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Liebesspiel mit Silikonpuppe. Szene dem Film von Mohamed Bourouissa.

© Andrea Rosetti

Ausstellung im Schinkel Pavillon: Liebe und Sehnsucht in modernen Zeiten

Eine enthauptete Sexpuppe und immer weibliche Sprachassistenten: Danica Barboza und Mohamed Bourouissa beschäftigen sich mit dem Triebleben in der Digitalära.

„Modern Love“ heißt der erste Track auf David Bowies 1983er-Album „Let's Dance“. Von heftiger Perkussion gehetzt, singt das adoleszente Ich - nicht zu verwechseln mit dem damaligen Mittdreißiger Bowie - von Job-Routine, Kirchengängen, andere Verpflichtungen und nur am Rand von Liebe oder ihrer Unmöglichkeit: „Don't believe in modern love“. „Modern“ und „Liebe“, ein hübscher Widerspruch, weil Glück und Herzschmerz im Weltenlauf wohl konstante Größen bleiben, trotz aller gesellschaftlicher Dynamik.

Von Liebe und Sehnsucht in modernen Zeiten erzählen Danica Barboza und Mohamed Bourouissa im Schinkel Pavillon, und man kann es zeittypisch finden, dass hier kein Ausstellungsduett stattfindet. Die Künstler bleiben solo. Der französisch-algerische Künstler Bourouissa zeigt einen Filmessay im Untergeschoss des Kunstvereins, die New Yorkerin Barboza gibt sich oben im Oktagon ihrer Sehnsucht nach David Bowie hin.

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„Advanced Pair Bonding“ - „Fortgeschrittene Paarbindung“ - in ihrer ersten institutionellen Einzelausstellung feiert die 1988 geborene Künstlerin ihre „mystische Ehe“ (Barboza) mit dem vor vier Jahren verstorbenen Pop-Idol. Parallel zu ihrer bildhauerischen Arbeit schreibt Barboza an einem Fortsetzungsroman über ihre Fantasie-Ehe mit Bowie und den gemeinsamen Spross „Draco Adollphus B“, der sich auch in ihren Installationen materialisieren soll. Im Schinkel Pavillon ist allerdings von Draco keine Spur.

Traummann aus dem Jenseits

Dafür schwimmt eine Silikon-Nachbildung von David Bowies Haupt kopfüber durch ein achteckig an den Pavillon angepasstes Wasserbassin. Eine von vielen zwischen Hyperrealismus und Abstraktion pendelnden Skulpturen, die im großen Bassin oder am Beckenrand positioniert sind.

Auf einer im Wasser versenkten Digitaluhr läuft ein Countdown, dessen lange Zahlenreihe erst in ferner Zukunft aus lauter Nullen bestehen wird. Ob dann Major Tom, der Raumfahrer aus Bowies „Space Oddity“ aus dem All zurückkehrt oder Barbozas Traummann leibhaftig aus dem Jenseits taucht, können wir nicht wissen. Das aktuelle Schinkel-Environment lässt den Betrachter jedenfalls frustriert am Beckenrand zurück. Trotz des durchaus zeitgenössischen Fankult-Subtextes: Es funkt einfach nicht.

Eine enthauptete Sexpuppe bei Barboza schafft immerhin eine Verbindung zu ihrem Künstlerkollegen, dessen halbstündiges Video „LINK“ ein Stockwerk tiefer läuft. Mohamed Bourouissa, 1978 in Algerien geboren, spürt in seinen Fotoserien und Filmen dem Individuum in Zeiten politischer und technologischer Umwälzung nach. Sein halbstündiger Film ist ein lohnender Essay über das Triebleben in der Digitalära.

Intimleben mit Silikonfreundin

Wenn der menschliche Partner fehlt, kann man heute, nun ja, Sex und einen gewissen Gedankenaustausch mit einem Camgirl wie Selena Storm haben (44000 Follower auf Twitter). Bourouissa stellt die Netzarbeiterin ebenso vor wie die Erotikproduzenten der Plattform „Disciples of Desire“ und einen Mann namens Al, der Einblicke in sein Intimleben mit seiner lebensgroßen Silikonfreundin Barbie gibt.

Außerdem informiert „LINK“ über industrielle Fortschritte darin, künstliche Intelligenz in attraktive Kunstköpfe einzupflanzen. Noch antwortet BINA48, ein Robotergesicht mit Internetanschluss, auf Fragen nur mit Plattitüden. Bourouissas Film wirft unter anderen die Frage auf, warum künstliche Intelligenz und Anmache-Logarithmen meistens mit Frauenstimmen (höre: Alexa) und weiblichen Gesichtern verbunden ist. Bevor uns die Antwort einfällt, lassen wir uns von David Bowies Album „Let's Dance“ inspirieren und gehen Tanzen. Irgendwohin, wo man Männer und Frauen kennenlernt.

Schinkel Pavillon, Berlin, bis 15. März, Do-So 12-18 Uhr

Jens Hinrichsen

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