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Der Eingang zum Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände

© imago/imagebroker

Ausstellung in der Topographie des Terrors: Die große Illusion

Das Nürnberger Reichsparteitagsgelände ist das monumentalste Bauerbe des Nationalsozialismus. Eine Ausstellung in der Berliner Topographie des Terrors erklärt, wie das Areal funktionierte – und fragt nach seiner Zukunft.

Das Gelände der NS-Reichsparteitage in Nürnberg ist niemals so, wie es von Albert Speer geplant war, fertiggestellt worden. Dennoch zählen ironischerweise gerade die erhalten gebliebenen, teils nach dem Krieg von der US Army gesprengten Bauten zu den größten Hinterlassenschaften des Nazi-Regimes. In der riesigen Kongresshalle, die jahrzehntelang Möbelhäuser und ähnliche Mieter beherbergte, hat die Stadt Nürnberg schließlich ein Dokumentationszentrum eingerichtet.

Wie mit dem Gelände umgehen? Es befindet sich mittlerweile in fortschreitendem Verfall; Speers Theorie vom „Ruinenwert“ der Bauten, die er für das „Dritte Reich“ errichten wollte, erfüllt sich an den seinerzeit schnell hingeklotzten Gebäuden eher nicht. Über den Umgang ist eine Diskussion im Gange; einen Beitrag dazu leistet jetzt die Ausstellung „Marschordnungen. Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg“, die das Kuratorenteam Carolin Höfler, Matthias Karch und Katharina Specht für die Berliner Topographie des Terrors erarbeitet hat. Dabei ist die Ausstellung sowohl eine Dokumentation der Bauten und der ihnen eingeschriebenen Aufgaben, eben der „Marschordnungen“, denen die nach Tausenden zählenden Teilnehmer der Parteitage zu folgen hatten; als auch eine Visualisierung der Masterarbeit von Katharina Specht, die Vorschläge für „bauliche und künstlerische Interventionen“ enthält.

Die Dimensionen der Gesamtanlage, so der Ausgangspunkt des am Institut für Mediales Entwerfen der TU Braunschweig erarbeiteten Konzepts, sind für den Besucher am Ort selbst nicht zu erfahren. Ein raumgroßes Modell im Maßstab 1:1000 lässt erahnen, dass Speer immer größere und größere Bauten im Sinn hatte, bis hin zum „Deutschen Stadion“ für 400 000 Besucher. Erhellend das einzige authentische Objekt der Ausstellung, eine Bodenplatte der „Großen Straße“ mit dem Quadratmaß von 1,20 Metern: exakt zwei Stechschritte für die Marschkolonnen. Deren Aufstellungs- und Marschpläne sind hier faksimiliert zu sehen.

Das Feld muss erfahrbar und sichtbar gemacht werden!

Alles diente der Mobilisierung und Emotionalisierung; wie das vonstatten ging, zeigt nichts besser als der Film „Triumph des Willens“, mit dem Leni Riefenstahl zur bedeutendsten Propagandistin des Regimes aufstieg – gedreht zu einem frühen Zeitpunkt (1935), als die Planung des Nürnberger Geländes noch in den Anfängen steckte. Abgebrochen wurde die Planung nach Kriegsbeginn, das Modell zeigt in etwa den Stand von 1939.

Allein um die Zeppelintribüne – von Autorennen bekannt – zu sanieren, wären 70 Millionen Euro nötig; es gibt Stimmen, die sich gegen eine denkmalgerechte Pflege aussprechen. Anders Winfried Nerdinger. Der Leiter des Münchner NS-Dokumentationszentrums hat schon vor Jahrzehnten erstmals den Gesamtbestand von NS-Bauten in Bayern erforscht: „Nur hier und nirgends sonst kann dieses zentrale Element des Nationalsozialismus, die Inszenierung der Volksgemeinschaft, nachvollzogen werden“, hat er dazu im vergangen Herbst in einem Vortrag am Ort selbst, in Nürnberg, ausgeführt und für den „Umgang mit diesem flächenmäßig größten erhaltenen NS-Monument“ gefordert, „das ganze Feld“ müsse „erfahrbar und sichtbar gemacht werden“.

Für die Diskussion darüber bieten die Ausstellung und ihr ausgezeichneter, mit unbekannten Dokumenten aufwartender Katalog die nötige Grundlage. Erst dann beginnt man zu verstehen, welche Bedeutung etwa die Tribünen als Hintergrund für die „nationalsozialistischen Kampfspiele“ besaßen. Geübt wurde da 1937, in feldmarschmäßiger Ausrüstung, der „Handgranatenweitwurf“. Zwei Jahre später wurde aus dem vermeintlichen Spiel blutiger Ernst.

Topographie des Terrors, Niederkirchnerstr. 8, bis 28. August, täglich 10 bis 20 Uhr. Katalog 15 €.

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