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Heilige Familie. Ein Relief zeigt Pharao Echnaton und seine „Große Königsgemahlin“ Nofretete, die ihre Töchter herzen und küssen. Über ihnen schwebt die Strahlensonne Atons.

© Staatliche Museen zu Berlin, Foto: Margarete Büsing

Ausstellung "Im Licht von Amarna": Nofretete und die Revolution des Sehens

Als vor hundert Jahren die Büste der Nofretete gefunden wurde, notierte der Archäologe Ludwig Borchardt: "Beschreiben nützt nichts, ansehen!" Jetzt zeigt das Neue Museum Berlin noch einmal in einer großen Ausstellung die Kunst der Amarna-Ära. Die präsentiert sich hier prachtvoll - und mitunter atemberaubend modern.

Wenn es um Nofretete geht, fällt es schwer, nüchtern zu bleiben. Als ihre Büste am 6. Dezember 1912 in Tell El-Amarna entdeckt worden war, notierte der Archäologe Ludwig Borchardt in seinem Tagebuch: „Arbeit ganz hervorragend. Farben wie eben aufgelegt. Beschreiben nützt nichts, ansehen!“ Seither gilt die „bunte Büste“, wie der Ausgräber seinen Fund nannte, als Inkarnation der Schönheit, in ihrer rätselhaften Makellosigkeit allenfalls mit der Mona Lisa vergleichbar. Mit ihren Mandelaugen, den überlängten Gesichtszügen und sanft geschwungenen Brauen unter einer haubenförmigen blauen Krone überstrahlt Nofretete bis heute alle anderen Kunstwerke, die auf der Berliner Museumsinsel verwahrt werden. Als Rainer Maria Rilke Fotos der Skulptur zugeschickt bekam, schwärmte er: „Diese herrliche Königin, die ich gestern erhielt, ein bezauberndes Beispiel der erblühten Schönheit jener rätselhaften kurzen Epoche!“

Mit der Epoche ist die Amarna-Zeit gemeint, eine kurze Ära des Aufruhrs und Umsturzes in der altägyptischen Geschichte. „Im Licht von Amarna“ heißt die Ausstellung, mit der das Ägyptische Museum, das im Neuen Museum untergebracht ist, die hundertjährige Wiederkehr der Entdeckung der Nofretete-Büste feiert. Es ist ein überaus ehrgeiziges Unternehmen, das nicht bloß die Kultur- und Geistesgeschichte der Amarna-Zeit, sondern auch die Rezeptionsgeschichte der Büste darzustellen versucht.

Gezeigt werden rund 1200 Exponate, von denen viele überhaupt zum ersten Mal zu sehen sind. Die meisten stammen aus der Grabungskampagne der Deutschen Orient-Gesellschaft von 1911 bis 1914, die von Ludwig Borchardt geleitet und von dem Textilunternehmer James Simon finanziert worden war. Sie waren nach einer Fundteilung mit der ägyptischen Altertumsverwaltung nach Berlin gelangt und von Simon dem preußischen Staat geschenkt worden. Ergänzt werden sie durch Leihgaben aus New York und London. „Im Licht von Amarna“ dürfte sich zum dritten Berliner Antiken-Blockbuster innerhalb von zwei Jahren entwickeln, nach den „Göttern von Halaf“ und der Pergamon-Schau. Eine Ausstellung über die fünftausend Jahre alte Megacity Uruk ist in Planung.

Die Stücke der Nofretete-Ausstellung stammen aus der Zeit um 1400 vor Christus, sind also mehr als dreitausend Jahre alt, wirken in ihrem stilisierten Naturalismus aber mitunter atemberaubend modern. Ein knapp zehn Zentimeter hoher hölzerner Kopf der Königin Teje zeigt eine rundgesichtige Schönheit mit afrolookartiger Perücke. Fliesenfragmente mit Darstellungen von Fischen und Vögeln erinnern in ihrer Ornamentik und Farbigkeit an den Jugendstil. Fayencen schimmern kobaltblau. Die stromlinienförmige Skulptur einer Prinzessin aus poliertem rötlichem Quarzit wirkt wie ein Wesen aus einem Science-Fiction-Film.

Etwas Manieriertes geht von dieser Kunst aus, der Wunsch, die Welt nicht zu zeigen, wie sie ist, sondern so, wie sie sein sollte. Der Kulturhistoriker Egon Friedell erkannte in den Porträts der Königsfamilie eine Kollektion von Missgeburten, „mit sonderbar entarteten Schädeln, eingesunkenen Brustkörben, welken Armen, abfallenden Schultern, grotesken Hängebäuchen über kümmerlichen Zündhölzchenbeinen“. Zu spüren ist auch eine geradezu lyrische Naturbegeisterung. Ein herrliches Farbrelief zeigt einen König und eine Königin, die durch einen Garten spazieren. Er ist hängeschultrig und spitzbäuchig, sie trägt ein kunstvolles Plisseegewand und hält Blumengebinde in den Händen. Eine Szene wie aus dem Paradies.

Von Göttern zu Bildern

Im Licht von Amarna ereignete sich eine Revolution des Sehens. So frei und lebendig, in so innig-intimem Umgang miteinander waren Menschen bis dahin in der ägyptischen Kunst nicht dargestellt worden. Die Könige galten als Götter, nun wurden sie auf Bildern – eine „tollkühne Neuerung“ (Friedell) – auch zu Liebenden. Ein zentrales Exponat führt Echnaton und Nofretete vor Augen, die auf einem Relief unter der Strahlensonne Atons sitzen und ihre Kinder herzen und küssen. Sie tragen ihre Kronen und geben sich dennoch sehr privat. Die Ausstellung ist um ein Modell der Werkstatt des Bildhauers Thutmosis gruppiert, dem Fundort der Büste. Nofretete ist gleich mit einem halben Dutzend skulpturaler Porträts vertreten, besonders eindrucksvoll mit einer 40 Zentimeter hohen Standfigur aus Kalkstein, in der sie beinahe nackt erscheint.

Tell El-Amarna, kurz: Amarna, das ist der auf halbem Weg zwischen Kairo und Luxor gelegene Ort, an dem der Pharao Echnaton und seine „Große Königliche Gemahlin“ Nofretete ihre neue Hauptstadt errichten ließen, in der einzig ein Gott verehrt werden sollte – Aton. Sie gaben ihr den Namen Achetaton. Echnaton, der den ägyptischen Thron als Amenophis IV. bestiegen hatte, herrschte 17 Jahre, von denen er nur die letzten zehn in der neuen Residenz verbrachte. Aber es gelang ihm, Achetaton zu einer prachtvollen Metropole zu machen, in der etwa 50 000 Menschen lebten. Seinen Nachfolgern galt er als Ketzerkönig, so fiel er nach seinem Tod einer vollständigen damnatio memoriae anheim, und Achetaton wurde bis auf die Fundamente geschleift.

Der Ägyptologe Jan Assmann nennt Echnaton im Ausstellungskatalog einen „Aufklärer und Bilderstürmer“. Echnaton brach mit dem Polytheismus und verstieß die alten Götter. Er schuf den ersten Monotheismus der Weltgeschichte, der auf der Huldigung einer kosmischen Macht beruhte, der Sonne. Das Evangelium dieser Religion des Lichts hat Echnaton selber verfasst, in seinem „Großen Sonnengesang“ preist er Aton: „Schön erscheinst du im Horizonte des Himmels, du lebendige Sonne, die das Leben bestimmt!“ Im Neuen Museum kann man sich den Hymnus vorlesen lassen und dabei die Hieroglyphen studieren.

Die Vorstellung von einem Sonnengott, der in zwei Barken über den Himmel und durch die Unterwelt fährt und dabei mit anderen Göttern in Kontakt kommt, wich einem abstrakten Gottesbild. Echnaton schaffte die Unterwelt ab, statt im Jenseits lebten die Toten nun in einem überhöhten Diesseits fort. Der Pharao muss auf Widerstand gestoßen sein, insbesondere bei der Priesterschaft der alten Tempel von Theben. Die letzten Jahre seiner Regierung standen unter keinem guten Stern. Drei seiner Töchter starben innerhalb eines Jahres, die Hethiter griffen Ägypten an. Schon bald, nachdem Echnaton mit 43 Jahren gestorben war, kehrte der Glaube an die alten Götter zurück. Und ein neuer Bildersturm begann. Die Ausstellung präsentiert eine Echnaton-Büste, deren Gesicht zerschlagen wurde, so brutal, als ob man ihn noch einmal töten wollte.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Echnaton, Nofretete und ihr Nachfolger Tutanchamun heute die bekanntesten Gestalten des Alten Ägypten sind. Sie wurden als Frevler verdammt, ihre Namen aus der Liste der Könige gestrichen. Nur weil Tutanchamun vergessen war, konnte Howard Carter 1922 sein unberührtes Grab mit allen Schätzen entdecken.

Neues Museum, 7. Dezember bis 13. April. Mo–So 10–18, Do bis 20 Uhr. Katalog (Imhof-Verlag) 24,95 €

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