zum Hauptinhalt
Die sich zum Fenster lehnende Dame ist Teil eines größeren Werkes

© bpk/Kupferstichkabinett, SMB/Dietmar Katz/Jörg P. Anders

Ausstellung zu Adolph Menzel: Hund und Herrschaft

Das Kupferstichkabinett feiert die Rückkehr verlorener Bilder von Adolph Menzel. Sie geben einen tiefen Einblick in die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts.

Es ist dieser Tage nicht ganz einfach, die Museen europäischer Kunst am Kulturforum zu besuchen. Eine weiträumige Absperrung, hinter der sich ab Spätherbst die Baustelle des Museums des 20. Jahrhunderts auftun soll, versperrt den direkten Weg. Hat man sich seitlich vorbeigedrückt und wählt den ebenerdigen Eingang zur Kunstbibliothek, empfängt einen die Hinterzimmerscheußlichkeit dieser missglückten Architektur. Schnell die Treppe hinauf in die zweite Etage zum Kupferstichkabinett, wo ein improvisierter Kassentisch vor dem zimmertürkleinen Einlass wacht. Dann endlich ist man drinnen.

Man ist drinnen, und das Scheußliche bleibt draußen. Fast möchte man sagen, alles Irdische – wäre nicht Adolph Menzel, dessen farbigen Arbeiten auf Papier die gegenwärtige Ausstellung gilt, der Meister des Irdisch-allzu-Irdischen. Er ist der Realist des 19. Jahrhunderts. Nicht nur in der deutschen Kunst seiner Zeit gibt es keinen, der ihm auch nur nahekäme.

In der ganzen westlichen Kunst seiner Zeit findet sich kein anderer, der so exzessiv wie Menzel das Wirkliche gesucht und bis in die unbedeutendsten Begebenheiten hinein aufgespürt hätte – und sei es die „Ratte im Rinnstein“ von 1863/83, ein nicht einmal postkartengroßes Blatt in anspruchsvollster Technik, „Aquarell, Gouache und schwarze Tusche, mit transparentem Überzug partiell akzentuiert, auf beige-braunem Tonpapier“, wie der Katalog Auskunft gibt. Der macht mit seinem undefinierbar braunoliven Einband nicht viel her, erweist sich aber beim Aufblättern als unverzichtbarer Begleiter, nicht zuletzt wegen der Ausschnittvergrößerungen, die einzelne Blätter so detailliert vors Auge führen, wie es kein Blick auf das Original vermag.

Getrennte Bilder wieder zusammengeführt

Äußerer Anlass der Ausstellung, die Anna Marie Pfäfflin besorgt hat und dabei auf die Mitarbeit der beiden Menzel-Kenner Werner Busch und Claude Keisch zählen konnte, ist die Rückkehr einiger im und nach dem Krieg verlorener Arbeiten in den Bestand der über 6000 Blätter, die das Kupferstichkabinett hütet. Mehr als zwei Drittel davon kamen mit dem Nachlass des 1905 im Alter von 90 Jahren verstorbenen Künstlers in die damalige Königliche Nationalgalerie. So lassen sich jetzt erstmals eine Dame und ein Herr im Eisenbahncoupé als auf ein und derselben Bank des Waggons sitzend zusammenführen, auch wenn die Ordnungsliebe der Kuratoren sie mit Abstand voneinander zeigt.

Die Dame schaut nach links angestrengt aus dem Fenster, der Herr, zweifellos ihr Gatte, ist im Schlummer mit gähnendem Mund nach rechts zurückgesunken. Dieses 1859 entstandene Blatt – denn es war ursprünglich eines – verrät so viel über die bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, dass es ganze Sozialstudien erübrigt. Und nicht etwa als Karikatur wie beim französischen Zeitgenossen Honoré Daumier, sondern als Dokument, das der damals zum Medium erster Hand aufsteigenden Fotografie die geistige Durchdringung des Gegenstandes voraus hat.

Arbeiten mit drei Medien

Bei der Ausstellung geht es dem Titel gemäß um „Malerei auf Papier“ – also nicht um die bloße Zeichnung, sondern die vielfältigen Formen farbiger Darstellung auf Papier. Menzel beherrschte alle Techniken, zudem wusste er sie virtuos zu kombinieren. Anders als bei der Mehrzahl seiner Zeichnungen handelt es sich zumeist nicht um bloße Notierungen oder auch nur Vorstudien, sondern um eigenständige Werke. Das hat mit der sich wandelnden Rolle der Kunst im 19. Jahrhundert zu tun, das der 1815 geborene Menzel zu zwei Dritteln schöpferisch begleitet.

„So wird man sagen können“, schreibt der durch seine große Monografie von 2015 ausgewiesene Menzel-Experte Werner Busch im Katalog, „dass die drei künstlerischen Medien Aquarell, Pastell und Gouache in gewisser Weise die historisch angemessene Form für die Kunst Menzels sind“. Bündig erklärt der Kunsthistoriker: „Es sind private Arbeiten für Privatpersonen.“

[Kupferstichkabinett, Kulturforum, bis 19. Januar; Di bis Fr 10–18 Uhr, Sa/So 11–18 Uhr]

Das sehende Auge führte die Hand

„Menzel ist sehr vieles“, hat der befreundete Theodor Fontane zum 70. Geburtstag des Meisters 1885 orakelt. Scheinbar wahllos führt der Dichter auf, was dieses „viele“ bei Menzel sei. Es ist tatsächlich alles, was das Auge erblickt. Endlos ließe sich aufzählen, was allein die jetzt versammelten 102 Blätter zeigen. Weil das sehende Auge Menzel die Hand führt, kennt er keine vorgefasste Hierarchie der Bildgegenstände.

Der aufspringende Hund im „Besuch im Eisenwalzwerk“ von 1900 ist nicht weniger prominent, sondern eher stärker ins Bild gesetzt als die Herrschaften, die in der Bildmitte einander begrüßen. In der Wiedergabe des Gesehenen macht Menzel keine Kompromisse, schon gar keine faulen. Hier, in diesem einen, stillen Raum des Kupferstichkabinetts, lässt sich erfassen, wie „vieles“ er war – nämlich, wie Fontane fortfährt: „Um nicht zu sagen alles.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false