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Sonnenbrand. Dieses Video von Katharina Sieverding ist in der Ausstellung zu sehen.

© Katharina Sieverding/KW

Ausstellung in den Kunst-Werken: Surf die digitale Welle

Oberflächenreizend: Mit der Ausstellung „Secret Surface“ endet Ellen Blumensteins Zeit als Kuratorin in den Kunst-Werken.

„Bitte erwarten Sie keine Antworten, die gibt es hier nicht.“ Mit diesem Hinweis geleitete Kuratorin Ellen Blumenstein das Publikum in ihre neue Ausstellung in den Kunst-Werken (KW). „Secret Surface. Wo Sinn entsteht“ lautet der Titel der Schau, die nicht nur eine große Frage aufwirft, sondern auch sonst eine Zäsur setzt – sie ist nämlich Blumensteins letzte als Chefkuratorin. 2013 begann Blumenstein in der Auguststraße mit einer Ausstellung zur eigenen Kuratorenrolle, später beleuchtete sie die Kunst als Bild, als Film, als Ware, als Waffe und Projektionsfläche, sie hat den Kosmos der Bildproduktion einmal durchpflügt und landet zuletzt bei der äußeren Schicht – der Oberfläche.

Was wäre, wenn man die Begriffe Oberfläche und Oberflächlichkeit nicht zwangsweise zusammendenken würde, fragt Blumenstein. Wenn also Sinn nicht nur im Jenseits und hinterm Horizont entstünde, sondern im Hier und Jetzt? Sinn ohne Metaphysik, Sinn ohne Tiefe, ohne Gott. Geht das? In einer Gegenwart der blank polierten Touch-Screens, funktionalen Hightech-Materialien und optimierten Körper wird es jedenfalls Zeit, darüber nachzudenken, auch wenn der Gedanke ein mulmiges Gefühl bereitet.

Blumenstein hat zusammen mit der britischen Kuratorin Catherine Wood von der Londoner Tate Modern Werke von 26 Künstlern ausgewählt. Die KW hat sie in der Vergangenheit auch dadurch geprägt, dass sie die Berliner Szene einlud und diese mit Positionen kombinierte, die man in Berlin noch kaum kennt, oft Vertreter einer Post-Internet-Generation um die 30, die eine smarte, im digitalen Nirgendwo verortete Kunst produzieren. Eine verstörende Kunst, die im unperfekt menschelnden, mit allerlei Zukunftsängsten befassten Berlin befremdlich wirkt.

Der Feuerball ist inspiriert von Forschungsbildern der Nasa

Wenn die Ausstellung überhaupt aus dem vertrauten europäisch-amerikanischen Kunstkanon schöpft, dann im Erdgeschoss, wo in einem prächtigen, prominent platzierten Video von Katharina Sieverding eine riesige orangerote Sonne wie ein Feuerball leuchtet. Die Basis dafür sind Forschungsbilder der Nasa. Ebenfalls orange erscheint die Zitrone in einem Video des 1984 verstorbenen Amerikaners Hollis Frampton. Oberflächen offenbaren sich erst, wenn Licht auf sie fällt. Sie können von ganz anderer Beschaffenheit sein, als man glaubt. Die Zitrone sieht aus wie ein Planet. Eine Oberfläche ist, was wir in sie hineininterpretieren. Um im Hier und Jetzt anzukommen, hilft eigentlich nur anfassen. Dann wird aus der sinnlichen Erfahrung – oh, doch so hart, so weich, so kalt! – auf einmal Sinn. Wenn wir etwas berühren, spüren wir, dass wir lebendig sind.

Kuratorin Ellen Blumenstein, 2013 in den Kunst-Werken fotografiert.
Kuratorin Ellen Blumenstein, 2013 in den Kunst-Werken fotografiert.

© Doris Spiekermann-Klaas

Ist das Erdgeschoss noch der Haptik und der Stofflichkeit verpflichtet, wird es im ersten und zweiten Stock zunehmend virtuell. Wir nähern uns einem Zustand, in dem die Oberfläche zwar immer wichtiger und smarter wird, aber nur noch als digitales Bild existiert. Dieses Paradox greifen gleich mehrere Künstler auf, unter anderem die japanische, 1985 geborene Künstlerin Ying Miao. Ying Miao hat die leeren Screens von Smartphones, wie sie zu Demozwecken in Werbebroschüren abgebildet werden, am Computer nachgebaut und auf Leinwände ausgedruckt. Nun hängt eine Reihe abstrakter Gemälde an der Wand, mit schwarzen Flächen, rosa Rändern und unterschiedlich gesetzten Lichtreflexen. Wörtlicher kann man den Begriff der Oberfläche nicht nehmen. Als Besucher ist man geneigt, Miaos Bilderreihe sofort mit Bedeutung aufzuladen, ihr Referenzen zu Konzeptkunst und Minimalismus zuzuschreiben. Es fällt schwer, die Oberfläche als solche stehen zu lassen.

Die Haut kämpft mit der Datenwelt

Wenn ein Künstler etwas Wahres über die Oberfläche sagt, ist er dann tiefgründig? Diese Frage stellt sich bei der Videoarbeit der Künstlergruppe Auto Italia, zu der auch die mit dem Schering Preis ausgezeichnete Kate Cooper gehört, die auch schon in den KW eine Einzelschau hatte. Auto Italia ist eine dieser selbst ernannten Künstler-Firmen, die den neoliberalen Selbstvermarktungszwang unserer Zeit kritisieren, indem sie ihn leben. 150 Prozent Affirmation nannte das der Fluxus-Künstler Bazon Brock in den 60ern. „Meine Haut ist im Kampf mit der Datenwelt“ lautet der unerwartet deskriptive Titel eines Videos, in dem sich zwei junge Frauen in einer „She Factory“ räkeln. Die Bilder erinnert an Heidi Klums Top-Modell-Welt, Lächeln, Haare wehen im Wind, bunte Fingernägel, geschminkte Lippen. Auf der Tonspur spricht eine helle Frauenstimme über die unendlich reproduzierbare Daten-Frau. Die Kritik gilt der permanenten Digitalisierung des Selbst, dem Körper als Ware und Datenfabrik. Diese naheliegende Dystopie ist in eine rosa Werbefilmästhetik gepackt. Haben Pop-Art-Künstler wie Andy Warhol oder der Fluxus-Komponist John Cage noch aktiv daran gearbeitet, die Kunst vom letzten Rest Metaphysik zu befreien, indem sie Autorenschaft, Einzigartigkeit und Aura gekillt haben, ist das bei Auto Italia kein Thema mehr. Bei ihnen sieht alles selbstverständlich nach Apple-Werbung aus. Auch ihre Systemkritik.

Immer wieder taucht in der Ausstellung das Motiv des Surfers auf. Er ist der Held der Oberfläche, er surft die Welle, der Sinn liegt schlicht darin, das zu tun. Mehr nicht. Aber auch die besurfte Oberfläche ist extrem volatil, sie ändert sich ständig, wie die wechselnden Identitäten, die wir uns überstreifen, wenn wir als digitale Bilder mit der Welt in Kontakt gehen. Variierende Wiederholung und Aneignung, statt Abgrenzung, das ist es, was die Ausstellung im Umgang mit der Oberfläche, dem Bildschirm, dem Bild vorschlägt. Das ist dann trotz der eingangs erwähnten Warnung eine Antwort. Allerdings: Sie wurde von der Kuratorin gegeben, nicht von den Künstlern oder von der Kunst. Das einzelne Werk geht in dem kuratorischen Setting „Gruppenausstellung mit großer Frage“ schnell unter. Es wird leise, stellt sich in den Dienst. Vielleicht ist das beim flankierenden Performance-Programm anders. Spannend wird auch die Frage, welches Ausstellungsformat Blumensteins Nachfolger Krist Gruijthuijsen, dessen Name am gestrigen Donnerstag verkündet wurde, propagiert? Wird der 1980 geborene niederländische Kurator und Kunstkritiker, der neuerdings zugleich auch als KW-Direktor fungiert, nach Fragen suchen, nach Antworten oder nach dem ganzen Rest?

Kunst-Werke, Auguststr. 69, Mitte, bis 1.5., Mi–Mo 12–19 Uhr, Do 12–21 Uhr

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