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Schwieriges Erbe: Ein Film zeigt die Schlüsselszenen der Geschichte von Abraham und Isaak als Tanz.

© DigiDaan

Ausstellung im Jüdischen Museum: Setz das Messer an den Hals

Wohin Gehorsam führt: Peter Greenaway inszeniert im Jüdischen Museum das biblische Drama um die Opferung Isaaks.

Die Frau hat lange weiße Haare. Der Junge knickt Holzstöckchen und lacht. Ein Familienidyll. Alles ist gut. Mit dieser Filmszene beginnt die Ausstellung „Gehorsam“, mit der das Jüdische Museum nun ein seit seiner Gründung geplantes Thema angeht: Die Geschichte von der Opferung Isaaks. Der Mythos von Abraham, der von Gott den Befehl erhält, seinen Erstgeborenen zu opfern, als Zeichen seines Glaubens, findet sich sowohl in der hebräischen als auch in der christlichen Bibel und in leicht veränderter Form auch im Koran. Es ist eine höchst widersprüchliche Geschichte, eine der grausamsten, die die Bibel kennt, und folgenreich obendrein.

Um den dramatischen Bibeltext museal aufzubereiten, holte die Programmdirektorin des Jüdischen Museums Cilly Kugelmann keinen geringeren als den britischen Filmemacher Peter Greenaway, der bekannt ist für suggestive, bildgewaltige Filme. Greenaway wiederum nahm seine Frau, die Theaterregisseurin Saskia Boddeke mit an Bord. Gemeinsam haben die beiden bereits Opern- und Theaterprojekte realisiert, auch aufwendige Museumsinszenierungen, zum Beispiel in Moskau, waren darunter. Nun zeigen sie ihre Sicht auf die Opferung Isaaks in einer üppigen Multimedia-Ausstellung. Ihr erstes Museumsprojekt in Deutschland

Emotional wie ein Videospiel

Über 15 Räume erstreckt sich die Schau. Gezeigt werden Gemälde, religiöse Bilder, Bibeln und Gebetbücher und ein eigens für die Ausstellung inszeniertes Theater- und Tanzstück, das die existentielle Prüfung Abrahams in ästhetisch zwischen Vergangenheit und Gegenwart angesiedelten Szenen erzählt; diese werden auf Videoscreens projiziert. Dazu gibt es Licht, Musik, unterschiedliche Bodenbeläge und sogar ein Geruch kommt zum Einsatz. „Wir wollten ein emotionales Erlebnis schaffen, alle Sinne ansprechen, wie in einem Videospiel“, sagte Boddeke bereits bei der ersten Vorstellung des Projekts im April. Und Greenaway fügte in seinem unwiderstehlich versnobten britischen Akzent hinzu: „Bloß keine Didaktik“.

Manche mögen sich bei diesem begehbaren Parcours an das Gefühl in der Geisterbahn erinnern: Man rechnet mit etwas, weiß aber nicht, aus welcher Ecke es einen anspringt. Tatsächlich ist der Rundgang ziemlich kurzweilig, was in eklatanter Abweichung zur Komplexität des Themas steht. Die Filmszene am Eingang der Ausstellung zeigt den Prolog zur biblischen Geschichte und stellt die Protagonisten vor. Eine Frau, ein Kind und einen rätselhaft maliziös blickenden Mann im weißen Anzug: Sara, Isaak und Abraham. Die Geschichte, die dahinter steckt: Sara, die Frau Abrahams, ist bereits 90 Jahre alt, als sie mit Isaak schwanger wird. Der Knabe ist der ersehnte Stammhalter. Im Folgenden wird Abraham von Gott auf eine harte Probe gestellt. Er soll seinen geliebten Sohn opfern.

Biblische Zweifel

Wer der Geschichte aus dem 1. Buch Mose in den Gottesdiensten der katholischen Kirche lauschte, wird die Zweifel kennen. Wie kann das sein? Abraham geht mit Isaak in die Wüste und bindet das Kind auf einem Opferstock fest. Er ist bereit, den Knaben zu schlachten, hebt schon das Messer. Da erscheint ein Engel und hält ihn davon ab. Abraham schlachtet stattdessen einen Widder. In der christlichen Darstellung gehen Abraham und Isaak nach dem Ereignis gemeinsam nach Beerschewa. Von Fragen des Sohnes oder von Wut ist nicht die Rede – wie bei Jesus. Im Koran weiht der Vater den Sohn immerhin ein. Der Sohn stimmt dem Opfer zu, nimmt sein Schicksal an. Hier deutet sich die Wurzel des religiösen Märtyrertums an. In der jüdischen Tradition spricht man hingegen von der „Akeda“, der Bindung, das Opfer hat nicht stattgefunden, aber zum Opfer soll das jüdische Volk stets bereit sein.

Dass die Deutung der Urgeschichte in allen drei Religionen unterschiedlich ausfällt und zu jeweils eigenen Riten, Gebeten und liturgischen Handlungen führt, deuten Greenaway und Boddeke in der Ausstellung an vielen Stellen an. Auch widmen sie jeder Religion einen eigenen Raum: der Islam-Raum ist grün und unter anderem mit Büchern zur Hadsch, der Pilgerreise nach Mekka, ausgestattet; denn dem Gehorsam Abrahams und Isaaks wird im islamischen Opferfest gedacht.

Von Engeln und Teufeln

Der Raum zum Judentum ist mit Widderhörnern und Gebetbüchern bestückt; in dieser Religion wird dem Opferbefehl an Rosch ha-Schana, dem Neujahrsfest, gedacht. Im Raum des Christentums hängt alles voller Kruzifixe, Caravaggios Gemälde „Die Opferung Isaaks“ ist als sogenanntes „Video-Mapping“ zu sehen – das Bild als digitale, animierte Version, so wird der angstvolle Blick des Knaben, das vom Vater nach unten gedrückte Gesicht noch zusätzlich dramatisiert, zum Schluss geht alles in wilden Flammen auf. So vielschichtig die religiösen Auslegungen auch sind, man speichert hier immerhin ein Gefühl. Bildung und Entertainment lassen sich verbinden, ist Greenaway überzeugt. So führen er und Boddeke vom weißen, mit Federn ausgekleideten Engelsraum direkt in den schwarzen Teufelsraum – ein Kontrast, der knallt. Und der Schauspieler, der im Video den Teufel spielt, ist wirklich gut.

Heute steht Abrahams Geschichte jenseits von Religion für menschliche Grenzerfahrungen. Greenaway und Boddeke schlagen den Bogen in die Jetztzeit auf sehr suggestive Art und Weise. Sie zeigen Aufnahmen von Jugendlichen und Kindern, die den Satz „Ich bin Isaak“ sprechen. Am Ende des Rundgangs werden auf drei großen Screens Bilder aus Kriegsgebieten gezeigt – weinende Kinder, verletzte Kinder. „Alle Erwachsenen sind Abraham. Wir müssen die Kinder schützen“, sagt Boddeke beim Pressetermin. Was tun wir in blindem Glauben? Wem leisten wir Gehorsam? Solche Fragen versucht die Ausstellung zu stellen, mit Drama, mit Melancholie, mit Musik. Aber zum Nachdenken führt sie doch.

Jüdisches Museum, bis 13. September, täglich 10-20 Uhr, Mo 10-22 Uhr

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