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Sound der Großstadt. Otto Möller zeigte der Gruppe sein Gemälde „Straßenlärm“  im Entstehungsjahr 1920.

© Ch. Möller, Repro: K.-A. Becker

Ausstellung über die Novembergruppe: Triebfedern der neuen Zeit

Revolution in der Kunst: Die Berlinische Galerie würdigt endlich die Novembergruppe von 1918.

Glauben kann man es nicht, dass die Novembergruppe als bedeutendste Künstlervereinigung der Weimarer Republik bisher noch keine museale Würdigung erfahren hat. Die erste und einzige fundierte kunsthistorische Publikation soll 50 Jahre zurückliegen. Um so höher ist es der Berlinischen Galerie anzurechnen, dass sie das Versäumte nachholt, im Rahmen der Veranstaltungsreihe „100 Jahre Revolution“.

Ebenso wie dieses nie wirklich Gewusste über das Ende des Kaiserreichs und den Beginn der Weimarer Republik ins Bewusstsein holen will, ist auch das Wirken der Novembergruppe nie vollends ausgeforscht worden. Ihre erstmals formulierten Ideale prägen noch heute die Erwartungen an Museen und Akademien, ebenso das Gerechtigkeitsempfinden bei Ateliervergaben oder Kunstverkäufen. „Wir stehen auf dem fruchtbaren Boden der Revolution. Unser Wahlspruch heißt: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!“ schrieben die „Novembristen“ in ihrem Manifest, das sie in jenem dramatischen Revolutionsmonat verfassten, der ihrer Vereinigung den Namen gab.

Knapp 100 ordentliche Mitglieder zählte die Gruppe, etwa 480 Künstler stellten im Rahmen der etwa 40 Ausstellungen aus, die in den 16 Jahren ihrer Existenz organisiert wurden. Rudolf Belling, George Grosz, Otto Dix, Hannah Höch, Paul Klee, Kurt Schwitters – sie gehörten dazu und dachten, spürten, arbeiteten im Geist der neuen Zeit. Damit wirft sich ein neues Raster der Wahrnehmung auf jene künstlerisch höchst produktive Phase der Zwischenkriegsjahre. Mochten die Stilrichtungen, die Ismen auch divergieren – Expressionismus, Kubismus, Dadaismus, Neue Sachlichkeit – , das gemeinsame Ziel war die Gestaltung der gewonnenen Freiheit, einer neuen Gesellschaft mit den Mitteln der Kunst.

Bis heute bezeugt die unwirsche Reaktion von Despoten auf kritische Kunst ihr widerständiges Potential

Das rührt retrospektiv an, denn nach 1933 wurden die Avantgarden und ihre Vordenker weggefegt, wurde ihre Kunst als „entartet“ diffamiert. Doch die bis heute unwirsche Reaktion von Despoten auf kritische Kunst, ob in Russland oder im Nahen Osten, bezeugt weiterhin das widerständige Potenzial. Insofern hat die Ausstellung in der Berlinischen Galerie Bezugspunkte in der Gegenwart. Der Blick darauf, wie die Novembergruppe zusammenfand, wirkte und wieder zerfiel, ist mehr als eine kunsthistorische Pflichtübung – das Landesmuseum hütet die Nachlässe zahlreicher Protagonisten.

Mit der Großen Berliner Kunstausstellung, die sich ab 1919 den neueren Richtungen öffnete, wurde die Stadt zum wichtigsten Schauplatz für die Novembergruppe. Zugleich präsentierte sie sich im Ausland und lud umgekehrt internationale Gäste wie Marc Chagall, Georges Braque, Fernand Léger zu sich ein. Der fast vergessene deutsche Konstruktivist Walter Dexel und der heutige Großkünstler Piet Mondrian stellten einst Seite an Seite aus, wie nun wieder zu sehen ist.

Darin bestand die Hauptaktivität des Vereins: Kunst zu zeigen zur Läuterung des „Volkes“. Politisiert wurde entgegen den ersten Ankündigungen gar nicht so viel. Dies mag neben der stilistischen Diversität ein Grund sein, warum die Novembergruppe lange wenig beachtet wurde. Agitiert hat sie nie, sie ging nicht in die Fabriken. Die „Novembristen“ stellten aus, wohin es die Massen nach Feierabend zog. Hunderttausende pilgerten damals zur Kunst im Glaspalast am Lehrter Bahnhof, zu dem ein Vergnügungspark gehörte. Hier bekamen sie jetzt auch noch die Moderne zu sehen.

Etwa 3000 Kunstwerke präsentierte die Gruppe im Laufe der Jahre auf diese Weise. Rund 600 konnte Janina Nentwig nun im Rahmen eines zweijährigen Forschungsstipendiums der Gerda Henkel Stiftung mit Hilfe von Katalogen und Listen identifizieren, ein Drittel ist verschollen oder wurde als „entartet“ zerstört. Aus den 400 greifbaren Stücken hat die Kunsthistorikerin mit Ralf Burmeister, dem Leiter des Künstler-Archivs der Berlinischen Galerie, eine eindrucksvolle Schau mit 120 Werken destilliert, von den hoffnungsfrohen Anfängen bis zum Auseinanderdriften der Gruppe.

Das fing schon 1920 an, als Otto Dix und Rudolf Schlichter Szenen mit Prostituierten zeigten und die Leitung der Großen Berliner Kunstausstellung damit drohte, die gesamte Novembergruppe wegen dieser „unsittlichen Darstellung“ vor die Tür zu setzen. Dix reagierte empört über die „elenden Spießer“, als sein Werk abgehängt wurde. Vertreter der DadaFraktion erklärten ihren Austritt. Doch die konservative Kritik an der „Müllgrubenkunst“, die teils tätlichen Angriffe auf einzelne Werke stärkten die Entschiedenheit der Verbliebenen nur.

Die Novembergruppe war einer der Geburtshelfer des Neuen Bauens

Ein Jahr später stießen Architekten zur Gruppe, nach der Auflösung des Arbeitsrats für Kunst. Das passte, denn in ihren Zeichnungen und Modellen führten sie vor, wie und wo der neue Mensch leben und arbeiten sollte. Von Hugo Häring sind Entwürfe für ein Gut im holsteinischen Scharbeutz zu sehen, von Hans Scharoun die Pläne für ein Büro- und Geschäftshaus in Königsberg, von Hans Poelzig Aufnahmen eines Transformatorenhauses für ein Steinkohlebergwerk im schlesischen Pschow.

Dass ihnen allen auf der Großen Berliner Kunstausstellung mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde, verärgerte die Maler. Wenig später waren die Architekten wieder draußen und gründeten ihre eigene Vereinigung, den „Ring“. Dennoch bleibt gültig, dass die Novembergruppe einer der Geburtshelfer des Neuen Bauens war, nicht nur das Bauhaus.

Auch für den Experimentalfilm erwies sich die Gruppe als Triebfeder. Am 3. Mai 1925 organisierte sie im UFA-Filmtheater am Kurfürstendamm eine Matinee mit dem Titel „Der absolute Film“, die als erste öffentliche Vorführung des abstrakten Films in Deutschland gilt. Hans Richter und Walter Ruttmann führten ihre Werke vor: „ Malerei mit Zeit“, „Musik fürs Auge“, wie sie es nannten. Beide hatten als Maler begonnen und zunächst ganz real auf Filmstreifen gemalt. In der Berlinischen Galerie sind ihre rhythmischen Filmstudien nun wieder zu sehen, bewegte abstrakte Kompositionen.

Das Ende kam nicht abrupt. Schon 1932 hatten nur noch vier Mitglieder an der Großen Berliner Kunstausstellung teilgenommen. Danach waren sie nicht mehr erwünscht, viele hatten schon zuvor resigniert. Und doch wurde die „rote Novembergruppe“ mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten zum bevorzugten Hassobjekt der NS-Propaganda – als Repräsentantin des „Kulturbolschewismus“. Per Dekret von 1935 sollte sich die Novembergruppe aus dem Vereinsregister löschen, auf eigene Kosten. Die Rechnung geht an „Prof. César Klein“, der bereits nicht mehr lehren durfte.

Dennoch gehören die letzten Exponate der Ausstellung in der Alten Jakobstraße nicht diesem traurigen Ende, sondern den besseren Tagen, als man noch für den Fotografen herumalberte, Feste feierte und Kostümbälle in der Philharmonie an der Bernburger Straße organisierte, um die Vereinskasse aufzubessern. Bislang gilt das Vereinsarchiv als verloren, es gibt kaum noch Dokumente. Doch das Interesse ist wiedererwacht. Womöglich auch an den kämpferischen Forderungen des Beginns, als die Novembergruppe noch die „Beseitigung künstlerisch wertloser Prunkbauten“ verlangte. Das wäre noch heute revolutionär.

Alte Jakobstr. 124 - 128, bis 11.3.; Mi bis Mo 10 – 18 Uhr. Katalog (Prestel) 34,80 €

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