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 Arg plakativ. Willi Sittes Gemälde „Angela Davis und ihre Richter“ (1971, Ausschnitt) prangert das Unrecht an.

© SKD, VG Bild-Kunst Bonn 2021

Ausstellung im Lipsiusbau in Dresden: Freiheitsikone im Land der Verfolgten

„1 Million Rosen für Angela Davis“: Die Staatlichen Kunstsammlungen erinnern an eine Solidaritätsaktion in der DDR.

„Freiheit für Angela Davis“ ist ein Slogan, den frühere DDR-Bürger bis heute im Ohr haben. Dahinter stand die Forderung nach Freilassung der 1970 in New York als Terroristin verhafteten Schwarzen Bürgerrechtlerin Angela Davis, die sich die Staaten des Ostblocks und besonders auch die DDR zu eigen gemacht hatten. Mit Davis gewann der an die USA gerichtete Vorwurf der Menschenrechtsverletzung ein Gesicht, ein Schicksal, ganz anders als die gewohnte Propaganda.

Künstler setzten sich für Davis ein: Auf der „VII. Kunstausstellung der DDR“ 1972 wurden sieben Arbeiten zum Thema gezeigt, darunter ein großformatiges Gemälde von Willi Sitte, das zum vielleicht populärsten Werk des allgegenwärtigen Künstlerverbandspräsidenten avancierte. Vor allem aber kam es zur Aktion „1 Million Rosen für Angela Davis“.

Am Freispruch für Davis fühlten sich viele beteiligt, selbst in der DDR

Als „Solidaritätskampagne“ organisiert, schickten Bürger der sozialistischen Staaten Millionen Postkarten an Davis – und feierten ihren Freispruch vor dem Obersten Gericht Kaliforniens im Juni 1972 samt Entlassung nach zwei Jahren Untersuchungshaft als ihren Erfolg.

Damit nicht genug: Als Angela Davis anschließend den Ostblock und im September auch die DDR besucht, kommt es in Ost-Berlin, Magdeburg und Leipzig zu regelrechten Massenaufläufen. Allein auf dem Flughafen Schönefeld sollen an die 50 000 Menschen zusammengeströmt sein, um sie nach der Landung zu begrüßen. Im Jahr darauf wiederholt sich die Begeisterung, als Davis zu den Weltjugendfestspielen nach Berlin zurückkehrt.

Was ist von all dem nach einem halben Jahrhundert geblieben? Eine Menge Archivmaterial – und die Kunstwerke. Darüber berichtet Kathleen Reinhards Ausstellung „1 Million Rosen für Angela Davis“ im Lipsiusbau, dem Ausstellungshaus der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.

Heute blickt Angela Davis altesmilde auf ihre DDR-Popularität zurück

Angela Davis, 1944 geboren und im zutiefst rassistischen Alabama aufgewachsen, 1969 dann eine der ersten afroamerikanischen Lehrkräfte an der Universität von Kalifornien, blickt heute auf die damalige Zeit mit Altersmilde zurück. Im Katalog – unabdingbar wohl nicht nur für West-Besucher – ist ein langes Gespräch mit ihr abgedruckt, in dem sie den geschichtlichen Fortschritt betont und zugleich beinahe ungläubig auf die ungeheure Popularität zurückblickt, die sie damals im Ostblock genoss.

Willi Sittes arg plakatives „Angela Davis und ihr Richter“ von 1971 hängt nun neben Heinz Wodzickas fast gleichzeitigem Porträt im Lipsiusbau, dazu ein kleineres Brustbild von Christoph Wetzel, das einen Hauch des damals im Westen aktuellen Fotorealismus in die DDR-Malerei brachte.

In den Vitrinen sind etliche Postkarten von damals ausgelegt

Zugleich sind zahlreiche Arbeiten jüngerer Künstler zu sehen, die sich im weitesten Sinne als „politisch“ verstehen, wie Sophie Calles Fotoarbeit vom bereits verwaisten Palast der Republik, oder Sadie Barnettes „My Father’s FBI File“ von 2017. In der Mitte des zweigeschossigen Ausstellungssaales ist der „Lese- und Diskussionsraum“ des Kollektivs „Contemporary And“ (C&) aufgebaut, mit Literatur von und zu Angela Davis. In Vitrinen sind Dokumente und etliche der damaligen Postkarten – natürlich mit den besagten Rosen! – zu sehen, auf Stellwänden wird ihre Biografie erzählt.

Davis hatte Philosophie studiert, darunter in Frankfurt am Main am Institut für Sozialforschung und anschließend in Kalifornien bei Herbert Marcuse, dem Vordenker weltweiter Protestbewegungen. Davon wusste die Soli-Bewegung im Osten freilich wenig, und es bleibt die Ambivalenz, dass Davis als Ikone des Anti-Imperialismus gefeiert wurde, selbst aber zu politischer Verfolgung im Realsozialismus nicht Stellung nahm.

Am Alltagsrassismus in der DDR änderte die Davis-Kampagne wenig

„Denn auch wenn die durch Davis’ Verhaftung ausgelöste weltweite Solidaritätsbewegung zwar die Anstrengungen der DDR verstärkte, sich als anti-rassistischer Staat zu profilieren, und Angela Davis zu einem festen Bestandteil der politisch-ideologischen Ikonografie der DDR geworden war, so blieb Alltagsrassismus auch in der DDR allgegenwärtig und stand in massivem Widerspruch zu den offiziell propagierten Antirassismus- und Solidaritätskonzepten“, schreibt Hilke Wagner im Katalog, die Direktorin des Albertinums, das die Ausstellung ausrichtet.

Für eine kurze Zeitspanne brachte Angela Davis der jungen Generation der DDR Anschluss an die Protestbewegung. „Die afroamerikanische Aktivistin war Projektionsfläche vieler Aspekte der westlichen Gegenkultur“, schreibt Maria Schubert, die über das Verhältnis der DDR zur amerikanischen Bürgerrechtsbewegung forscht: „Ostdeutsche Jugendliche partizipierten an dieser Protestbewegung, indem sie Davis bejubelten und zum Teil sogar ihr Erscheinungsbild nachahmten, wie z.B. den Afro. Durch die Solidarität mit Davis schwamm die DDR damit auf dem Lebensgefühl vieler Jugendliche mit.“

[Dresden, Lipsiusbau, bis 30. Mai; Katalog 27 €. Infos unter www.skd.museum]

Es blieb bei der Episode. Spätestens 1976 hatte die DDR mit der Ausbürgerung Biermanns ihr eigenes Problem mit politischem Protest. Davon berichtet Gabriele Stötzer in ihrer Video-Installation „Zelle 5“: Sie wurde nach den Biermann-Protesten monatelang von der Stasi inhaftiert und schließlich zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, wegen „Staatsverleumdung“. Da war Angela Davis bereits sehr fern. Bernhard Schulz

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