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Testsitzen. Friedrich Dieckmann und Schüler:innen oriben seine Gartenmöbel aus Korbgeflecht, um 1931. Vonlinks: Bernhard von Brandenstein, Katharina Dieckmann, Erich Dieckmann und Hela Jöns.

© Sammlung Stadtarchiv Halle (Saale), Finsler

Ausstellung im Kunstgewerbemuseum: Der wiederentdeckte Bauhäusler

Nach 30 Jahren erhält der Möbelgestalter Erich Dieckmann zum ersten Mal wieder eine Einzelschau. Studierende in Halle interpretieren ihn neu.

Vielleicht wäre es anders gekommen, wäre der Italiener Dino Gavina in den 1960er Jahren auf Erich Dieckmann und seine Entwürfe gestoßen. So wie es kam, stieß der auf Marcel Breuer, erwarb die Lizenzen für dessen damals schon Jahrzehnte alte und ziemlich vergessene Sitzmöbel und verkaufte sie bald wieder an die Amerikaner von Knoll. Der Rest ist Geschichte. Und so denkt heute alle Welt bei Bauhaus-Stuhl entweder an den „Wassily Chair“ oder an die mit Wiener Geflecht bespannten Stahlrohr-Freischwinger (B32 und B64) – in jedem Fall aber an Marcel Breuer.

Bei Bauhaus-Stuhl denkt jeder zuerst an Marcel Breuer

Immerhin: Wäre es anders gekommen, könnte das Berliner Kunstgewerbemuseum sich anlässlich seiner Ausstellung nicht auf die Fahnen schreiben, den „vergessenen Bauhäusler“ Erich Dieckmann wiederentdeckt zu haben. Dass das eine große Sache ist für das Haus am Kulturforum, nicht weit von Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie, sieht man auch daran, dass Museumsdirektorin Sabine Thümmler Hand an die ständige Ausstellung gelegt und umgeräumt hat.

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In den vergangenen Jahren ist das Kunstgewerbemuseum vor allem im Zusammenhang mit Restitutionsansprüchen am „Welfenschatz“ wahrgenommen worden. In Sachen Design spielt Berlin nicht in einer Liga mit New York (MoMA, Cooper Hewitt), London (V&A) oder auch nur München (Die Neue Sammlung). Und gäbe es da nicht noch das rührige Bröhan-Museum … oje!

Ab 1931 leitete er die Tischlerei an der Burg

Und jetzt dieser Coup: Dieckmann wiederentdeckt. Das heißt: mit wiederentdeckt, denn die Schau war zuvor in Halle zu sehen. Dort hatten Industriedesign-Studenten der Burg Giebichenstein die Möglichkeit, sich an Erich Dieckmann abzuarbeiten. Der hatte eben dort, an der Burg, ab 1931 die Tischlerei geleitet, wie schon zuvor 1925 an der Staatlichen Bauhochschule Weimar, der Nachfolgeeinrichtung des Bauhauses. Die Studenten hatten erkennbar kein Interesse an Neuinterpretationen – und produzierten Redesigns von historischen Dieckmann-Entwürfen.

Inspiration Dieckmann. Studierende der Burg Giebichenstein haben sich von Stühlen des einstigen Lehrers an der Kunsthochschule Halle anregen lassen und seine Entwürfe für die Gegenwart weiterentwickelt. Theda Vollert entwarf den „SYT“.
Inspiration Dieckmann. Studierende der Burg Giebichenstein haben sich von Stühlen des einstigen Lehrers an der Kunsthochschule Halle anregen lassen und seine Entwürfe für die Gegenwart weiterentwickelt. Theda Vollert entwarf den „SYT“.

© Choreo, Roman Häbler & Lars-Ole Bastar

Dieckmann selbst hat am Bauhaus zunächst bei dem guruhaft auftretenden Bauhausmeister Johannes Itten studiert. Die erste Begegnung mit ihm in der Ausstellung ist ein großes Foto: Zwei adrett gescheitelte Männer in weißen Hemden mit Krawatten nebst zwei dezent flapperhaft gewandeten jungen Damen. Alle vier sitzen, die Männer sitzliegen mehr auf organisch geschwungenen, detailliert ausgeführten, ausladenden Korbsesseln, Dieckmann auf dem ausladendsten dieser Möbelstücke. Die Museumsbesucher können es ihm nachtun und in der Sektion „Living like Dieckmann“ in einem Nachbau dieses Sessels sitzliegen: Rund 40 Stunden Korbflechter-Handarbeit stecken darin.

Dieckmanns äußeres Erscheinungsbild vermittelt jedenfalls nicht den Eindruck vom Öko-Esoteriker. Ob seine vielen Entwürfen aus dem Werkstoff Holz Vorstellungen von dessen Nachhaltigkeit zugrunde lagen oder er als künstlerischer Leiter von Tischlerwerkstätten nicht anders konnte, als in Holz zu machen, wissen wir heute nicht.

Sein Stuhl aus Vierkanthölzern wird heute wieder nachgebaut

Dass er das mit dem Bauhaus-Design assoziierte Stahlrohr etwa ablehnte, lässt sich an seinen eigenen Stahlrohrmöbeln ebenfalls nicht ablesen. Sie waren verspielter und mit mehr Rundungen als bei Breuer, Mies oder Mart Stam. Die Wiener Firma TYP hat seinen Stuhl „D1“ – ein eckiger, die Geometrie betonender Entwurf aus Vierkanthölzern, der eher an Gerrit Rietveldt als ans Bauhaus denken lässt – wieder in die Produktion genommen.

[Kunstgewerbemuseum, Kulturforum, bis 14. August; Di bis Fr 10 – 18 Uhr, Sa/So 11 – 18 Uhr.]

Dass Dieckmann so bald und so lange in Vergessenheit geriet, liegt an anderen Gründen als denen des Designs: an seinem Verbleib in Weimar nach dem Umzug des Bauhauses in Richtung Dessau, an seinem frühen Tod 1944 mit nur 48 Jahren. Und an seinem einer Zeit der Arbeitslosigkeit folgenden Arrangement mit dem Nazi-Regime als Referent erst beim Amt für Schönheit der Arbeit (ab 1936) und dann in der Reichskammer der bildenden Künste (ab 1939).

Jens Müller

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