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Ausstellung über Alfred Flechtheim im Kolbe Museum: Der große Vergessene

Das Berliner Georg Kolbe Museum erinnert erstmals mit einer Ausstellung an Alfred Flechtheim und die überragende Rolle, die der Galerist und Kunsthändler im Berlin der 20er Jahre gespielt hat.

Manchmal liegt das Gute nah und ist doch schwer zu greifen. So erstaunlich es klingt: Noch nie ist Alfred Flechtheim, dem wohl bedeutendsten Kunsthändler der 20er Jahre, in Berlin eine Ausstellung gewidmet worden. Der engagierte Verfechter der Moderne war damals eine der schillerndsten Figuren der Berliner Avantgarde, ein Fixpunkt des gesellschaftlichen Lebens. Mit seiner Emigration im Herbst 1933 nach Großbritannien schloss seine Galerie am Lützowufer 13 samt ihrer Dependancen in Düsseldorf, Köln, Frankfurt und Wien, die Sammlung verschwand, die Geschäftsunterlagen wurden vernichtet. Flechtheims Engagement um van Gogh, Picasso, Grosz geriet in Vergessenheit, vornehmlich war er nur noch Kunsthistorikern ein Begriff.

Erst seit den Auseinandersetzungen mit den Nachfahren um einzelne Werke, die später in Museen landeten, seit bekannt wurde, dass auch die Erben Hildebrand Gurlitts einen Beckmann aus Flechtheims einstigem Besitz in eine Auktion gaben, taucht der Name wieder häufiger auf. Bei den bisherigen Restitutionsersuchen ging es immer nur um Gemälde, sie sind als Unikat eindeutiger zu identifizieren. Doch Flechtheim war als Vermittler moderner Skulptur mindestens ebenso wichtig. Für das Berliner Kolbe-Museum hat sich damit ein gewaltiges Forschungsgebiet eröffnet, ebenso für andere auf die Plastik jener Zeit spezialisierten Institutionen wie das Gerhard- Marcks-Haus in Bremen, das Lehmbruck-Museum in Duisburg, die Barlach-Stiftung in Güstrow.

Sie alle gingen ihre Bestände noch einmal durch, forschten in ihren Archiven, um ein spätes Kompendium über Flechtheims Leistungen auch auf diesem Gebiet zustande zu bringen. Das Kolbe-Museum präsentiert dazu die Ausstellung „Alfred Flechtheim – Kunsthändler der Moderne“. Sie würdigt, wenn auch spät, die Leistung dieses wegweisenden Kunstvermittlers. Zusammen mit der zufällig parallelen Rudolf-Belling-Ausstellung der Neuen Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof ergibt sich damit ein bemerkenswertes Panorama moderner Bildhauerei in Deutschland. Zugleich wird sichtbar, wie nahe sich in den 20er Jahren die späteren Opfer und Profiteure des „Dritten Reiches“ noch standen, wie viel von dem im Nationalsozialismus betriebenen Körperkult sich damals anbahnte. Die neue Begeisterung für Ausdruckstanz, Fußball, Boxen, Polo, die auch in den Werken der avantgardistischen Bildhauer Niederschlag fand, mündete wenig später in der Darstellung tumber Muskelkraft. Wie wenig beides trennte, welche Grauschattierungen es zwischen Schwarz und Weiß gibt, auch davon erzählt die Ausstellung.

Flucht vor den Nationalsozialisten nach England

Im Eingang des Kolbe-Museums befindet sich denn sogleich die markante Büste Bellings, die das Gesicht des Kunsthändlers auf physiognomische Details reduziert: auf die markante Nase, die geschwungenen Lippen, die schweren Augenlider. Flechtheim war libertinär, weltläufig, jüdisch - und damit Zielscheibe der Nationalsozialisten, die ihn sogleich mit dem Machtantritt ins Abseits drängten, in Karikaturen lächerlich machten. Er erkannte die Zeichen der Zeit und entkam wenige Monate später nach England, verstarb aber 1937 in London gerade 59-jährig nach einer Notoperation. Seine Frau Betti nahm sich in Berlin vier Jahre später das Leben. Mit Flechtheims Flucht hatten auch viele seiner Künstler ihre beste Zeit hinter sich – der Hetze der Nazis preisgegeben, ihres wichtigsten Mentors beraubt.

Renée Sintenis und Ernesto de Fiori, mit denen Flechtheim zugleich eine enge Freundschaft verband, die für ihn den Geist der Weimarer Republik, auch die neue sexuelle Freiheit verkörperten, erholten sich nie mehr vom Verlust ihres größten Förderers, ob in der inneren Emigration in Nazi-Deutschland wie Renée Sintenis oder im brasilianischen Exil wie de Fiori. Ihre Kunst erlangte auch später nie mehr die einstige Höhe. Einen Künstler wie Belling stürzten die neuen Zeiten in Ambivalenz. Mit seiner Darstellung des populären Boxers Max Schmelings landete er 1937 auf der Großen Deutschen Kunstausstellung im Münchner Haus der Kunst, mit seiner abstrakten Skulptur „Der Dreiklang“ in der unweit eröffneten Ausstellung „Entartete Kunst“.

Wie dicht die Entwicklungen des nächsten Jahrzehnts auch in Flechtheims Avantgarde-Galerie schwappten, als die Zeichen noch auf Fortschritt und Internationalität gestellt schienen, zeigt sich an den Bildhauern Arno Breker und Moissey Kogan, die beide von ihm vertreten wurden. Zu sehen ist ein sensibles Porträt Kogans von Brekers Hand aus dem Jahr 1928. Damals lebte der junge Breker gerade ein Jahr in Paris, ließ sich noch von der französischen Moderne inspirieren und von Flechtheim in Künstlerkreise einführen. Diese Verbindung verschwieg der unter Hitler zum Staatskünstler avancierte Künstler nach 1933 lieber, um sich nicht zu kompromittieren. Nach Kriegsende erinnerte er sich umso besser an seinen einstigen Galeristen, um sich durch seine frühere Beziehung zu ihm wieder reinzuwaschen. Kogan aber musste bei Kriegsausbruch nach Paris fliehen, wo er 1943 verhaftet und im selben Jahr in Auschwitz ermordet wurde. Aus Gründen der Pietät sind Arno Breker und Moissey Kogan auseinandergerückt präsentiert. Wer die Verbindung zwischen ihren im ehemaligen Kolbe-Atelier ausgestellten Werken trotzdem schlägt, verspürt noch mehr Beklommenheit als ohnehin angesichts so viel verdichteter Schicksalshaftigkeit.

Die Ausstellung hat das Flair einer Galerie der 20er Jahre

Museumsdirektorin Julia Wallner gelingt ein bemerkenswerter Balanceakt. Sie erzählt die Geschichte Flechtheims anhand von Fotografien, die das mondäne Leben des Kunsthändlers dokumentieren: mal von seiner privaten Wohnungseinrichtung in der Bleibtreustraße, die im Rahmen einer Homestory in der Zeitschrift „die dame“ abgebildet sind, mal mit Schnappschüssen, die ihn kostümiert mit Sombrero und Blume hinter dem Ohr vor dem Aufbruch zu einem Karnevalsfest zeigen. Der Kunsthändler ließ die Öffentlichkeit ohnehin in seinem hauseigenen Magazin „Der Querschnitt. Marginalien der Galerie Flechtheim“ an seinen Vorlieben partizipieren. In dem durchaus elitären Periodikum wurden sowohl Abbildungen von Sportereignissen, Listen der an Museen vermittelten Werke als auch Beiträge über Proust, Hemingway und Joyce abgedruckt.

Dieses Schwergewicht bei Reproduktionen und Dokumenten überspielt die Ausstellungen elegant, indem sie sowohl die Magazine als auch die Fotografien samt biografischer Ausführungen in großzügige Rahmen steckt, die das Flair einer Galerie der 20er Jahre ausstrahlen. In der Mitte der Säle befinden sich hingegen die Werke der von Flechtheim geführten Bildhauer, ein Who is who der damaligen Plastik: Kolbe, Barlach, Belling, de Fiori, Lehmbruck, Maillol. An seinen größten Coup erinnern zwei kleine Abkömmlinge, Leihgaben aus dem Frankfurter Städel und der Bremer Kunsthalle. Es sind zwei Tänzerinnen, die kleinere streckt kerzengrade das rechte Bein von sich, die andere stützt ihre Hände in die Hüfte und drückt das Kreuz durch. Sie gehören zu einem Konvolut von 150 Wachsmodellen von Edgar Degas, die erst nach seinem Tod 1917 im Atelier entdeckt wurden. Flechtheim erkannte darin sogleich die eigene künstlerische Leistung des bis dahin nur als Maler bekannten Künstlers, sicherte sich die Rechte am posthumen Bronzeguss und vermittelte allein sieben Exemplare an deutsche Museen, viele weitere an private Sammlungen.

Der Kunsthändler besaß nicht nur ein exzellentes Auge, sondern auch die Fähigkeit, seine Künstler gut platzieren zu können. Als er 1933 Deutschland für immer und ohne Besitz verließ, schrieb er am Vorabend an den Schweizer Kunstsammler Oskar Reinhart: „Dann lieber richtig arm im Ausland als Verräter.“ Die Ausstellung im Berliner Kolbe-Museum gibt eine Ahnung davon, welcher Reichtum mit ihm verloren ging – allein an Skulpturen.

Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, bis 17. September; täglich 10–18 Uhr.

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