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Schädel als Lampe, Giulio Romano zugeschrieben.

© SKD, A. Diesend

Ausstellung italienischer Renaissance-Zeichnungen: Mit geflügeltem Auge

Das Dresdner Kupferstichkabinett präsentiert italienische Zeichnungen der Renaissance: Werke, die heute unschätzbare Informationen liefern.

Italienische Künstler waren im Dresden des 16. Jahrhunderts nichts Ungewöhnliches. Sie wirkten am Schlossbau ideenreich mit und gaben dem Elbflorenz ein südländisches Fluidum, das bis heute nachwirkt. Auf der Brühlschen Terrasse sitzend, meinte sogar Heinrich von Kleist „italischen“ Himmel über sich zu sehen. Zu den Wanderkünstlern, deren Zustrom die Dresdner Szene bereicherte, gehörten die Brüder Tola aus Brescia. Als Maler und Musiker geschätzt, standen Benedetto, Gabriel und Quirino auf der Gehaltsliste des kursächsischen Hofes. Dass sie auch die Zeichenfeder zu handhaben wussten, lässt sich in einer luftig leichten Schau im Dresdener Kupferstichkabinett studieren. Eine frei erfundene Landschaft strichelte einer der Tola-Brüder miniaturhaft aufs Papier. Sie öffnet einen Weitblick, wie ihn sonst nur die nordalpinen Malerschulen in ihren Weltlandschaften boten. Die tonangebende italienische Renaissancekunst zeigt sich aufnahmebereit für Einflüsse nordeuropäischer Kollegen.

Als die ersten italienischen Renaissancezeichnungen in die Dresdener Kunstkammer gelangten, waren sie Gegenwartskunst. Der Kunstagent und kaiserliche Antiquar Jacopo Strada lieferte Klebebände, prallvoll mit antiken Kaiserköpfen und prächtigen Kostümentwürfen. Im Laufe der Zeit arrondierte sich der Bestand auf gut 1000 Blatt. Vieles davon blieb bislang unpubliziert und selbst der Fachwelt kaum bekannt. Das soll sich ändern. Im Rahmen des „Paper Projects“ der Getty-Foundation werden sich in Kürze zwölf junge Kuratoren über die Blätter beugen und mit internationalen Spezialisten darüber diskutieren. Kennerschaft braucht Originale. Die Ausstellung „Im Reich der Möglichkeiten“ signalisiert den Auftakt eines großangelegten Katalogisierungsprojekts, das alle Blätter wissenschaftlich aufarbeiten wird.

Zeichnen war Übung im Denken, Sehen und Erfinden

Gleich zu Beginn nimmt ein geflügeltes Auge Blickkontakt auf. Giulio Romano platzierte das surreal anmutende Sehorgan auf einen aufgespannten Flügel: skurriler Einfall oder Symbol mit Hintersinn? In produktiver Schwebe müssen vorerst auch viele Zuschreibungen bleiben. Denn signieren war in der Renaissance nicht üblich. So müssen die Forscher ran. Strichführung, Zeichenstil, Motive geben Hinweise. Große Namen aus den Kreativbrennpunkten Florenz, Rom, Venedig, Bologna säumen den Weg, aber auch viele weniger bekannte. Als „allzu optimistische Zuschreibung“ tun die Kuratorinnen den Namen Leonardo ab, der stolz auf einem alten Passepartout prangt. Schaurig schön ist das Blatt trotzdem: Einen abgehackten Menschenkopf verzerrte der unbekannte Zeichner zur Anamorphose, perspektivisch gekonnt.

Wie die Künstler das Disegno im Werkstattalltag nutzten, fächert sich anschaulich in Themengruppen auf. Den menschlichen Körper zur Idealfigur zu formen, wollte geübt sein. Schwierige Details wie Hände und Gesicht nahm man sich in Nahsicht separat vor. Sofonisba Anguissola, eine der erfolgreichsten Künstlerinnen ihrer Zeit, porträtierte sich selbstbewusst als Edeldame mit Federbarett: ein zauberhaftes Blatt. Zeichnen war Übung im Denken, Sehen und Erfinden, fleißiges Kopieren als Training unverzichtbar. Heute liefert manche penible Skizze unschätzbare Informationen über Gemälde oder Bauten, deren Originale selbst längst verschwunden sind.

Baccio Bandinelli strichelte seine muskulösen Männermodelle gelenkig aufs Papier, als seien sie Tänzer. Dass sie dabei splitternackt auftreten, darf nicht verwundern. Erst in der zweiten Entwurfsphase pflegte man Gewandfiguren zu bekleiden. Der Lichtmagier Correggio hingegen nutzte das zeichnerische Medium zum Austarieren der Beleuchtungseffekte eines Altarbildentwurfs, dem er auch gleich den architektonischen Rahmen anmisst. Das ausgeführte Gemälde, die Pala San Giorgio, hängt heute im Zwinger.

Aus der Fantasie gewonnen

Das Herzstück der Kollektion allerdings steuerte Raffael bei. Schwerelos schwebt sein Putto seit fast 500 Jahren auf dem Papier. Zuerst kritzelte der geniale Formfinder nur ein paar winzige, sich knäulende Rötel-Schwünge aufs Blatt, mehr vager Gedanke als greifbare Gestalt. Dann setzte er erneut an, diesmal in größerem Maßstab. Und die Sache lebt. Die Locken wehen, die pummeligen Ärmchen und Beine greifen rudernd in die Luft. In der Hand hält der Putto einen Bogen, Amors Werkzeug. Als Entwurf für die römische Villa Farnesina diente die scheinbar mühelos aus der Fantasie gewonnene Skizze. Seinerzeit war sie Arbeitsmaterial, heute überwindet die kostbare Zeichnung mühelos Zeit und Raum: ein Augenblicksbesuch aus dem Zeitalter der Renaissance.

Residenzschloss Dresden, bis 20.1.2019, tgl. 10–18 Uhr, dienstags geschlossen

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