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Die Papiertaube. Picasso malte sie 1942.

© Michèle Bellot/RMN-GI, Succession Picasso/VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Ausstellung zeigt Phase von 1939-1945: Picasso während des Zweiten Weltkrieges - ein unpolitischer Künstler?

Picasso flüchtet zu Kriegsbeginn in den Süden Frankreichs. Er malt düstere Tierbilder und Frauenkörper. Eine Schau in NRW zeigt diese Phase seines Werks.

Die Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen hat Glück gehabt: Sie konnte die durch die Corona-Schließung unterbrochene Ausstellung „Picasso, Kriegsjahre 1939-1945“ dank des Entgegenkommens der Leihgeber bis Ende Juli verlängern.

Die Gelegenheit, hochkarätige Werke Picassos vor allem aus dem Pariser Stammhaus, dem Musée Picasso, zu zeigen, zumal bei diesem, bislang nicht gesondert behandelten Kapitel in des Meisters ausuferndem Schaffen.

Eine merkwürdige Parallele drängt sich auf: So, wie Picasso nach dem Abzug der deutschen Besatzer Ende August 1944 wieder an die Öffentlichkeit trat, sind jetzt seine Werke in Düsseldorf nach der lähmenden Schließzeit wieder zu sehen.

Düster genug geht es auf den Bildern zu, die Picasso ganz überwiegend in seinem Atelier in der Pariser rue des Grands-Augustins nahe dem linken Seine-Ufer geschaffen hat. Nachdem der spanische Künstler wie Tausende Pariser bei Kriegsbeginn in den Süden Frankreichs geflüchtet war, kehrte er ein Jahr später als einziger Quasi-Exilant nach Paris zurück.

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Die Beweggründe sind bis heute unbekannt; sicher ist, dass Picasso als schon damals weltberühmter Künstler auf eine gewisse Unantastbarkeit rechnen durfte. Sicher ist aber auch, dass er sich niemals offen gegen die Besatzer aussprach und in seinen Bildern – die Düsseldorfer Ausstellung zeigt es – jeden direkten Bezug auf den Krieg vermied. Die gemalte Anklage „Guernica“, entstanden 1937, lag da schon ein paar Jahre zurück und befand sich inzwischen in den USA.

Picasso ist eher an Kunst als an Politik interessiert

Picasso malte nun oft in düsteren Farben. Die zahlreichen Bilder mit Tierköpfen und -schädeln sind sicherlich als Reaktion auf den Horror des Krieges zu verstehen. Aber nicht nur. 1943 kulminiert die Reihe der Tierbilder in der leicht überlebensgroßen Skulptur „Mann mit Schaf“.

Sie ist das Hauptwerk der in Düsseldorf gezeigten Periode, der Inbegriff des Widerstandes gegen die von deutscher Seite aufoktroyierte Kunst eines Arno Breker, der in Paris 1942 eine pompöse Ausstellung erhielt.

Picasso „stellt dem arischen Helden, der sich mit seiner Kraft und Virilität brüstet, einen geschlechtslosen Hirten entgegen, der weder jung noch alt ist und dessen einziger Reichtum in einem aufgeschreckt blökenden Schaf besteht“, heißt es im Katalog: „Er ist der Mensch schlechthin.“

„Man darf Picassos Werk nicht allein unter dem Aspekt des politischen Kontextes dieser schwarzen Jahre betrachten“, heißt es an einer anderen Stelle des sehr informativen Katalogs. Man möchte korrigieren: eher gar nicht. Denn Picasso bleibt zu allererst an der immer neuen Lösung künstlerischer Probleme interessiert.

Der Mythos von Picasso als kommunistischem Aktivisten

Im Alltagsleben hatte er genug damit zu tun, sich um seine beiden Geliebten Marie-Thérèse Walter und Dora Maar zu kümmern. Als er dann noch die Beziehung zu der 40 Jahre jüngeren Françoise Gilot beginnt, hat er erst recht weder Zeit noch Veranlassung, sich politisch zu exponieren.

Am erstaunlich reichen Kulturleben im besetzten Paris nimmt er nicht teil, und gelegentliche Besuche von Wehrmachtsangehörigen, am bekanntesten der von Ernst Jünger, bezeichnen schon den ganzen Kontakt, den er mit den Deutschen unterhielt oder besser ertrug.

Das kommt ihm nach der Befreiung zugute, als er, kurz zuvor in die Kommunistische Partei (PCF) eingetreten, zu einer Ikone der résistance wird, obwohl man eher von „innerer Emigration“ sprechen sollte.

Im zentralen Katalog-Essay ist denn auch ernüchternd vom „Mythos von Picasso als dem von der kommunistischen Weltanschauung durchdrungenen Aktivisten“ die Rede. Nicht zuletzt aufgrund dieser Mythenbildung macht die „Taube“, die er im Dezember 1942 auf Papier gemalt hatte, ein Nebenwerk im Œuvre dieser Zeit, nach dem Krieg als symbolische „Friedenstaube“ Karriere.

[Düsseldorf, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Grabbeplatz 5, bis 26. Juli. Katalog im Wienand Verlag, 39 €. – Zeitfenstertickets bei www.kunstsammlung.de]

Daneben malt Picasso häufig Stillleben von meist frugalen Mahlzeiten, die die mangelhafte Versorgung der Besatzungszeit spiegeln (wenngleich sein Stammlokal „Le Catalan“ dank des Schwarzmarktes die gewohnte Küche bieten konnte).

Vor allem malt er seine Geliebte Dora Maar, doch nicht im Portrait, sondern als Modell für die Auseinandersetzung mit dem weiblichen Körper, den er malend zergliedert und neu kombiniert. Eine ganze Serie der „Frau im Lehnstuhl“ entsteht in Zeichnungen und Gemälden.

Deren vielleicht schönstes, vom 12. Oktober 1941, befindet sich heute in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Es ist ein Hauptwerk der Ausstellung und war ein Anlass, diese Picasso-Ausstellung nach ihrer französischen Erstpräsentation nach Düsseldorf zu holen. Sie verändert und historisiert das eingeschliffene Bild, das man sich vom vermeintlich zeitlosen Jahrhundertkünstler Picasso gemacht hat.

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