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Gemischte Gefühle. Amelie von Wulffens Gemälde „Petting“ entstand 2017 (Ausschnitt).

© Gunter Lepkowski / Courtesy Sundblad Familiensammlung

Ausstellung in der Auguststraße: Bitterböse und zum Schreien komisch

Die Kunst-Werke präsentieren die rätselhaften Bilder der Berliner Malerin Amelie von Wulffen.

Husch, husch ins Bettchen? Lieber nicht: Die Matratze liegt tief in einem nach vorne offenen, schwarzen Kasten, den ein Piano wieder verrammelt. Klavieretüden, ein Kinderalbtraum? Auf der anderen Bettseite ragt ein Beichtstuhl auf, den Amelie von Wulffen – katholische Kindheit in der Oberpfalz – bei ebay ersteigert hat.

Die drei zusammengeschobenen Elemente sind mit Motiven bemalt, die man in der Ausstellung in den Kunst-Werken wiederfindet: Segelboote, Berge, Tannenwipfel, Blumen und Pferde, ach, die ganze Flora und Fauna, die „unberührte Natur“, wie es sie fast nur noch in Bildern gibt.

Amelie von Wulffen liebt den Kitsch, die Fernsehzitate

Vermeer, Goya, Genre- und Historienmalerei: Die Malkunst ist Amelie von Wulffens Referenzrahmen. Sie sprengt ihn mit Kitschzitaten, Fragmenten ihrer Fernsehkindheit, „Bravo“-Starschnitten und Fotos aus dem Familienalbum auf. Bekannt wurde die 55-Jährige um die Jahrtausendwende mit großen Papierarbeiten: Zwittern aus Architekturfotocollagen und Malerei.

In den Kunst-Werken sind zwei Panoramen aus den späten 90ern zu sehen: Ostberliner Bausünden, in verschneite Berglandschaften versetzt. C.D. Friedrich goes Architekturkritik.

Seit über 20 Jahren lebt Wulffen in Berlin. Ausgestellt hat die international gefragte Künstlerin eher anderswo, 2005 im Pariser Centre Pompidou, 2015 in der Münchner Pinakothek der Moderne. Erst jetzt, in den Kunst-Werken, zeigt sie ihre Werke umfassend in einer Berliner Institution.

Die Malerin zeichnet Comics, surft durch die Kunstgeschichte

Von Wulffen hat immer wieder Grenzen ausgetestet, das zeigt sich im Erdgeschoss und im luftigen Souterrain der Ex-Margarinefabrik. Sie zeichnet Comics, surft als Malerin durch Kunstgeschichte wie eigene Biografie, schafft Skulpturen: kleine Figuren schon länger, größere erst neuerdings.

In der Halle wächst ein braunes „Exkrementwesen“ menschengroß aus einem Baumstumpf. Auf bemalten Holzquadern drumherum drängeln sich Figürchen aus Muscheln, Holz und Moos. Hat der Kackmann sie gebastelt, für den Kleinkunstmarkt? Selbstironie und Spott für den Kunstbetrieb gingen bei Amelie von Wulffen schon immer Hand in Hand. Ihre Comics sind voll davon, ein neuer Sammelband ist am Counter erhältlich.

Der Strip „Am kühlen Tisch“ (2014) wird dazu in die Ausstellung projiziert. Gemeint ist der Tisch, an dem beim Galeriedinner die coolen Künstler:innen sitzen – nur für Amelie ist kein Platz mehr frei.

Ihre Schwester, die keine Künstlerin ist, wird zur Documenta eingeladen; einer anderen Rivalin bricht Cartoon-Amelie den Hals, verscharrt die Leiche, wird von der Polizei vernommen. Bitterböse und zum Schreien komisch.

Die 30 Bilder geben Abgründe preis - von Kindheit, Jugend und Familie

Dagegen ist die meistens figurative Malerei – verglichen mit den Bildergeschichten – nur verhalten erzählerisch. In der Ausstellung sind rund 30 Gemälde zu sehen, die sich durch fantastische Koloristik, lebendige Pinselschrift und abgründige Inhalte auszeichnen. Themen sind Kindheit, Familie, Abschied von den Eltern.

Ein Selbstporträt mit grünem Poncho zeigt die Künstlerin neben einem Bett – ein viel zu kleines für den Mann, der mit geschlossenen Augen darin liegt, vielleicht gestorben ist. Die Alten werden zu Kindern, die Verhältnisse verkehren sich.

Familiengeschichte vermischt sich mit (deutscher) Historie: In einem bemalten Bauernschrank mit halb offener Tür sind Grabsteine aus Terrakotta versteckt. Es handelt sich um das Modell eines jüdischen Friedhofs in Berlin-Weißensee, in dessen Nähe die Künstlerin lebt. Ein von Francisco de Goya inspiriertes „Großes Kriegsbild“ zeigt Schwertkämpfer, sich aufbäumende Pferde, Trümmerhäuser.

Das abstrakte Gemälde „Bernsteinzimmer“ verweist auf den gleichnamigen, seit 1944 verschollenen preußischen Prunkraum, der bis 1712 im Berliner Schloss eingebaut war, danach dem russischen Zaren gehörte und 1941 wiederum von der Wehrmacht erbeutet wurde. Vor das Bild setzte die Künstlerin eine blasenschwache Biene-Maja-Figur inmitten einer Pappmaché-Pfütze aus bernsteingelbem Urin.

Amelie von Wulffen ist sichtlich in großer Form. Das Timing fürs Heimspiel ist trotzdem denkbar schlecht: Im Dezember wurde aufgebaut, die Kunst-Werke blieben geschlossen – ausgerechnet im 30. Jubiläumsjahr der Institution. Jetzt wird gelockert, aber wie es bis Ende Mai weitergeht und mit wie viel Publikum pro Woche: ungewiss. Pandemie, gar nicht witzig. Aber bei Amelie von Wulffen endet der Spaß mitunter ebenfalls abrupt.

Von Wulffen zitiert Goyas „Schrecken des Krieges“

Die Serie von Federzeichnungen mit Aquarell „This is How it Happened“ (2011) zitiert einen Titel aus Goyas Grafikserie „Schrecken des Krieges“, täuscht Kinderbuchflair vor, lässt aber niedlich-anthropomorphe Gemüsesorten, Obst, Backenzähne oder Werkzeuge durch finstere Cartoons tappen. Paprika und Möhre treiben SM-Spiele, Tomaten werden von Kartoffeln vergewaltigt, Kneifzangen treten als Gemüseschinder auf, während (arme) Würstchen zugucken oder in Tränen ausbrechen.

[KW Institute for Contemporary Art, Auguststr. 69, bis 24. 5.; Mi bis Mo 11-19 Uhr, Do 11-21 Uhr.]

Pate scheint das Kinderbuch „Der verkannte Bimpfi“ aus den 30ern gestanden zu haben: Ein Champignon gerät unter Mordverdacht, wird inhaftiert, bis ein Knollenblätterpilz als Killer entlarvt ist. Ihren zuerst erwähnten skulpturalen Kinderknast mit Beichtstuhl hat von Wulffen „Der verkannte Bimpfi“ betitelt. Kindheit war auch schon vor Corona – kein Zuckerschlecken.

Jens Hinrichsen

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