zum Hauptinhalt
"The show is over" kuratiert von Lewamm Ghebremariam.

© Katrina Singleton BIPOC Film Society

Ausstellung in ehemaligem Bärenkäfig: „Nichts ist unschuldig hier“

In der aktuellen Ausstellung im Berliner Bärenzwinger es darum, Raum neu zu gestalten. Doch bietet sich ein ehemaliges Käfiggehege dafür an?

Der Bärenzwinger ist schon ohne Kunst ein Werk. „Das ist ein schwieriger Ort“, sagt Maja Smoszna, während sie durch das ehemalige Gehege der Berliner Stadtbären führt. Kalter Wind zieht durch zwei offene Flügeltüren. Die Eingänge zu den Boxen sind mit Gitterstäben abgetrennt und stehen offen. Zwei Ausstellungen sollten hier im November eröffnet werden. Wegen Corona blieb der Zwinger zu. Mittlerweile gibt es einen virtuellen Rundgang. Ab nächster Woche sollen Besucher:innen kommen dürfen.

„Sesam öffne dich“ heißt die eine Ausstellung (bis 28. März) und das klingt in Anbetracht der Umstände geradezu ironisch. Dabei ist der Titel sehr ernst gemeint. „Was sah Ali Baba, als er die Türen der Höhle mit den magischen Worten ,Sesam öffne dich’ aufmachte?“, heißt es in der Ankündigung der Kurator:innen Erkan Affan, Sanni Est und Tewa Barnosa.

„Was war von den Räubern gestohlen und in der Dunkelheit versteckt worden? Uns, dem kuratorischen Team und eingeladenen Künstler:innen, ist solches Verhalten nicht unbekannt.“ Die Gruppe aus Schwarzen, Indigenen und People of Color (kurz: BIPoC) erlebe immer wieder, wie ihre Geschichten und Erfahrungen „ausgelöscht, eingeschlossen und zur Schau gestellt werden.

„Nichts ist unschuldig hier“, sagt Smoszna, während sie auf einem Steinplateau steht, das zum Außengehege gehörte. Sie arbeitet beim Bezirksamt Mitte und koordiniert den Kontakt zwischen Behörde und Kurator:innen. Das Areal des Bärenzwingers umringt ein leerer Wassergraben, an dessen Rand Metallspitzen sicherstellen sollten, dass die Tiere auf ihrem Präsentierteller bleiben und nicht weglaufen.

Anna Banouts Arbeit „Hunter Gatherer“ 2021.
Anna Banouts Arbeit „Hunter Gatherer“ 2021.

© Katrina Singleton BIPOC Film Society

Der letzte Bär starb 2015, zwei Jahre später wurde das Gehege zum Ausstellungsort umfunktioniert. „Das Problem ist“, sagt Smoszna „wir stellen hier Raum zur Verfügung, aber der ist nicht frei. Der ist voll mit Erinnerungen und Traumata.“

Der Ausstellungsort ist so laut, dass man die Arbeiten kaum hören kann

Danielle Brathwaite-Shirley hat ihre Auseinandersetzung mit dem Ort in einem Animationsfilm verarbeitet. Sie zeigt ihn in einem der Zwinger. Animierte Figuren und Worte hüpfen über die Wand, aber es fällt schwer, sich zu konzentrieren. Hier hat ein Bär drin gelebt?

Der Raum ist ungefähr acht Quadratmeter groß. Die Gitterstäbe sind mit schwarzem Molton abgehängt, nur der untere Teil ist offen, man muss sich tief bücken, um reinzukommen. Brathwaite-Shirley ist mit dem Ort nicht warm geworden, „It can’t be done“ heißt die Arbeit.

Im Käfig gleich nebenan gibt es einen Flatscreen, der eine Abflugtafel simuliert. Das Ziel: „Dreams, Escape und Migration“. Alle gecancelt. Dazu ein Audioband, auf dem zunächst normale Flughafengeräusche zu hören sind, dann entsetzliche Schreie und Schüsse. Die Künstlerin Tewa Barnosa soll das Band selber aufgenommen haben. Sie war dabei, als der Flughafen von Tripolis unter Beschuss geriet. Alle Wege waren abgeschnitten. Ein schrecklicher Käfig.

Die dazugehörige Arbeit „Infinite Silence“ besteht aus einer gebogenen Leuchtstoffröhre. Sie formt das Wort „Stille“ in arabischer Schrift und fließt weiter in das Unendlichkeitssymbol. Ein Verweis darauf, wie wenig über Lybien gesprochen und berichtet wird.

Im Ausgangsbereich hat Co-Kuratorin Sanni Est mehrere Neonröhren installiert. Zwei bilden ein X und stehen in einer Einbuchtung. Wenn das Licht ausgeht, prangt da ein Wort: „visibility“ – Sichtbarkeit.

Den Werken ist ein Kampf anzumerken

Dann gibt es noch die zweite Ausstellung: „The Show is over“ kuratiert von Lewamm Ghebremariam. Vor dem Eingang zum Bärengehege stehen vier weiße Fahnen. Darauf sind Gedichte gedruckt. Auf einer Flagge steht: „Sie schaffen ein ,wir’ und ,ihr’ in dieser Gesellschaft, auch wenn sie ,uns’ vortäuschen mit Einzelnen von uns in ihrem wir.“

Den Arbeiten ist der Kampf anzumerken, den die Künstler:innen mit dem Zwinger geführt haben. Schmerz ist spürbar. In einem ehemaligen Bärenkäfig auszustellen, hat auch etwas von einer Zumutung. Hinzu kommen die Auseinandersetzungen mit der eigenen Zugehörigkeit und Individualität. Das ist sehr viel für einen Ort, der selbst so laut ist. Ein White Cube wäre einfacher gewesen.
In einer ersten Fassung dieses Artikels wurde die Entstehung von zwei Werken versehentlich falsch dargestellt. In Absprache mit den Kurator:innen haben wir diese Fehler berichtigt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false