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Ornamental. Szene aus der Videoarbeit „Twenty Two Letters“.

© Victoria Hanna

Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin: K wie koscher

Die Ausstellung „A wie Jüdisch“ im Jüdischen Museum beleuchtet deutsch-jüdische Gegenwart. Wir haben einen Israeli und einen Deutschen hingeschickt. Wie betrachten sie die Schau?

Besuchen ein Israeli und ein Deutscher das Jüdische Museum in Berlin. Wen von beiden spricht die neue Ausstellung an? Keinen, vielleicht beide? Denn „A wie Jüdisch“ präsentiert 22 Schlaglichter, die den jüdischen Alltag in Deutschland beleuchten sollen. Es herrscht kein Anspruch auf Vollständigkeit, vielmehr haben verschiedene Prozesse zu dieser Zusammenstellung geführt, die ihre Ordnung durch Zuweisungen der Aspekte zu jeweils einem der hebräischen Buchstaben findet.

Den Anlass für Programmdirektorin Léontine Meijer-van Mensch, das heutige Leben der jüdischen Gemeinden in Deutschland auszustellen, sollen die schnellen und tiefgreifenden Veränderungen seit der Museumsgründung vor 17 Jahren gegeben haben. Seit Beginn sieht sich das Museum mit Anfeindungen aus den verschiedenen Richtungen konfrontiert: von rechts außen, vor allem von jüdisch-orthodoxer, gerade in letzter Zeit. Umso mehr überlegt sich das Museum, wie es seine vielfältigen Besuchergruppen möglichst umfassend ansprechen kann. Wenn zum Beispiel ein Israeli und ein Deutscher, Einav und Jonas, gemeinsam hingehen.

Immer wieder den Entdeckerdrang geweckt

Vor der „Koscher“-Vitrine bleiben wir stehen, die Blicke bleiben an der Zahnpasta hängen, die im letzten Fach liegt. Einav klärt auf, was es damit auf sich hat. Schließlich steckt in der Paste weder Milch noch Fleisch, sie ist nicht einmal ein Lebensmittel. Aber alleine Milch und Fleisch zu trennen, macht Lebensmittel und andere Produkte noch nicht koscher. Leider fehlen bei den Wandtexten der Ausstellung solche wichtigen Informationen. Zum Beispiel auch, dass innerhalb der jüdischen Gemeinde, zumindest in Israel, seit Jahren eine heftige Diskussion über die Instanz „Koscher“ geführt wird – bei welchen Produkten es sinnvoll es, welche Regeln von welcher Gruppen für richtig gehalten wird. Und dass es Probleme beim Vergabesystem der Koscher-Lizenzen gibt, bis hin zur Korruption.

Auch an anderen Stellen wäre eine Einordnung in aktuelle Debatten hilfreich, wie bei der Station „TAV: Tora“, die das Thema originell angeht mit dem von einem Roboter mit Tinte geschriebenen Gebetsbuch und einem Gemälde lernender Frauen. Auch hier bleibt die Ausstellung mit ihren Andeutungen allzu vage. Das Tora-Lernen von Frauen hätte beispielsweise anhand einer Fotografie noch eindrucksvoller gezeigt werden können.

Die alphabetischen 22 Stationen können in selbst gewählter Reihenfolge abgegangen werden. Jede einzelne steht für sich und nähert sich ihrem Schlagwort auf eigene Art. Bei „SAJN: Melodien“ darf sich der Besucher in Sitzsäcke sinken lassen und mit Kopfhörern und kleinem Touchscreen durch eine Playlist jüdischer Musik hören. Bei „PE: Pe wie Pfefferspray“ können viele kleinen Sprühdosen begutachtet werden, die das Museum im vergangenen Jahr durch die Sicherheitskontrollen am Eingang von Besuchern eingesammelt hat. Insgesamt ist eine vielfältige, multimediale Ausstellung entstanden, die dadurch immer wieder den Entdeckerdrang weckt.

Antisemitismus taucht in jeder Facette des Alltags auf

Der Besucher wird aktiviert. So lernt er durch Drehen eines Glücksrads an der Wand ausgewählte Verbote und Gebote der Tora kennen. Eines wirkt auf den ersten Blick merkwürdig: „Es ist ein Verbot, Frauen ihren Anspruch auf Sex zu verweigern. Lassen Sie sich nicht zweimal bitten.“ Als Jonas reklamiert, dass keinem Menschen alleiniger Anspruch auf Sex zugesprochen werden dürfe, weil er immer einvernehmlich sein muss, klärt Einav auf. Das Verbot sei geschichtlich zu verstehen. Bei ihrer Entstehung vor vielen tausend Jahren war die Tora ein fortschrittlich denkendes Gebotsbuch, das – wie in diesem Verbot zu erkennen – die Wünsche und Bedürfnisse der Frau immerhin anerkannte und ernst nahm. Im Gegensatz zu vielen anderen Kulturen und Religionen. Die Frage, warum genau dieses Zitat für einen solch markanten Platz ausgewählt wurde, bleibt bestehen. Mindestens fehlt auch hier ein einordnender Wandtext.

Bei den 22 Stationen dominieren gegenüber modernen Themen wie dem Pfefferspray die traditionellen. Sie suchen allerdings immer einen Zugang über Objekte, die nicht älter als knapp zwanzig Jahre sind. „CHET: Hummus“ zum Beispiel zeigt neben einer Schale Kichererbsenpaste auch eine Erinnerungsplakette für ein israelisches Restaurant in Chemnitz, das Ziel eines antisemitischen Angriffs wurde. Überhaupt gibt es glücklicherweise keine Station, die sich ausschließlich mit Antisemitismus beschäftigt. Stattdessen taucht er immer dort auf, wo sich auch im realen Leben Juden dem Hass ausgesetzt sehen, in jeder Facette ihres Alltags. Dadurch vermittelt er sich noch bedrückender.

Ihren in israelischen Kreisen vermutlich am kontroversesten diskutierten Punkt findet die Ausstellung schließlich beim Zusammenleben mit anderen Kulturen. In einem Video sind neben jüdischen auch muslimische und christliche Kinder zu sehen. Den Islam überhaupt vorkommen zu lassen, ist nur konsequent. Schließlich können Anhänger beider Religionen in Deutschland nah und oft auch gut nebeneinander leben. Der Entschluss, dies am Beispiel von Kindern zu zeigen, ist ebenso mutig.

Jüdisches Museum, Lindenstr. 9-14, bis 30. 9.2019, tägl. 10 –20 Uhr

Einav Schiff, Jonas Zerweck

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