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Blick in die Ausstellung „Die Bücher“. Man kann die Titel studieren wie das Gesicht eines Menschen oder ein Gemälde.

© Courtesy the artist und KÖNIG Berlin/London/Tokyo; Photo: Thomas Bruns

Ausstellung im Salon Berlin: Sie sprechen Bände

Erinnerung an die Bücherverbrennung: Annette Kelm zeigt ihre Ausstellung „Die Bücher“ im Salon Berlin des Museums Frieder Burda.

Wie eine Ahnenreihe hängen sie an der Wand. Bild für Bild in großen weißen Passepartouts, drumherum ein schmaler Rahmen. Tatsächlich könnten die 50 Aufnahmen von Bucheinbänden der Jahre 1913 bis 1944 so etwas wie eine Galerie der Überlebenden sein.

Beinahe wären auch diese Exemplare ausgelöscht worden bei den Bücherverbrennungen nationalsozialistischer Studenten, beginnend mit der Aktion am 10. Mai 1933 auf dem Opernplatz mitten in Berlin, dem heutigen Bebelplatz, bei der 30 000 Bände in Flammen aufgingen.

21 weitere Universitätsstädte folgten dem Beispiel. Wie viele Bücher verbrannten, ist nicht mehr rekonstruierbar. Es müssen Hunderttausende gewesen sein. Nur durch glückliche Fügung blieben einzelne Exemplare verschont. Sie sind heute bibliophile Sammelobjekte.

Für ihr Projekt „Die Bücher“ hat die Berliner Fotografin Annette Kelm nüchtern und klar die Vorderansicht von insgesamt 160 Ausgaben aufgenommen, die die Zerstörung der Nationalsozialisten überstanden. Nur ein Schlagschatten deutet an, dass sie Volumen besitzen.

Er ist das einzige, was von der Wucht der Inszenierung ablenkt. Gestochen scharf sind die Bände wiedergeben mit all ihren Rissen, Gebrauchsspuren, manchmal auch nur noch das Buch selbst mit dem ins Leinen eingeprägten Titel, wenn der Umschlag verloren gegangen ist.

Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ gehört dazu

Man kann die Titel studieren wie das Gesicht eines Menschen oder ein Gemälde: Erich Kästners Kinderbuch „Das verhexte Telefon“ mit den herrlichen Zeichnungen von Walter Trier, Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“, „Das kunstseidene Mädchen“ von Irmgard Keun.

Oskar Maria Grafs „Notizbuch des Provinzschriftstellers“ hängt da neben Maria Leitners Roman „Eine Frau reist durch die Welt“, „Fridericus Rex“ von Kurt Kesten und Ernst Tollers „Schwalbenbuch“.

Durch die Übersetzung ins Medium der Fotografie wird den Büchern noch einmal anders Respekt gezollt, entsteht ein Abstand zwischen dem Alltagsgegenstand und dem Schicksal ihrer Verfasser. Die Bände wandeln sich zu Repräsentanten.

Wieder im Licht. Die Berliner Fotografin Annette Kelm hat die Vorderansicht von 160 Büchern aufgenommen, die die Zerstörung der Nationalsozialisten überstanden haben.
Wieder im Licht. Die Berliner Fotografin Annette Kelm hat die Vorderansicht von 160 Büchern aufgenommen, die die Zerstörung der Nationalsozialisten überstanden haben.

© Wellington Film Manufacture; Archival Pigment Print. Courtesy the artist und KÖNIG Berlin/London/Tokyo

„Da die Zeitzeugen aussterben, werden die Objekte immer wichtiger“, sagt die Künstlerin. „Es kann kein Ende der Erinnerung geben.“ Eigentlich ist die 45-Jährige eher für ihre surrealistischen Arrangements bekannt, etwa Blumenstillleben in eigenwilligen Konstellationen.

Gerade stellt sie im Auswärtigen Amt aus, wo eine rosa Latzhose im Frühstückszimmer hängt, im Wartezimmer ein gelber Korbstuhl mit dem Titel „Happy Chair / Van Gogh“. Bei Heiko Maas über dem Schreibtisch treten Blütenzweige mit farbigen Kartons à la Mondrian in einen überraschenden Dialog.

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Auch die ehemalige Jüdische Mädchenschule wackelt als Kunststandort

Mit ihrer Serie „Die Bücher“ schlägt Annette Kelm ein neues Kapitel auf. Nachdem ihre Serie zuvor in der Ausstellung „Tell me about yesterday tomorrow“ im Münchner NS-Dokumentationszentrum ausgestellt war, ist sie nun in der ehemaligen Jüdischen Mädchenschule in der Auguststraße zu sehen, genauer: im Salon Berlin, der Dependance des Baden-Badener Museums Frieder Burda.

Nach der ehemaligen Parteizentrale der NSDAP entfaltet sie nun am Ort der Opfer eine ganz andere Ausstrahlung.

Das war auch für Patricia Kamp, die künstlerische Direktorin des Salons, ausschlaggebend. „Durch die Ausstellung wird bewusst, was der Ort bedeutet“, sagt die Stieftochter Frieder Burdas.

Vor vier Jahren begründete sie den Salon als Baden Badener Außenstelle, um die väterliche Sammlung im Dialog mit Werken Berliner Künstler neu zum Sprechen zu bringen. Zu den bemerkenswertesten Beispielen gehörte die Kombination aus Candice Breitz’ Videos mit Gemälden von William N. Copley, beide beschäftigten sich mit dem Thema Sexarbeit.

Die Jüdische Mädchenschule als Standort aber hatte sich Patricia Kamp damals gezielt ausgesucht: mitten in der einstigen Galeriemeile Berlins gegenüber von den Kunst-Werken und dem me Collectors Room von Thomas Olbricht.

Installationsansicht von Annette Kelms Ausstellung „Die Bücher“. 
Installationsansicht von Annette Kelms Ausstellung „Die Bücher“. 

© Courtesy the artist und KÖNIG Berlin/London/Tokyo; Thomas Bruns

Wie steht die Dependance des Museums Frieder Burda zu Berlin?

Kamp gehörte zum Tross der nach Berlin strebenden Sammler, die sich in der Hauptstadt mit einem Showroom bemerkbar machen wollten und die Kunstszene bereicherten.

Lässt sie sich ebenfalls anstecken von den Abwanderungsbewegungen eines Friedrich Christian Flick, der seine Sammlung aus dem Hamburger Bahnhof abzieht, von Olbricht, der zurück ins Ruhrgebiet geht, und Julia Stoschek, die wieder zu ihren Hauptstandort Düsseldorf strebt?

Nein, die Kunsthistorikerin erklärt energisch, in Berlin bleiben zu wollen, auch wenn sie gegenwärtig im eigenen Haus erlebt, in welche Richtung sich Berlin verändert. Nachdem sich die Jüdische Mädchenschule seit ihrer Sanierung 2012 als Kulturort etabliert hatte, mit Restaurants im Erdgeschoss, dominiert nun eine andere Klientel.

Auf mehreren Geschossen hat sich eine Styling Plattform für Mode niedergelassen, die mit H & M zusammenarbeitet und sich die gestiegene Miete leisten kann. Als Wunsch an die Berliner Politik nennt Patricia Kamp nur, dass sich die Kulturpolitiker öfter mal blicken lassen, ihr Interesse bekunden sollten.

Kurt Hiller, §175: Die Schmach des Jahrhunderts, 1922. Aus der Serie Die Bücher, 2019/2020.
Kurt Hiller, §175: Die Schmach des Jahrhunderts, 1922. Aus der Serie Die Bücher, 2019/2020.

© Courtesy Annette Kelm und KÖNIG

Vielleicht würden sie dann bemerken, dass ein Ausstellungsort, bei dem bis vor Kurzem bei Vernissagen auf allen Etagen Betriebsamkeit herrschte, seine Attraktivität verliert.

Coronabedingt fiel die Eröffnung der Kelm-Ausstellung aus, jetzt ist sie nach Voranmeldung zu besuchen. Die Abgeschiedenheit tut ihr gut. Sie schenkt dem Besucher die Muße, die fotografierten Buchtitel in Ruhe zu betrachten.

[Salon Berlin, Auguststr. 11-13, bis 24. 10.; Di bis Sa 12 – 18 Uhr. Anm.: 030/24047404 oder www.museum-frieder-burda.de]

Umso mehr treten die Gefährdungen des Kulturbetriebs vor Augen. Mit den Büchern verschwanden damals die Autoren, ebenso die an der Gestaltung beteiligten Künstler wie John Heartfield oder Hans Bellmer. Die Fragilität ist geblieben.

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