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Roman Ondáks Werk „Perfect Society“ (2019) besteht aus Gas- und Wasserrohren

© Andrea Rossetti/Galerie Schipper

Galerie Esther Schipper: Sonne im Schatten

Minimale Eingriffe mit maximaler Wirkung: Der Künstler Roman Ondák zeigt neue Werke in der Galerie Esther Schipper

Manchmal, wenn Roman Ondák die Räume verlässt, in denen er gerade eine Ausstellung hat, denkt man: Er ist noch gar nicht fertig. Irgendwo lehnt eine weiße Rigipsplatte, die Steckdosen ragen unverputzt aus der Wand und auf dem dunklen Boden der Galerie liegt ein zweiter Belag aus verschlissenem Parkett.

Doch Ondák, der 2009 auf der Biennale von Venedig im slowakischen Pavillon dasselbe Grün pflanzen ließ, das in der Umgebung wächst, liebt den kleinen Eingriff. Die minimale Geste ist sein Markenzeichen, auch jetzt in der Galerie Esther Schipper, wo Ondák seinen ersten Auftritt hat. Unter anderem mit einem niedrigen Holzbarren, auf dem sich balancieren ließe, wenn nicht schon ein anderer seine Füße in den feinen, roten Staub auf der Oberfläche gedrückt hätte.

„Mars Walk“ heißt die Installation aus diesem Jahr, in der vieles kulminiert, das den Künstler beschäftigt. Die Endlichkeit der visuellen Wahrnehmung gehört ebenso dazu wie die Begreifbarkeit der Welt. Und zwar im Wortsinn: Der Radius von Arm und Hand ermöglicht eine direkte Vergewisserung. Der Barren ist da, nachweislich, auch wenn man ihn in der Ausstellung vielleicht nicht anfassen sollte.

Wo aber befindet sich der von Ondák behauptete Planet? Und was ist mit jenem Menschen, dessen fragile Spuren sich so deutlich abzeichnen? So kommt in der Arbeit vor allem eins immer wieder zur Sprache: das Abwesende und seine Kraft des Imaginativen.

Flankiert wird die Arbeit von sorgsam gestapelten Schubladen und einem Gemälde mit Schachbrettmuster, das sich als Muster in jede Richtung fortsetzen ließe. Ondák schafft nicht bloß Platz für diesen Gedanken, indem er einen Teil der Leinwand unbearbeitet lässt. Auch der Titel des Bildes „Open End“ unterstreicht die Absicht. Mehr rätseln muss man angesichts von „Vertigo“, einem Wandstück von 2018 aus zwei ornamentalen Elementen, die in einigem Abstand übereinander schweben. Erst wenn man weiß, dass es sich um modifizierte Handläufe handelt, fällt einem das latente Thema auf: Die Treppe zwischen den Resten des Geländers fehlt. Auch hier nimmt, was nicht da ist, den größeren Raum in der Ausstellung ein als die beiden hölzernen Objekte.

Wo keine Wände sind, kann der Blick schweifen

Leere, so lernt man bei Ondák, bedeutet Freiheit. Im Werk des 1966 Geborenen verlässt die Kunst geschlossene Systeme und Räume, um mehr über die Welt und ihre – meist doch willkürlichen – Ordnungssysteme zu lernen. Schon „Shared Floor“, seine weit ältere Bodenarbeit mit dem Parkettfußboden eines Wohnzimmers, spielte mit der Möglichkeit der Horizonterweiterung: Wo keine Wände sind, kann der Blick schweifen.

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In Berlin war das 2009, als Galerist Jörg Johnen seine Räume in Mitte eröffnete. Ein cleaner White Cube, in dem das abgelaufene Holz einen seltsamen Kontrast bildete – zumal die Grundrisse nicht aufeinanderpassten und der Betonboden an allen Seiten hervorkam. Wer über die Arbeit lief, der befand sich an einem ehemals privaten Ort, glich diesen mit der öffentlichen Zone der Galerie ab – und sah sich damit konfrontiert, dass Ondák aus der eigenen Realität eine Frage der Perspektive macht.

Sonnenblume aus Gas- und Wasserrohren

Dieses Spiel funktioniert auch zehn Jahre später noch. Inzwischen hat Johnen die Galerie geschlossen, ein großer Teil seiner Künstler ist zu Esther Schipper gewechselt und Ondák nach wie vor in einem stark konzeptuell geprägten Kontext. Die großen Flächen der Galerie Schipper füllt der Lovis-Corinth-Preisträger von 2018 mühelos und vielfach mit simplen Fundstücken, die sich zu verblüffend ästhetischen Objekten fügen. Neben „Vertigo“ und „Open End“ hängt etwa die konstruktive Skulptur „Aeon“ aus Holz, Metall und Farbe. Im Zentrum aber dominiert jene Bodenarbeit, die der aktuellen Ausstellung ihren Namen gibt.

„Perfect Society“ wirkt wie eine riesige, auf dem Boden liegende Sonnenblume. Gemacht ist sie aus Abertausenden kleiner Reststücke von Heizungs-, Wasser- und Gasrohren, die sich in sanften Kurven zum Kreis arrangieren. Ein Ensemble, mit dem sich Wärme und Energie assoziieren lassen. Aber auch eine Menge sich ähnelnder Individuen, die zusammen einen Körper bilden. „Soziale Interaktion“ nennt der Begleittext zur Ausstellung dieses Arrangement, in dem jedes Objekt für sich funktionslos wirkt und erst im Verbund seine Aufgabe findet. „Perfect Society“, das ist Utopie und Kritik an blindem Egalismus – zwei gegensätzliche Kräfte in einer Arbeit. Minimalistisch heißt bei Ondák schließlich nicht, dass man es leicht mit seiner Kunst hat.

Galerie Esther Schipper, Potsdamer Str. 81E; bis 26. Oktober, Di–Sa 11–18 Uhr

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