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Akinbode Akinbiyi in seiner Ausstellung "Six Songs, Swirling Gracefully in the Taut Air" im Gropius Bau.

© Kai-Uwe Heinrich

Ausstellung im Gropius Bau: Wanderer zwischen den Wundern

Seit fast 30 Jahren lebt der nigerianische Fotograf Akinbode Akinbiyi in Berlin. Seit seiner Teilnahme an der Documenta 14 gilt er als Star.

Die Zeit drängt. Kuratorin Natasha Kinwala wirkt zunehmend ungeduldig, die Ausstellung im zweiten Geschoss des Gropius Baus muss weiter aufgebaut werden. Bei einigen Bildern sind noch Absprachen nötig, bevor sie von den Helfern aufgehängt werden können. Auch die Saaltexte haben noch nicht ihren endgültigen Platz gefunden. Doch Akinbode Akinbiyi lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Der nigerianische Fotograf kehrt bedächtig an den Anfang seiner Ausstellung zurück, um auf eine Aufnahme zu verweisen, die auf den ersten Blick so gar nicht zu den anderen passt.

Zu sehen ist Okwui Enwezor, der im vergangenen Jahr verstorbene Direktor vom Münchner Haus der Kunst, bei der Eröffnungsrede seiner legendären Ausstellung „The Short Century“ 2001 im Lichthof des Gropius Baus. Neben ihm steht der Premierminister Nigerias, der eigens zur Vernissage dieser ersten großen Schau zeitgenössischer Kunst aus Afrika angereist war.

Zehn Jahre lebte Akinbode Akinbiyi damals schon in Berlin, natürlich musste er bei einem solch epochalen Ereignis dabei sein. Und fotografieren. Knapp zwei Jahrzehnte später stellt er mit „Six Songs, Swirling Gracefully in the Taut Air“ am gleichen Ort selbst aus. Ein Kreis schließt sich. Es ist Akinbiyis erste Einzelausstellung in Deutschland seit seiner Teilnahme an der Documenta 14 vor drei Jahren, die ihn endgültig zu einer Größe nicht nur der Fotoszene, sondern auch im Kunstbetrieb gemacht hat.

Berlin, Tiergarten/Moabit, 2016
Berlin, Tiergarten/Moabit, 2016

© Courtesy Akinbode Akinbiyi

Wie in Kassel und Athen zeigt er neben Einzelbildern wieder Tableaus, zwölf Aufnahmen in Viererreihen zusammengefasst, die scheinbar willkürlich miteinander kombiniert sind. Das Einzige, was sie verbindet, ist der Ort, sind die Straßen von Lagos. Zu sehen sind beiläufige Szenen: Menschen, die über die Straße huschen, sich zufällig treffen, anhalten und miteinander sprechen. Blicke auf Bürgersteige, Läden, selbst gemalte Schilder, die auf Fotostudios und Kleingewerbe um die nächsten Ecke verweisen.

Der Fotograf will die Seelenlage einer Stadt erkunden

Man könnte Akinbode Akinbiyi als Vertreter der „Street Photography“ einordnen, aber das trifft es bei Weitem nicht. Mit seinem sanften, liebevollen Blick dringt der Fotograf tiefer ein in die Seelenlage einer Stadt und ihrer Bewohner. Ihm geht es nicht darum, wie berühmte Fotografen vor ihm den entscheidenden Moment zu erwischen, sondern eine Stimmung zu erspüren. Der Betrachter fühlt sich nicht als Voyeur, sondern mitgenommen auf einen Spaziergang und für einen Moment als Passant wie Akinbiyi, der im Augenwinkel unvermutet einen Zipfel der Wirklichkeit erhascht – so weit weg und fremd sie auch sein mag.

Die Ausstellung im Gropius Bau versammelt Serien aus vier Jahrzehnten, für die der 73-Jährige durch die Welt gereist ist, in Städte wie Lagos, Johannesburg, Bamako, Chicago, Dakar und Khartum. Natürlich kommt immer wieder auch Berlin darin vor. 1991 zog er in die Stadt, weil es hier billige Wohnungen gab. Heute sagt der Künstler, Berlin sei die Stadt, in der er sich am meisten zu Hause fühle – so grün, so offen, so klein wie sie sei im Vergleich zu den Megacitys, die er ansonsten für seine Projekte besucht.

Bar Beach, Victoria Island, Lagos, 2006
Bar Beach, Victoria Island, Lagos, 2006

© Courtesy Akinbode Akinbiyi

Wie seiner Geburtsstadt Lagos hat Akinbiyi auch Berlin eine eigene Serie gewidmet, genauer: dem Afrikanischen Viertel in Wedding. Seit den 90er Jahren kehrt er regelmäßig dorthin zurück, um die Veränderungen zu verfolgen, das Anwachsen einer afrikanischen Community, oder auch um Führungen anzubieten. Hier hat er in der Lüderitzstraße und der Petersallee fotografiert, die nach Kolonialherren benannt sind, als Gegenstück suchte er die Paul-Robeson-Straße in Prenzlauer Berg auf, die an den amerikanischen Kämpfer für Bürgerrechte erinnert. Kritik äußert Akinbiyi nicht mit seinen Bildern, er konstatiert nur den Zustand. Dazu gehört auch jenes Bild der Otavi-Apotheke in Wedding, bei der Stofftiere wie Giraffen im Schaufenster stehen, die mit Afrika assoziiert werden. Akinbiyi schüttelt den Kopf, dass es eher die Tiere als die Menschen sind.

Fotografieren ist für ihn "Schreiben mit Licht"

Wer die Ausstellung im Gropius Bau besucht, stößt am Ende auf den Film „I wonder as I wander“, den der Künstler und Schriftsteller Emeka Okereke von seinem Freund in Berlin und Bamako gedreht hat. Akinbiyi schlendert durch Straßen, hält inne auf dem Bahnsteig einer U-Bahn-Station und lässt die Leute an sich vorüberziehen. In aller Ruhe legt er einen Film in seine Spiegelreflexkamera ein und zieht ihn mit einer aufklappbaren Kurbel auf. Mit seiner gemächlichen Art, den Schwarz-Weiß-Aufnahmen ragt Akinbiyi im Zeitalter der digitaler Fotografie heraus. Die Verlangsamung mag auch an seiner Haltung zu dieser Kulturtechnik liegen. „Fotografieren ist für mich wie Schreiben mit Licht“, sagt er.

Die Wahl des Mediums entwickelte sich für den damals angehenden Literaturwissenschaftler ganz natürlich. Geboren in Oxford als Sohn nigerianischer Studierender, aufgewachsen in Lagos, studierte er selbst zunächst in Nigeria, dann in Heidelberg, wo er eigentlich über Max Frisch und Kafka promovieren wollte. Zu dieser Zeit war Fotografie noch ein Hobby, dann wurde ein Beruf, schließlich Berufung daraus, beschreibt er die wachsende Hinwendung. Ein Reportage-Stipendium des Magazins „Stern“ 1987 veranlasste ihn, in Lagos, Kana und Dakar genauer hinzusehen. Mit der Kamera hatte er seine Ausdrucksform gefunden, mit den Städten fortan sein Thema.

Bar Beach, Victoria Island, Lagos, 2006
Bar Beach, Victoria Island, Lagos, 2006

© Courtesy Akinbode Akinbiyi

„Ich will in die Tiefe gehen“, sagt Akinbiyi. Die beste Art dafür sei die Kunst. Während viele nur die Oberfläche erblickten, auch wenn diese ebenfalls wichtig sei, gehe es ihm um die verschiedenen Schichten des Lebens. Ähnlich verhalte es sich mit der Hautfarbe der Menschen, an der sich viele orientierten. Das sei Quatsch und sage nichts über den Menschen aus. Sich selbst bezeichnet Akinbiyi als visuellen Philosophen. Seit seiner Kindheit treiben ihn die Fragen „Was bedeutet unser Leben? Wie wollen wir leben?“ um. Schon seine Eltern forderten ihn immer wieder auf, „Worum geht es?“ zu fragen.

Wir hören mehr, als wir sehen, hat Akinbiyi festgestellt

Die Antworten sucht Akinbiyi mit der Kamera und hat dabei doch festgestellt, dass wir mehr hören als sehen. Auf sein Gehör, seine Musikalität verlässt er sich auch, wenn er auf den Straßen unterwegs ist und unverhofft auf ein Motiv stößt. Der ins Deutsche übersetzte Ausstellungstitel „Sechs Lieder, die anmutig in der gespannten Luft wirbeln“ spielt darauf an. Wer genau hinschaut, kann in den Bildern Melodiebögen, Synkopen, ja Triller entdecken. Auf die Idee, seine Serien mit Sound zu verbinden, ist der Fotograf allerdings noch nicht gekommen.

Eher reizt ihn, Bücher zu machen – wenn die Zeit denn bleibt zwischen all den Reisen und Workshops, die er gibt, wie zuletzt bei der Architekturbiennale in Chicago. Auf seinen Bildern ist sie kurz festgehalten, wie Enwezors großer Moment damals im Gropius Bau. Da ruft Akinbiyi auch schon die eigene Arbeit.

Gropius Bau, Niederkirchnerstr. 7, bis 17. 5.; Mi–Mo 10–19 Uhr. Eröffnung am heutigen Donnerstag um 19 Uhr.

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