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Widersprüchliche Figur. Wieland Wagner auf einem Selbstporträt.

© Richard-Wagner-Museum

Ausstellung über Wieland Wagner: Von Hitlers Liebling zum Reformer

Komplizierte Wahrheit. Die Bayreuther Ausstellung „Es gibt nichts Ewiges“ erforscht die Biografie des Komponistenenkels Wieland Wagner.

Er gilt als Erfinder von Neu-Bayreuth, als Entrümpler von Hitlers Hoftheater. Wieland Wagner war erst 34, als er mit seinem Bruder Wolfgang 1951 die Leitung der diskreditierten Festspiele übernahm, die noch 1944 „Meistersinger“ vor NS-Frontsoldaten zur Aufführung gebracht hatten. Als künstlerischer Leiter brach Wieland mit Naturalismus und Nationalismus, präsentierte abstrahierend-geometrische Bühnenarchitekturen, antikisierende Kostüme, tiefenpsychologische Werkdeutungen à la Freud und C. G. Jung. Festwiesen-Getümmel, Drachenhöhlen und Götterburgen ersetzte er durch leere Räume, arbeitete mit Farbe und Chiffren. So sorgte er für den späten Anschluss Bayreuths an die Moderne. Die Scheibe anstelle des Walkürenfelsens wurde sein Markenzeichen. Nach seinem Krebstod mit nur 49 Jahren blieb Wolfgang Wagner alleiniger Prinzipal, bis 2008.

Revolutionen gehen in Bayreuth leise über die Bühne. Zum ersten Mal erklang im Festspielhaus nicht nur Wagners Musik, sondern auch Verdi und Alban Berg – beim Festakt zum 100. Geburtstag von Wieland. Der Stiftungsrat musste es eigens genehmigen. Die Jubiläumsausstellung im Richard-Wagner-Museum wiederum würdigt keineswegs nur den Reformer Wieland, sondern auch den Liebling und Günstling Hitlers. Wobei ein Besucher das Wort „Liebling“ im einleitenden Wandtext durchgestrichen hat. Es gibt immer noch Wagnerianer, die die Verklärung der Aufklärung vorziehen.

Mit der Wahrheit ist es eine komplizierte Sache. So nachhaltig der Komponistenenkel Bayreuth in seinen 15 Festspieljahren zukunftstauglich machte, so zweifelhaft bleibt seine Rolle in der NS-Zeit. Im Rahmen des ebenfalls erstmals anberaumten Festspiel-begleitenden Symposiums wurden die von Bruder Wolfgang gedrehten Filme der Hitler-Besuche in Haus Wahnfried gezeigt. Da buckelt Wieland vor „Onkel Wolf“ im Garten, damit der auf seinem Rücken eine Zeichnung zu Papier bringen kann. Der Diktator als Möchtegern-Maler, der Winifred-Sohn als Höfling, ein sprechendes Bild.

Wieland war NSDAP-Mitglied und im KZ-Außenlager Bayreuth tätig

Zwar inszenierte der junge Wieland in den nationalsozialistischen Jahren nicht, steuerte lediglich Bühnendekorationen zum 1937er „Parsifal“ und zu den Kriegs-„Meistersingern“ bei. Aber die seelische Erschütterung nach der Zerstörung des Familiensitzes durch eine Fliegerbombe im April ’45 und die überdeutliche Distanzierung von der Hitlerei – Wieland ließ im Garten eine Mauer zum Siegfriedhaus errichten, in dem seine Mutter alte Nazigrößen empfing, – sind nur eine Seite der Medaille.

Wieland war NSDAP-Mitglied, wurde anders als Wolfgang vom Kriegsdienst freigestellt und war im KZ-Außenlager Bayreuth tätig, in dem auch Häftlinge aus Flossenbürg zwangsarbeiten mussten. Das verschwieg er bei der Entnazifizierung, er wurde als Mitläufer eingestuft. „Scham macht stumm“, sagte seine Tochter Nike Wagner 2016. In seiner Jugend sei er eingekreist gewesen von Ideologie.

Die Einkreisung wird nachvollziehbar in der textlastigen, mit auratisch im Raumdunkel aufleuchtenden Stoffbahnen bestückten Ausstellung im schönen neuen Museumsanbau des Berliner Architekten Volker Staab. Es geht voran mit der Vergangenheitsbewältigung in Bayreuth – wobei Museumsdirektor Sven Friedrich das Wort nicht mag, es klingt ihm zu sehr nach Erledigen. Die Frage lautet allemal: Wie viel Hitler steckt in Wagner? Diesmal: in Wieland.

Wagner als kultisches Theater

Erst sind Stichworte zur Familiengeschichte nachzulesen – über Vater Siegfried, der sich trotz homosexueller Neigung auf die Ehe mit Winifred einlässt und dem seine Kinder herzlich egal sind, oder den Regie-Konkurrenten Heinz Tietjen, der nach Siegfrieds Tod die Vormundschaft für die Kinder übernimmt und Wieland nicht zum Zug kommen lässt. Trotzdem blieb Wahnfried mit seiner „machtgeschützten Innerlichkeit“ eine heile Welt, eine Kunst- und Musikoase mitten im Krieg. Zur Familienaufstellung gehören auch die sehr verschiedenen Schwestern, die offen opponierende Friedelind und Verena, die einen SS-Offizier heiratet. Schließlich: die schnelle Karriere ab 1951, Wieland als „Kriegsgewinnler“.

Gern ließ er die Musikwelt glauben, dass er sich alles selbst beigebracht hat. Auch diese Halbwahrheit vom Autodidakten rückt die Ausstellung zurecht. Als Erstgeborener durfte er als einziger Abitur machen, erlernte jedoch nicht systematisch das Opernfach, sondern absolvierte Privatstudien in München und assistierte bei Bühnenbildner Alfred Roller. Seine Wegbereiter hat er später kaum erwähnt. Auch die Inspiration durch die abstrakte Kunst von Max Ernst bis Klee und die Mitwirkung seiner Frau, der Ausdruckstänzerin Gertrud Reissinger, wird in der Schau gewürdigt. Einschließlich der Tatsache, dass er die Gattin und Mitstreiterin privat abservierte, als er sich in Anja Silja verliebte und das Verhältnis 1962 auch öffentlich machte.

Wagner als kultisches Theater, die Suche nach archetypischen Formen und die psychologisierende Personenregie veranschaulicht die Ausstellung auch in Film- und Tondokumenten. Wielands fränkisches Idiom, wenn er von Wagners Bretterbude auf dem Grünen Hügel als schönstem Haus der Welt spricht oder von der Symmetrie als „Wesensmerkmal des Feierlichen“, seine heiter-linkische Art, den Walküren bei der Probe ihre Gangart vorzuspielen, machen den Kontrast von Provinz und Weltbühne offenkundig. Wieland inszenierte auch in Stuttgart, Frankfurt, Paris oder an der Scala, 80 Produktionen verzeichnet seine Werkbiografie. Er kämpfte um Anerkennung. Seine Bewerbung um eine Intendanz in Berlin wurde abgelehnt, das hat ihn gekränkt.

Ein Raum mit Zitaten aus Verrissen

Die akribischen Notate in den Regiebüchern, die Bühnenstempel mit den Grundformen der Inszenierungen, das Foto von seiner 63er „Meistersinger“-Schusterstube als Schnellbesohlungskiosk – sie werden in der Ausstellung zu Zeugnissen einer zwischen Symbolik und neuem Realismus vermittelnden Ästhetik. Schöne Idee, den ganz in Schwarz gehaltenen Raum – im Kontrast zum schneeweißen Design der mit der Wiedereröffnung des Museums 2015 entrümpelten Dauerausstellung – durch Zitate aus Verrissen aus den Sechzigern aufzulockern. Etwa von „Zeit“-Kritiker Walter Abendroth, der nicht müde wird, über Wieland Wagners „Hokuspokus“ zu wettern. Oder von Marcel Reich-Ranicki, der dessen Venus eine „Gymnastiklehrerin“ schimpft.

Das Neue hat es nie leicht. Erst recht, wenn es die Leichen im eigenen Keller verdrängt.

Richard-Wagner-Museum Bayreuth. Bis 19. November. Im August täglich 10–18 Uhr, ab September Di–So 10– 17 Uhr.

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