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Ausstellung zu Man Ray: Zwischen den Welten

Eine Ausstellung im Wiener Kunstforum will zeigen, dass Man Ray viel mehr war als ein Fotograf.

Auf der Fotografie aus dem Jahr 1948, auf der Man Ray ein eigenes Gemälde hält, schaut er etwas unglücklich drein, das etwas zu große Jackett am schmalen Körper eher schlotternd als sitzend. Das Gemälde trägt den Titel – die Fotografie nennt ihn nicht –, „All’s well that ends well“, nach dem Shakespeare-Stück „Ende gut, alles gut“, das selbst weniger eine Komödie ist, als es der Gattung problem play zugeordnet wird. Der Titel hat mit dem Motiv des Bildes, dem 3D-Modell einer mathematischen Gleichung, nichts zu tun; Man Ray liebte verrätselnde Betitelungen. Hier aber passen Fotografie, Bildgegenstand und Titel hintergründig zusammen, und wenn man dann auch noch dem Entstehungsjahr 1948, drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, Bedeutung beimessen will, hat man eine Allegorie des menschlichen Schicksals vor Augen, insbesondere aber eine des Lebenswegs dieses Künstlers.

Denn so richtig gut ist es, vom Ende her betrachtet, dann doch nicht gewesen. Der dauerhafte Ruhm, den jeder Künstler mit seinem Werk zu erlangen hofft, wurde Man Ray nicht zuteil. Während seine fotografischen Arbeiten „in keiner Überblicksausstellung zu Dadaismus und Surrealismus fehlen, ist er bis dato im deutschsprachigen Raum als Universalkünstler nur wenigen ein Begriff“ – behauptet jedenfalls Lisa Ortner-Kreil, die als Kuratorin die Man-Ray-Retrospektive zusammengestellt hat, die soeben im rührigen Bank Austria Kunstforum in Wien eröffnet wurde.

Genau das ist das Problem: Man Ray hat vieles, sehr vieles gemacht, aber er hat außer der Fotografie in keiner künstlerischen Gattung wirklich brilliert. Sein Werk ist eben gerade das Vielseitige, das Gattungsübergreifende, das Nicht-festgelegt-sein-Wollen, das er mit seinem Freund seit Jungkünstlertagen, Marcel Duchamp, teilt, ohne doch dessen Radikalität zu erreichen – und dessen ergebene, ruhmkündende Jünger zu gewinnen.

Man Ray besticht durch seine Vielseitigkeit

Ortner-Kreil will die Fotografie einmal nicht in den Vordergrund stellen, sondern die Multimedia-Arbeiten. Im Kunstforum sind Werkgruppen aufgebaut, etwa die berühmte verpackte und verschnürte Nähmaschine, die auf einem Gemälde in verwandelter Form, doch unverkennbar wieder auftaucht; oder das nicht minder berühmte Gemälde mit dem Charakterkopf des Marquis de Sade, den Man Ray in einer autonomen Zeichnung festgehalten und später noch zu einer eigenständigen Bronze umgeschaffen hat. Die Titel, wie gesagt, tun nichts zur Sache außer eben der Verrätselung – was die Surrealisten, denen sich Man Ray, der gebürtige und im Lande aufgewachsene Amerikaner, ab 1921 in Paris anschloss, aufs Höchste goutierten. Aber wie das so mit Künstlergruppen ist – es gibt Anführer und Gefolgsleute, und Man Ray war eher Letzteres; nicht egoman genug, um wie Breton das große Wort zu führen, und nicht exzentrisch genug, um wie Tristan Tzara schon als Person aufzufallen.

Als Emmanuel Radnitzky 1890 in Philadelphia geboren, fand er seine künstlerischen Impulse im Umfeld der legendären Galerie „291“ des großen Fotografen Alfred Stieglitz in New York, ohne zunächst an Fotografie zu denken. Stattdessen malte er und schuf mit dem Gemälde „Die Seiltänzerin begleitet sich selbst mit ihren Schatten“ von 1916 eine Ikone der Moderne in den künstlerisch noch so dürren USA, ohne an dieses Werk fürderhin anzuknüpfen. Duchamp, den er seit 1915 kannte, war ihm Vorbild beim Wechsel zu ready-mades wie dem Mobile aus Kleiderbügeln, „Obstruktion“ von 1920, und erst recht zu Schachbrettern, die er jedoch weniger gut als der Beinahe-Profi Duchamp bespielte und stattdessen lieber in verschiedensten Materialien gestaltete.

Immer wieder stechen einzelne Objekte aus seinem Œuvre als „ikonisch“ – wie man das heutzutage nennt – heraus, so das Bügeleisen mit den Stahlstiften auf der Unterseite oder das „Unzerstörbare Objekt“, das lediglich ein Metronom mit der auf dem Pendelstab montierten Fotografie eines Auges ist. Die Objekte sind in Wien sehr schön auf zwei L-förmigen, durchgehenden Sockeln platziert und mitten in den großen Saal der Raumfolge des Kunstforums gestellt, um so ihre Bedeutung zu unterstreichen.

Seine ikonische Objekte, auf Sockeln platziert

Angrenzend findet der Besucher einen regelrechten Kinoraum vor, mit drei Reihen hölzerner Klappsitze. Gespielt werden die Filme, die Man Ray gedreht hat, experimentell, mit gewagten Perspektiven etwa aus dem fahrenden Auto heraus. Für den Grafen Noailles sollte Man Ray einen Film über dessen hypermoderne Villa an der Cote d’Azur drehen; nur hat das Ergebnis mit diesem klar-kantigen Bau nicht viel zu tun. So ist es häufig. Man weiß nicht recht, wohin Man Ray – so nannte er sich seit 1912 – eigentlich will.

Seine eigentliche Domäne wurde die Fotografie – die die Wiener Ausstellung durchaus opulent vorführt, aber gerade nicht in den Mittelpunkt rücken will. Dorthin rückt sie jedoch von ganz alleine. Denn was Man Ray mit der Kamera – und auch ohne sie, allein mit Filmmaterial und Licht – geschaffen hat, steht tatsächlich in der ersten Reihe dieser künstlerischen Gattung. Es begann mit den „Rayografien“, kameralosen Belichtungen von zufälligen Gegenständen auf Film, einer Art écriture automatique, wie sie die Surrealisten schätzten und forderten. Eine ganze Mappe hat er 1922 daraus gefertigt, „Champs délicieux“, eine Namensanspielung auf den Pariser Prachtboulevard.

Aufregende Liebesbeziehung zu Lee Miller

Bald etablierte Man Ray ein Fotostudio und machte sich als Porträtist einen Namen. Arnold Schönberg, Virginia Woolf, von Picasso das wiederum „ikonische“ Bildnis mit aufgestütztem Kopf 1932. Dann machte er, sehr erfolgreich, Modefotografie für Magazine wie „Harper’s Bazaar“, aber da hält sich die Wiener Ausstellung merklich zurück. Stattdessen widmet sie dem bis dato eher verschwiegenen Kapitel der aufregenden Liebesbeziehung zu Lee Miller – die selbst eine bedeutende Fotografin wurde – breiten Raum und zeigt eine Reihe höchst „expliziter“ Fotos aus diesen drei Jahren zwischen 1929 und 1932. Zum Szene-Star Kiki de Montparnasse hatte Man Ray eine enge künstlerische Beziehung, aus der unter anderem die Fotografie „Noire et Blanche“ von 1926 hervorging, die den in den Pariser Kreisen selbstverständlichen Umgang mit ethnografischen Objekten spiegelt.

1940 ging Man Ray in die USA zurück, um 1951 erneut nach Paris zu kommen. Er pflegt die Freundschaft mit Duchamp, hier oder an der sonnigen Côte d’Azur, er wird älter, und das Ideal früherer Jahre, sich künstlerisch nie zu wiederholen, verblasst. Er fertigt Auflagenobjekte, daneben malt er und fotografiert weiterhin. Ganz zum Schluss entsteht 1973 die Reihe der „Milchstraßen“, Spuren von verlaufener Milch auf Glas, die visuell ganz nah an die Rayografien der Frühzeit rücken. Ein großer Maler, wie er einst gehofft hatte, ist Man Ray nie geworden. Sein Ruhm hängt an der Fotografie, und der Witz der Wiener Ausstellung liegt darin, dies gerade dadurch hervorzuheben, dass sie es zu widerlegen sucht.

Wien, Bank Austria Kunstforum, Freyung 8, bis 24. Juni. Katalog 32 €. – Mehr unter www.bankaustria-kunstforum.at

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