zum Hauptinhalt
Oberflächenreize. Ein Guy-Bourdin-Foto aus der Ausgabe der "Vogue" vom Mai 1970

© Guy Bourdin Estate/ Courtesy L. A. Gallery

Ausstellung in der Newton Stiftung: Puppen, Pumps, Produkte

Auf gediegene Produktdarstellungen pfeifen: Die Helmut Newton Stiftung zeigt Arbeiten von Newton, Guy Bourdin und Angelino Marino.

Helmut Newtons Fotos sind wie ein Pistolenknall: sehr direkt. Der Hausgott der Charlottenburger Helmut Newton Stiftung lichtete seine Models am liebsten frontal ab. Überhaupt war die Ästhetik des Berliners, der als junger Mann vor den Nazis flüchtete, Right-in-the-Face. Seine Bilder sind sofort lesbar, gehen wie hochprozentiger Alkohol schnell ins Blut. Er sei eine „Gun for Hire“ – ein Auftragskiller – hat Newton stets betont. Als Künstler, so wollte er das Bonmot verstanden wissen, sah er sich nicht. Sondern als Bildermacher, der Qualitätsware gegen gute Bezahlung lieferte. Seine Spätwerke aus den neunziger Jahren werden nun von der Stiftung erneut gezeigt.

Wie anders sind da die Bilder von Newtons Kollegen Guy Bourdin (1928– 1991) ab den sechziger Jahren! Mit der Schau „Image Maker“ wird sein Werk erstmals dem von Newton gegenübergestellt. Bourdins Bilder fesseln, weil man sie nicht schnell begreift. Im Hintergrund eines Fotos von 1979 spaziert ein Paar Beine in Pumps am Meeressaum. Sie gehören einer Schaufensterpuppe. Den Vordergrund blockieren Schmierstreifen aus Eiscreme, die Hörnchen liegen auf der Promenade. Des Rätsels Lösung: Bourdin hat mit einem großen Spiegel gearbeitet, auf dem das Speiseeis herunterläuft wie Action-Painting. Was nicht von ungefähr kommt: Ursprünglich wollte der Fotograf Maler werden.

Die Karriere des gebürtigen Parisers Bourdin ähnelt zunächst der von Newton. Beide fotografierten für Hochglanzmagazine wie „Vogue“, sie kannten und schätzten sich. Einer der wichtigsten Auftraggeber für Bourdin war der Schuh-Designer Charles Jourdan, der erstaunlicherweise akzeptierte, dass der Fotograf seine Kreationen oft marginalisierte. In den späten siebziger Jahren war es schließlich noch üblich, das Produkt ins Rampenlicht zu rücken. Bourdin war hier seiner Zeit voraus. In der Ausstellung wird man nun Zeuge einer merkwürdigen Verwechslung. Mitunter wirken die Schaufensterpuppen lebendiger als die echten Models im selben Bild. Was natürlich mit dem einfrierenden Medium selbst zu tun hat. Statisch wirken diese Bilder nie. Bourdin liebte das Spiel von Licht und Schlagschatten. Reflexe und Unschärfen zauberten Bewegung und Atmosphäre in seine Bildwelten.

Die Puppenbeine, die geisterhaft durch Parks und Apartments staksen, kommen bei Bourdin häufig vor; sie wirken auf vielen Bildern gespenstisch, gar morbide. In einer Modestrecke für die „Vogue“ von 1978 ist ein Model von einem Bilderrahmen mit Segelschiff erschlagen worden. Auf einem anderen Foto weisen Kreidestriche auf nächtlicher Straße auf eine Frauenleiche hin. Für einen Kalender fotografierte Bourdin einen liegenden Rückenakt mit Nasenblut. Diese surreale Tableaus pfeifen auf Schönheitsnormen, gute Sitten und gediegene Produktdarstellungen. Der Tod ist hier nicht nur Teil des Lebens, sondern werbewirksam.

Die Beiläufigkeit der Inszenierungen ist nicht zufällig. „Bourdin liebte es, außerhalb des Fotostudios zu arbeiten. Deshalb wirken seine Bilder so dokumentarisch“, meint der Essayist und Foto-Experte Philippe Garnier. Was hat Newton und Bourdin inhaltlich verbunden? „Der schwarze Humor“, so Garnier, und auch die Tatsache, dass die Bilder beider eine narrative Qualität haben, „die neu war in der Produkt- und Modefotografie“.

Angelino Marino wiederum arbeitete viele Jahre als Assistent für Newton und präsentiert nun seine eigenen Fotos in der dritten Ausstellung des Hauses unter dem Titel „Another Story“. Newtons Standardansage an ihn war: „Verblüffe mich!“ Auf den Fahrten von seinem Wohnort Cannes zum Arbeitsplatz in Monte Carlo schoss Marino täglich ein Foto mit dem iPhone und stellte es auf der Fotoplattform Instagram ein. Seine Serie „Another Story“ im Kabinett „June’s Room“ der Newton Foundation zeigt nun lauter Fünfergruppen von Fotos, die Marino stark nachkolorierte. Die realen Räume, die Bourdin und Newton noch zeigten, sind bei ihm zugunsten künstlicher Welten verschwunden. Auch Marino ist ein Erzähler mit der Kamera, macht aber Sprünge und lässt Lücken. Das Medium Fotografie ist reich an Möglichkeiten und lange nicht ausgeschöpft. Jens Hinrichsen

Helmut Newton Stiftung, Jebensstr. 2, bis 13. 5.; Di–So, 11 bis 19 Uhr, Do bis 20 Uhr

Jens Hinrichsen

Zur Startseite