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Spartakisten hinter Zeitungspapierrollen beim Barrikadenkampf in der Schützenstraße am 11. Januar 1919.

© Photothek Willy Römer

Ausstellungen zu Berlin 1918/19: Der Winter der Revolution

Der Matrosenaufstand von Kiel und die dadurch ausgelöste Novemberrevolution beendeten vor 100 Jahren die Schlachten des Ersten Weltkrieges.

Die Menschen sind kriegsmüde, das große Sterben im Osten und Westen erscheint nach vier Jahren Krieg völlig sinnlos. Die industrielle Dimension des Massensterbens hat alle bisherigen Vorstellungen vom Krieg über den Haufen geworfen. Die Menschen sehnen sich nach Frieden.

Das war die Situation Ende Oktober 1918, kurz bevor mit der Novemberrevolution alles anders wurde im Deutschen Reich und sich die Verhältnisse von Grund auf ändern sollten. Dass mit dieser Revolution die Monarchie abgeschafft und die Grundlagen für ein demokratisches Deutschland gelegt wurden, ist in der Erinnerungskultur der Deutschen nicht besonders präsent. In der DDR war das noch anders; dort passten die „Roten Matrosen“ des Aufstandes von Kiel, wo alles begann, besser ins Geschichtsbild. In der alten Bundesrepublik dagegen mutete es seltsam an, sich mitten im Kalten Krieg positiv an eine Revolution zu erinnern – auch wenn diese Revolution zur Einführung der parlamentarischen Demokratie, des Acht-Stunden-Tages, des Frauenwahlrechts und zur Anerkennung der Gewerkschaften geführt hatte.

Hundert Jahre Novemberrevolution sind im geeinten Deutschland nun aber doch ein Anlass, sich dieser Ereignisse noch einmal zu erinnern und zu vergewissern. Auch wenn die Ereignisse von Kiel die Revolution ausgelöst haben: Berlin spielt ebenfalls eine zentrale Rolle bei allem, was dann folgte.

„Versammelt Euch! Macht Frieden!“

Die Berliner Kulturprojekte haben folgerichtig den Winter 2018/2019 zum Winter der Revolution ausgerufen und mit mehr als 60 Partnern ein reichhaltiges Programm aufgelegt, das bis Ende März 2019 läuft. 250 Veranstaltungen, Ausstellungen und Vorträge versuchen, das Spektrum der Ereignisse einzufangen – vom großen Ganzen bis in den einzelnen Kiez. Der Revolutionswinter steht programmatisch unter sieben Forderungen von einst, die die Themenfelder entlang der historischen Jahrestage beschreiben: „Versammelt Euch! Macht Frieden! Mischt Euch ein! Informiert Euch! Keine Gewalt! Beteiligt alle! Solidarisiert Euch!“ Die Parolen von damals erscheinen überraschend aktuell.

Möbelwagen wurden gerne als Barrikaden der Streikenden eingesetzt, wie hier in der Prenzlauer Straße, Ecke Linienstraße.
Möbelwagen wurden gerne als Barrikaden der Streikenden eingesetzt, wie hier in der Prenzlauer Straße, Ecke Linienstraße.

© Photothek Willy Römer

Die in der Revolution erstrittenen Grundrechte fanden Eingang in die Weimarer Reichsverfassung von 1919. Wie immer bei den Kulturprojekten, setzt man zum einen auf niedrigschwellige Angebote im Stadtraum, zum anderen auf Partner, die mit speziellen Projekten auf das Jubiläum eingehen. Darunter sind die Berlinische Galerie, das Märkische Museum, das Bröhan-Museum und das Fotomuseum der Staatlichen Museen zu Berlin, um nur einige zu nennen.

Ein zentrales Objekt des Themenwinters ist ein umgebauter historischer Möbelwagen, wie er auf vielen alten Fotos immer wieder zu sehen ist. Der Grund: Mit den Wagen konnte man recht einfach Barrikaden bauen. In dem Modell von heute verbergen sich hinter 40 Klappen Geschichten zu den Ereignissen von 1918; Hörstationen laden ein, mehr über den Alltag und einzelne Biografien zu erfahren. Das Künstlerduo Plastique Fantastique erweitert den Wagen um eine „transparente pneumatische Struktur“, um in Diskussionen und Gesprächen Passanten einzubeziehen. „Transparenz“ und „Teilhabe“ sollen so in unsere Zeit transportiert werden.

Die Revolution ließ auf Veränderungen hoffen

Die Künstlerin Christiane ten Hoevel will die Berliner mit ihrem Projekt „Anzetteln“ einladen, selber Protestschilder zu malen – wie vor 100 Jahren. Ab Februar 2019 werden sie im „Revolutionszentrum Podewil“ zu sehen sein, wo immer montags Veranstaltungen zu aktuellen Themen stattfinden.

Die nächste Station des Möbelwagens ist vom 6.-10. Dezember in Friedrichshain; der genaue Ort stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest. Weitere Stationen sind der Alexanderplatz (6.-12. Januar 2019), der Wittenbergplatz (15.-18. Januar), der Potsdamer Platz (19.-23. Januar), das Revolutionszentrum Podewil (1.-28. Februar) sowie noch einmal der Alexanderplatz (4.-9. März).

Auf einer interaktiven Karte sind 100 Orte der Revolution markiert, darunter wichtige Schauplätze, aber auch Wohnorte führender Akteure von einst. Mit einem Doppelklick öffnet sich ein Textfenster – etwa zur Kreuzung Invalidenstraße/Chausseestraße, wo es am 6. Dezember zum ersten Mal einen Einsatz massiver Gewalt gegen Demonstranten gab. Sie stießen auf eine Straßensperre regierungstreuer Soldaten, es kam zu einem Feuergefecht mit 16 Toten.

Wie sich das kulturelle Leben nach dem Ende des Ersten Weltkriegs entfaltete, zeigt die Ausstellung „Freiheit. Die Kunst der Novembergruppe 1918-1935“. Die Revolution ließ bei Künstlern und Intellektuellen Hoffnung auf Veränderungen wachsen, eine neue Zeit schien angebrochen. Die „Novembergruppe“ gründete sich als „Vereinigung der radikalen bildenden Künstler“. Ihre Palette war breit angelegt; alle Stilrichtungen der Moderne waren vertreten. Auch Musiker und Architekten gehörten dazu. In der Berlinischen Galerie werden nun 120 Werke von 69 Künstlerinnen und Künstlern ausgestellt.

Der Wunsch nach Zerstreuung nach all dem Elend war groß

Die Novembergruppe war offen für alle Kunststile. So stellte sie auch Piet Mondrians Tableau I (1921) aus.
Die Novembergruppe war offen für alle Kunststile. So stellte sie auch Piet Mondrians Tableau I (1921) aus.

© Rheinisches Bildarchiv Köln

Mitbestimmung und Vielfalt spiegeln sich in dieser Gruppe von Künstlern, die ihren Beitrag zu einer demokratischen Gesellschaft leisten wollten. Das taten sie mit mehr als 40 Ausstellungen, die die Moderne populär machen sollten. Es wurde heftig gestritten und diskutiert. Ja, selbst Karikaturen wurden zu den Ausstellungen gezeichnet. Auch der Rundfunk wurde als Medium zur Propagierung einer neuen Kunst genutzt. Legendär waren die Feste der Gruppe, aus deren Reihen es viele Künstler noch zu entdecken gilt.

In der Ausstellung „Wilhelm Schmid und die Novembergruppe“ erinnert das Potsdam Museum mit einer eigenen Retrospektive an einen Sohn der Stadt, der Mitglied der Novembergruppe war.

Wie es damals in den Straßen Berlins zuging, zeigt die Ausstellung „Berlin in der Revolution 1918/19. Fotografie, Film, Unterhaltungskultur“ der Kunstbibliothek im Museum für Fotografie der Staatlichen Museen zu Berlin. Es waren vor allem die Pressefotografen Otto und Georg Haeckel sowie Willy Römer, die mit ihren schweren Plattenkameras loszogen, um Unter den Linden, vor dem Schloss oder im Zeitungsviertel die Szenen, Redner und Menschenmengen abzulichten. Echte Kampfszenen sind dagegen selten; eher wurden in den Pausen Szenen mit Bewaffneten für die Fotografen nachgestellt.

Gleichzeitig ging das Leben ringsum mit voller Kraft weiter; der Wunsch nach Zerstreuung nach all dem Elend war groß. Filmplakate und Werbung für Revuen und Kabaretts zeugen von diesem neuen Gefühl der Freiheit.

Dem Lebensgefühl der Stadt in all seinen Dimensionen widmet das Märkische Museum die Ausstellung „Berlin 18/19. Das lange Leben der Novemberrevolution“. Wie haben die Menschen damals in diesen Wirren gelebt? Wie sah der Alltag der Revolution aus? Wie kam es de facto zum Bürgerkrieg?

Grosz’ Leben als Künstler wurde von der Revolution geprägt

Die Revolution wurde später sehr unterschiedlich gesehen: Die einen dämonisierten sie, die anderen verherrlichten sie. Im „Studio Revolution“ werden sich Jugendliche zusammen mit Künstlerinnen und Künstlern mit ihrer Sicht auf die Revolution und die Gewalt unserer Zeit auseinandersetzen.

Das Bröhan Museum stellt in der Ausstellung „George Grosz in Berlin“ das Schaffen dieses bedeutenden Künstlers der Weimarer Republik in den Mittelpunkt. Grosz’ Leben als Künstler wurde von der Revolution und den sich anschließenden Wirren der jungen Republik geprägt. 200 Werke aus Berliner Museen und Privatsammlungen sind zu sehen – darunter einige, die weniger bekannte Facetten des Künstlers beleuchten, wie etwa seine Fotoarbeiten oder sein Wirken als Kostüm- und Bühnenbildner.

Bei diesem Jubiläum gibt es noch vieles neu zu entdecken. Zum Beispiel den Bankier, Politiker, Landwirt, Kunstsammler und Mäzen Hugo Simon (1880-1950), eine bedeutende Persönlichkeit im Berliner Leben der Weimarer Republik. Die Brasilianische Botschaft widmet ihm eine Ausstellung, da er als Jude 1933 nach Paris und 1941 nach Brasilien emigrierte, wo er 1950 starb. 1918 war er für kurze Zeit für die USPD Finanzminister im Preußischen Revolutionskabinett – daher sein Spitzname „der rote Bankier“. Im Oderbruch unterhielt er in den 20er-Jahren ein landwirtschaftliches Mustergut und engagierte sich kulturell. Mit bisher unveröffentlichten Fotos und Dokumenten will diese Ausstellung an das Wirken dieses heute vergessenen Mannes erinnern.

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