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Ausstellung: Siegfried und die Sioux

Fantasten aus Sachsen: Die Schau „Weltenschöpfer“ in Leipzig feiert Richard Wagner, Max Klinger und Karl May.

Je strahlender der Held, desto erschütternder sein Tod. Richard Wagner und Karl May wussten, wie ein Drama mit größtmöglicher emotionaler Durchschlagskraft zu erzählen ist. Sie ließen ihre populärsten Figuren auf eine besonders schreckliche, besonders schöne Art sterben: durch Heimtücke. Siegfried, der Drachentöter, wird von Hagen hinterhältig ermordet. Winnetou, von der Kugel eines feindlichen Sioux getroffen, stirbt in den Armen seines Blutsbruders Old Shatterhand.

Im Museum der bildenden Künste in Leipzig sind die entscheidenden Szenen jetzt noch einmal zu sehen. Siegfried beugt sich auf einem Aquarell des Romantikers Julius Schnorr von Carolsfeld durstig über ein Bächlein. Gleich wird Hagen ihm seinen Speer in den Rücken werfen. Winnetou hat bereits alle irdische Schwere hinter sich gelassen. Auf dem Umschlagentwurf des Illustrators Sascha Schneider für „Winnetou III“ schwebt der Indianer als nackter, hippiehaft langhaariger Engel einem kreuzförmigen Licht entgegen. Eine jesusgleiche Himmelfahrt.

Der Häuptling der Apachen hatte im letzten Moment zum rechten Glauben gefunden, seine an Old Shatterhand gerichteten Abschiedsworte lauteten: „Schar-Iih, ich glaube an den Heiland. Winnetou ist ein Christ. Lebe wohl!“ Geradezu verblüffend ähnelt der tote, unsterblich gewordene Winnetou dem jugendlichen Triumphator, den Max Klinger genauso drahtig, muskulös und nackt auf einer Radierung festgehalten hat. Mit den Füßen schreitet er über Schlangen, die Hände reckt er in die Höhe, der Sonne entgegen. Der Titel des Blattes lautet auftrumpfend: „Und doch!“

Leipzig, die Stadt, in der Richard Wagner vor 200 Jahren geboren wurde, feiert den Komponisten mit der originellsten Ausstellung des Wagner-Jahres. Sie heißt „Weltenschöpfer“ und führt Richard Wagner mit zwei anderen Sachsen zusammen, denen die Welt, die sie vorfanden, ebenfalls nicht genügte und die darum Werke erschufen, die zum Ersatzkosmos wurden: Karl May und Max Klinger. Alle drei sind große Fantasten, die auf den Fundus von Mythen, Nationalepen und Sagen zurückgriffen, für die Vergangenheit schwärmten und sich trotzdem für die Neuerungen der beginnenden Moderne begeisterten. Damit waren sie ganz Kinder ihrer Zeit, des 19. Jahrhunderts und seiner Dialektik von Historismus und Dampfmaschinenfortschritt.

Richard Wagner wollte der Menschheit mit seinem „Ring“ ein Kunstwerk von universeller Geltung schenken, glaubte aber, sich für seine Visionen von der Menschheit zurückziehen zu müssen. „Ich kann und muss nur in einer Art Wolke leben. Wie ich ein einziger Kunstmensch bin, kann ich auch nur ein künstliches Leben führen. Dazu gehört: fast gar nicht mehr mit den Leuten verkehren“, notierte er 1865.

Diesem Ideal eines „künstlichen Lebens“ folgte Karl May, indem er sich eine neue Biografie erfand. Sein Leben verbrachte er in Sachsen, in einem Radius von nicht einmal hundert Kilometern, behauptete jedoch hartnäckig, die Wildwest- und Wüstenabenteuer seiner „Gesammelten Reiseerzählungen“ selbst erlebt zu haben. Darin liegt neben der Hochstapelei zugleich ein Zug von Hybris, der Drang nach Größe und Geltung, der sich ähnlich auch bei Max Klinger findet.

Klinger, mit seinem monumentalen Beethoven-Denkmal gewissermaßen der Hausheilige des Museums der bildenden Künste, arbeitete an einer Fusion von antiken und christlichen Ideen. Sein Wandbild „Christus im Olymp“, das ebenfalls im Leipziger Museum zu sehen ist, zeigt den biblischen Heiland bei einem bizarren Gipfeltreffen mit griechischen und römischen Göttern.

Es ist eine Welt des Kampfes, einer mit Pathos aufgeladenen Konfrontation von Gut und Böse, die Wagner, May und Klinger entworfen haben. Dass das Gute am Ende siegt, ist – siehe Siegfried, siehe Winnetou – keineswegs ausgemacht. Der kulturhistorische Teil der Ausstellung versammelt Gemälde, Grafiken, Bühnenbilder und Buchillustrationen und zeigt die Schauplätze, auf denen die drei „Weltenschöpfer“ ihre Helden gegen die Mächte der Finsternis antreten lassen. Der Wald ist gleichzeitig Zuflucht und Tatort, im Hochgebirge finden Entscheidungsschlachten statt, und im Rhein, aber auch im Silbersee werden Schätze versenkt.

Richard Wagner warnt vor der „dämonischen Naturmacht“, der der Mensch „wenn nicht verfallen, doch unlösbar unterworfen“ sei und meint damit die böhmischen Wälder des „Freischütz“. Karl May formuliert ein ähnliches Bedrohungsszenario prosaischer: „Selbst der furchtloseste Mann wird erschrecken, wenn er, sich des Nachts im Walde allein wähnend, plötzlich von zwei starken Fäusten gepackt wird.“ Die Ausstellung führt die Naturmystik, die hinter derlei Raunen steckt, auf die deutsche Romantik zurück und präsentiert herrliche Landschaften von Carl Gustav Carus, Johan Christian Dahl und Carl Blechen. Es ist frappierend, wie sehr die Motive einander ähneln. Klingers „kämpfende Kentauren“ gleichen in der Körperhaltung exakt den beiden Orientalen, die auf einer Hochgebirgsillustration zu Mays Roman „Der Schut“ miteinander ringen, unmittelbar vorm Absturz in einen bodenlosen Abgrund. Und seine Verfolgung eines Kentaur auf einer Radierung von 1881, bei der mit Pfeil, Bogen und Pferden attackiert wird, wird gleich vollends zum Cowboy& Indianer-Spiel.

Die Parole lautet: „1. Verzweifeln, 2. Verdrängen, 3. Weiter geht’s“. Eine Kopf-hoch-Botschaft, universell gültig im 19. wie im 21. Jahrhundert. Sie steht auf einer mit Zeitungsausschnitten, Bildern und Buchstaben überfüllten Wand einer saloonartigen Rauminstallation, mit der der Leipziger Schriftsteller Clemens Meyer und der Galerist Uwe-Karsten Günther ihrem Idol Karl May huldigen. Der Tresen ist ein absurdes Objekt mit Pferdefüßen, an der Wand hängt ein originalverpackter Indianeranzug in Kindergröße, die „Winnetou-Melodie“ läuft in Endlosschleife. So enden die Visionen des Weltenschöpfers: als großer Trash.

Leipzig, Museum der bildenden Künste, bis 15. September. Der bei Hatje Cantz erschienene Katalog kostet 39,80 €.

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