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Ausstellung im Jüdischen Museum: Geschichte der Zwangsarbeit

Ein öffentliches Verbrechen: Mehr als 13 Millionen Menschen wurden in der NS-Zeit als Zwangsarbeiter ausgebeutet; mindestens 2,7 Millionen von ihnen starben an den Folgen. Das Jüdische Museum in Berlin zeigt erstmals ihr Schicksal in einer großen Ausstellung.

An dem Tag, der sein Leben veränderte, saß Stanislaw Masny auf einer Bank in einem Warschauer Park. Plötzlich hörte der 16-Jährige Schüsse, jemand schrie etwas auf Deutsch. Masny war in eine Razzia geraten, wie sie im besetzten Warschau im Jahr 1944 alltäglich war. Mitarbeiter von Polizei und Arbeitsämtern sperrten Straßen ab, sie waren auf der Suche nach Arbeitskräften. Deutsche Polizisten schlugen ihn mit dem Gewehrkolben, trieben ihn zusammen mit anderen zu einem Lastwagen. Vier Tage später saß er im Zug nach Deutschland. Er wurde zur Zwangsarbeit nach Bremen geschickt.

Stanislaw Masny ist einer von 20 Millionen Menschen aus allen Teilen Europas, die Zwangsarbeit für das nationalsozialistische Deutschland leisten mussten. Erstmals wird nun die Geschichte dieses Verbrechens in einer Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin umfassend erzählt und zugleich in den Kontext der nationalsozialistischen Ideologie und Herrschaftspolitik eingebunden. Zwangsarbeit war keineswegs nur eine Begleiterscheinung des Krieges. Sie hatte ihre Wurzeln vielmehr in der nationalsozialistischen Rassenideologie, die die „Herrenmenschen“ über die Arbeitsvölker erhob. All jene, die nicht zur „Volksgemeinschaft“ gehören sollten, wurden ausgegrenzt, entrechtet und entwürdigt. Den Juden wurden Berufsverbote erteilt, zugleich sprach man ihnen ab, zu „ehrlicher Arbeit“ fähig zu sein. Sie wurden vor aller Augen zu demütigenden Tätigkeiten gezwungen.Die Ersten, die systematisch zur Zwangsarbeit herangezogen wurden, waren die politischen Gegner des NS-Regimes. „Arbeit macht frei“ stand schon über dem Tor des Konzentrationslagers Dachau. Louise Ebert, die Witwe des früheren Reichspräsidenten, wandte sich im Juli 1933 in einem Brief an Hindenburg. Darin bat sie, ihrem kurz zuvor festgenommenen Sohn „die entehrende Zwangsarbeit zu ersparen“.

Im nationalsozialistischen Deutschland wurde nach den Worten der Ausstellungsmacher noch vor 1939 eine Praxis der Ausgrenzung, Entwürdigung und Ausnutzung eingeübt, die nach Kriegsbeginn in die besetzten Gebiete exportiert wurde. Nur elf Tage nach dem Überfall auf Polen richteten die Nazis bereits in Lódz ein Arbeitsamt ein. Diese Dienststellen wurden Instrumente der Besatzungspolitik. Nur wer dort erfasst war, erhielt Lebensmittelmarken. Nach den Soldaten kamen die Vertreter deutscher Firmen, die sich lokale Unternehmen aneigneten oder Werke errichteten. Lukrativ wurde das erst durch die uneingeschränkte Verfügbarkeit nahezu kostenloser Arbeitskräfte. In den Kriegsjahren radikalisierte sich das System der Zwangsarbeit immer weiter. Am Ende stand die Rampe von Auschwitz, an der Menschen, die als nicht arbeitsfähig galten, „selektiert“ und in die Gaskammern geschickt wurden.

Der Tod von Juden, von Sinti und Roma war beabsichtigt

Nicht weit von Birkenau entfernt, in Auschwitz-Monowitz, ließ der Chemiekonzern IG Farben von Häftlingen ein Kunststoffwerk bauen. Der Konzern bestand darauf, dass die SS nicht mehr arbeitsfähige Häftlinge „austauschte“. Nach dem Krieg berief sich die Firma, wie andere deutsche Unternehmen, darauf, sie habe nur im Auftrag des nationalsozialistischen Regimes gehandelt. Die NS-Rassenideologie zeigte sich auch im Umgang mit den Zwangsarbeitern: Der Tod von Juden, von Sinti und Roma war beabsichtigt, Arbeit diente als „Mittel zur Vernichtung“, so die Ausstellungsmacher. Die Zivilisten in den besetzten Gebieten dagegen galten als Kriegsbeute, über die man beliebig verfügen konnte; dass sie dabei sterben könnten, wurde in Kauf genommen. Im Krieg gerieten Rassenideologie und wirtschaftliche Interessen mitunter in Konflikt: Die sowjetischen Gefangenen durften zunächst nicht zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich geschickt werden, doch dieses Verbot wurde auf Drängen vor allem der Bergbauindustrie aufgehoben.

Spätestens 1942 gehörten Zwangsarbeiter in Deutschland zum Alltag. Die modernen Sklaven arbeiteten in der Rüstungsindustrie, auf Baustellen, in der Landwirtschaft, sogar in kirchlichen Einrichtungen und privaten Haushalten. „Es war ein öffentliches Verbrechen“, betont Volkhard Knigge, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Die Deutschen hätten durchaus Handlungsspielräume gehabt. So hing es von den Bauern ab, wie sie ihre Arbeiter behandelten.

Die Ausstellung dokumentiert auch diesen bislang wenig erforschten Teil der Geschichte. So beklagte sich etwa der polnische Zwangsarbeiter Wladyslaw Karasinski darüber, wie schlecht er auf einem Bauernhof nahe Würzburg behandelt wurde: „Sie sind über mich hergefahren wie über einen Hund“, schrieb er nach Hause.

Die Historiker waren selbst überrascht

Diesen Brief und andere eindrucksvolle Dokumente haben die Ausstellungsmacher bei Archivrecherchen in 20 Ländern gefunden. Die Historiker waren selbst überrascht von der Zahl der Fotos, die sie fanden. Sensibilisiert durch die Debatten um die Wehrmachtsausstellung legten sie besonderen Wert auf Quellenkritik. Und so zeigt die Ausstellung nicht nur Fotos, sondern erzählt auch die Geschichte der Momentaufnahmen: Unter dem großen Bild eines Juden, der in Wien eine Hauswand mit der Bürste schrubbt, ist das Originalfoto zu sehen nebst einem Brief an das Propagandablatt „Stürmer“, in dem der Fotograf stolz von der Aktion berichtet – und damit als Täter erkennbar wird.

Die Ausstellung, die sich auch mit der Aufarbeitung nach 1945 befasst, wurde von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ initiiert und finanziert, die an mehr als 1,7 Millionen ehemalige Zwangsarbeiter Entschädigungen gezahlt hatte. Von „ Selbstbeweihräucherung“ der Stiftung oder Deutschlands könne keine Rede sein, betont Knigge. Schließlich sei die Hilfe erst gekommen, als 80 Prozent der ehemaligen Zwangsarbeiter bereits tot waren, sagt auch Jens-Christian Wagner, Leiter der Gedenkstätte Mittelbau-Dora. Und die sowjetischen Kriegsgefangenen sowie die italienischen Militärinternierten gingen leer aus. Die Ausstellung soll auch in den Herkunftsländern der Zwangsarbeiter gezeigt werden. Die nächste Station ist das Königsschloss in Warschau.

Jüdisches Museum Berlin, bis 30. Januar 2011. Begleitband „Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg“, 19,80 €. Infos unter: www.jmberlin.de

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