigen Sozialwohnungsblocks in Bordeaux mit dem beschönigenden Namen „Quartier du Grand Parc“. Ihn hat das französische Duo Lacaton Vassal aus einer tristen Verwahranstalt in einen individuellen Lebensmittelpunkt verwandelt – einfach dadurch, dass der Fassade eine Schicht von Wintergärten vorgesetzt wurde, in denen die Bewohner ihr kleines und doch so großes Glück verwirklichen können.

Das soll nicht als Sozialtherapie missverstanden werden; aber, wie den Äußerungen der Bewohner zu entnehmen ist, macht eine solche vermeintlich kleine Veränderung ungemein viel Effekt. Eine weitere, zwar nicht Doppelung, aber große Ähnlichkeit bieten die Projekte „The Polcevera Park and The Red Circle“, ein Vorschlag von Stefano Boeri Architetti für das Areal des Autobahnbrückeneinsturzes von Genua – zu sehen bei „urbainable“ –, und in Tempelhof „Luchtsingel“ vom Büro ZUS (Zones Urbaines Sensibles) in Rotterdam.

[Mehr zum Thema: In Rotterdam führt die „Luchtsingel“-Brücke zu neuem Betrieb in einstiger Einöde. Was hinter dem Erfolgsprojekt steckt.]

Gute-Laune-Installation

Bei beiden handelt es sich um lange Fußgängerbrücken die über ganze Areale hinwegführen, die eine von roten Brüstungen eingefasst, die andere über gelbe Planken führend. Beide beseitigen das Hindernis, das Straßen und Gleise dem Fußgänger entgegensetzen, sie machen toten Grund zugänglich, und sei’s nur im Überflug.

Andererseits könnte das in Tempelhof vorgestellte Projekt „Wohnen über dem Straßenbahndepot“ der Züricher Genossenschaft Kalkbreite mit Müller Sigrist Architekten wunderbar in die Akademie-Auswahl passen.

Der kraftvolle Baublock mit bis zu gleich sieben Geschossen ist über einem weiterhin betriebenen Straßenbahndepot errichtet, und allseitig umgrenzt von Straßen und Bahntrassen. Der erklärte Verzicht auf ein eigenes Auto ist Voraussetzung für einen Mietvertrag in dieser „Stadt in der Stadt“. Man wüsste gern, ob ein solches Projekt innerstädtischer Verdichtung im deutschen Verordnungsgestrüpp überhaupt zulässig wäre.

In der Tempelhofer Gute-Laune-Installation, die die Kuratoren Lukas Feireiss und Tatjana Schneider mit dem Team von TheGreenEyl, einem „ Büro für die Gestaltung raumgreifender Installationen und Ausstellungen“, realisiert haben, sind Architektenprojekte in der Minderzahl. Es geht vielmehr um meist basisgetragene Veränderungen und Aneignungen oder einfach um die Beobachtung dessen, was sich in der Stadt ereignet.

Erde meint Wurzeln schlagen

Das kann dann auch der Fuchs sein, den der Künstler Tue Greenfort in Fankfurt/Main allnächtlich vor die Kamera bekommen hat, und der eben auch ein Stadtbewohner ist. Spiel und Spaß sind wichtig, darauf machen die Fotografien vom mittlerweile weit über die Basler Stadtgrenzen hinaus bekannten Rhein- Schwimmen samt wasserdichtem „Wickelfisch“ aufmerksam.

[Flughafen Tempelhof, bis 20. Dezember., Eintritt frei. Katalog 24 €. Tickets über www.livingthecity.eu – Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, bis 22. November. Katalog 38 €. Tickets über www.adk.de – Beide Ausstellungen mit umfangreichem Veranstaltungsprogramm.]

Ein geplantes Projekt ist „Superkilen“ im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro, wo das Künstlerkollektiv Superflex einen „Versuch radikaler Partizipation“ gestartet hat: Bewohner konnten sich städtische Objekte hierher wünschen, die sie von ihren Reisen kennen, vom thailändischen Boxring über ein jamaikanisches Soundsystem bis zur roten Erde aus Palästina.

Erde meint Wurzeln schlagen, heimisch werden in fremder Erde – die Sprache hat manche Ausdrücke für den Wunsch des Dazugehörens und der Teilhabe. „Parckfarm“ in Brüssel ist ein solches Projekt, das sich aus zarten Anfängen entwickelt hat, einschließlich „Micro-Farming“, Kleintierhaltung und Taubenschlägen. Man denkt an den guten deutschen Schrebergarten und die darin bewahrte Sehnsucht nach eigener Scholle. Nur dass das heutige Ideal kollektiv ausgerichtet ist.

Transformation statt Abriss

Mitentscheiden wollen alle gerne; indessen ist von Konflikten, wie sie konkurrierende Ansprüche an städtischen Raum nolens volens hervorbringen, nicht in Tempelhof die Rede und in der Akademie ebenso wenig.

Auch dort sitzen (junge) Menschen an einer improvisierten Freilufttafel unter einer Autobahnbrücke, organisiert vom Verein Stadtlücken, oder es radelt sich künftig durch CO2-neutrale Straßen mit Gebäuden in Holzbauweise, wie sie das Berliner Büro Sauerbruch Hutton selbst immer häufiger entwirft.

Es tut gut, dass sich in der Akademie ein Beitrag in nüchternem Schwarz-Weiß findet: Florian Nagler und Roger Boltshauser stellen eine ortsbildprägende, aufgelassene Zementfabrik in einer Schweizer Kleinstadt vor, um ihrer Mahnung zu ressourcenschonendem Umgang mit Bestandsbauten und -materialien Nachdruck zu verleihen.

„Transformation statt Abriss und Neubau“, heißt ein Kapitel in Tempelhof, es gilt genauso für verschiedene Akademie-Projekte. Beide Ausstellungen öffnen die Augen dafür, dass genug schon gebaut ist, dass es um Aneignung des Vorhandenen geht, um Um- und Bessernutzung.

Die Besucher beider bemerkenswert gut frequentierten Ausstellungen machen einen durchweg aufgeräumten, fröhlichen Eindruck. Als zwinkerten sie sich zu: nur Mut!

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