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Farbenfroh. Projektion von Leiko Ikemura in der Berliner St. Matthäus-Kirche.

© Philipp von Matt, VG Bildkunst Bonn 2020

Ausstellungen nach Lockdown: Endlich wieder Kunst im Raum!

Innen jubeln die Farben: Die japanische Künstlerin Leiko Ikemura zeigt in der Berliner St. Matthäus-Kirche einen Kommentar zur Übergangszeit.

Endlich wieder eine Ausstellung nach dem Lockdown, das könnte eine Erlösung sein: endlich wieder Kunst im konkreten Raum, endlich wieder Begegnung mit realen Menschen und nicht nur auf dem Bildschirm, endlich wieder etwas Normalität.

Erlösung wird jedoch keine geliefert, obwohl die Ausstellung in einem Gotteshaus stattfindet. Normalität gibt es ohnehin so schnell nicht wieder, auch wenn die Restriktionen zunehmend gelockert werden.

Leiko Ikemuras Rauminstallation „In Praise of Light“ in der Berliner St. Matthäus-Kirche ist der passende Kommentar zum Übergang zwischen Hoffen und Bangen, Fürchten und Freuen, dass wir uns alle sukzessive wiedersehen und die Kunst unmittelbar betrachten können.

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Ursprünglich war die Ausstellung als Auseinandersetzung mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren geplant, der die Kirche als Ruine zurückließ. Als einziges historisches Gebäude auf dem Terrain des heutigen Kulturforums wurde sie wiederaufgebaut, wenn auch mit modernisiertem Innenraum.

Die einst farbigen Fenster kehrten nicht wieder zurück. Das seitdem klar einfallende Licht hat die Rationalität des kühlen Interieurs nur noch mehr betont. Mit Leiko Ikemura richtet nun erstmals ein Gast der Stiftung St. Matthäus seine Aufmerksamkeit auf genau diesen Bauteil und schenkt der Kirche zumindest vorübergehend farbiges Licht zurück.

Künstlerin möchte sich nicht festlegen lassen

Die Methode ist einfach: Auf beiden Seiten des Langschiffs sind als Folie ursprünglich auf Nessel gemalte abstrakte Bilder eingelassen. Die Fenster rundum wurden mit Buttermilch bestrichen, so dass sie transluzent erscheinen.

Umso lichter erstrahlen die abstrakten Landschaften der japanischen Künstlerin. Leiko Ikemura schließt zwar den Kirchenraum nach außen ab, aber innen jubeln die Farben. Ihr „Lob des Lichtes“ setzt sich in der Apsis mit einer an die halbrunde Wand geworfenen Projektion fort, die als Loop die gleichen transparenten roten, blauen Farben kontinuierlich nach oben aufsteigen lässt.

Die Vorstellung von Auferstehung, wie sie im Gottesdienst gefeiert wird, hat auf diese Weise eine ganz andere Bedeutung gewonnen.

[St. Matthäus, Matthäikirchplatz, Di bis Sa 12 – 16 Uhr, So bis 18 Uhr.]

Doch so genau möchte sich die Künstlerin da nicht festlegen lassen – nicht auf die christliche Heilsbotschaft, nicht auf eine bestimmte Lesart. Religion sei ein universales Bedürfnis, antwortet sie ausweichend auf die Frage nach der Aussage ihres nach oben strömenden Farbflusses.

Ebenso wie ihre Bilder zwischen Abstraktion und Figuration changieren, zeigt sich Ikemura für jegliche Interpretation offen. Die größte Herausforderung an den Besucher stellt ohnehin ihre Liegende mitten im Sakralraum dar. Die weiß glasierte Terrakotta-Figur auf schwarzem Stein – „Memento mori“ genannt – bannt jeden, der die Kirche betritt.

Die Märtyrerin. Leiko Ikemuras weiß glasierte Terrakotta-Skulptur „Der Schrei“ von 2016.
Die Märtyrerin. Leiko Ikemuras weiß glasierte Terrakotta-Skulptur „Der Schrei“ von 2016.

© Philipp von Matt, VG Bildkunst Bonn 2020

Die pathetische Platzierung dieser seitlich gelagerten Mädchenfigur, die anmutig wie im Schlaf ihre Hände unter den Kopf gelegt hat, doch durch die klaffenden Lücken in ihrem Korpus an eine Gewalttat gemahnt, ist der neuen Anordnung der Sitzbänke geschuldet.

Sie stehen jetzt kreisförmig, damit die Abstandsregeln gewahrt bleiben. Corona ist der Subtext dieser Installation. Eine Tote, so zärtlich sie auch gebettet ist, liegt mitten im Raum, der sich nach außen abschottet. Wohin mit der Trauer, wohin mit der Angst?, das scheint die Figur im Kirchenraum zu fragen.

Leiko Ikemura ist eine Meisterin darin, mit feinen Materialien, lieblicher Personage den größtmöglichen Schrecken zu erzeugen. Wer weiter durch St. Matthäus geht, entdeckt erst hinter dem letzten Pfeiler links ihre Standfigur, eine Heilige besonderer Art.

Die glasierte Terrakotta „Der Schrei“ ist auch aus Gründen der Schonung nicht gleich beim Eintreten zu sehen. Statt eines Gesichts besitzt die Skulptur einen offenen Krater. Wie bei Munchs gleichnamigem Gemälde hat sie die Hände zum Kopf gehoben, als wäre das Gesehene nicht zu fassen. Ikemuras Märtyrerin bezieht sich auf den Schmerzensmann aus der Riemenschneider-Werkstatt schräg gegenüber. Beider Leid steigert sich gegenseitig.

Zum Innehalten einladen

Die Künstlerin preist das Licht, doch Trost spendet sie nicht. „Es geht nicht um Spektakel“, sagt die frühere UdK-Professorin. Schon viel zu lange werde die Kunstwelt durch immer neue Events getrieben, der Markt sei überhitzt.

Das unsichtbare Malheur Corona habe dem ein Ende gesetzt. Ihre Installation soll zur Konzentration, zum Innehalten einladen. Das mag unter dem Diktat der Abstandswahrung sogar noch ein bisschen besser gelingen.

Die Besucherzahl ist begrenzt, ebenso beim Gottesdienst zur Eröffnung, bei dem die Publizistin Lea Rosh die Kanzelrede zum 75. Jahrestag der Befreiung hält (10. 5., 18 Uhr, Anmeldung: info@stiftung-stmatthaeus.de). Die Einkehr ist ab sofort möglich.

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