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In seinen Fotos dokumentiert der Jazztrompeter Till Brönner Menschen im Alltag – etwa die Fußballfans von Borussia Dortmund. 

©  Till Brönner

Ausstellung „Heimweh“ in der Villa Schöningen: Alltagsleben in Ost und West

Ein Ort für Historie und zeitgenössische Kunst: Zum zehnjährigen Jubiläum zeigt die Villa Schöningen Super-8-Filme aus Ost und West – und Fotoarbeiten von Klaus Staeck und Till Brönner.

Der Aufbruch dauert wenige Sekunden. Er reicht vom Sessel bis zur Couch und wird trotzdem beklatscht, weil der Kopf des jungen Protagonisten kaum über die Tischplatte reicht. So sehen sie aus: private Erinnerungen aus der Schmalspurfilmzeit, die Alberto Herskovits für sein Projekt „Open Memory Box“ zusammengetragen hat. 

Das digitalisierte Material, 415 Stunden Leben aus der DDR ab 1947 bis zur Wende, flimmert in der Villa Schöningen in Potsdam ausschnitthaft über mehrere Bildschirme. Betriebsfeiern, Sandburgen am Strand oder erste Kinderschritte ins aufrechte Leben, wie sie die kurze Sequenz mit dem Kleinkind im Wohnzimmer auf immer festhält. 

Schnell wird klar: Das filmische Super-8-Gedächtnis von Ost und West im Alltagsleben gleicht sich in vielem.

„Heimweh“ heißt die Ausstellung, die Herskovits‘ einzigartiges Archiv mit Fotografien von Klaus Staeck und Till Brönner zusammenbringt. Der eine hat in den frühen achtziger Jahre seine Heimat Bitterfeld besucht und eine sterbende Stadt vorgefunden. Der andere feiert das Ruhrgebiet als einen Ort, an dem Dreck und Kohle und industrielle Architektur eine eigensinnige Schönheit entwickeln. 

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Kuratiert wurde die Schau von Bernd Dinter und dem Hamburger Sammler Harald Falckenberg, der sich zum zehnjährigen Jubiläum der Villa Schöningen auch etwas Feierlicheres hätte ausdenken können. 

Ein prächtiges Défilé der Malerei zum Beispiel. Doch Falckenberg, in dem von Springer-Chef Matthias Döpfner erworbenen Haus immer wieder mit Ausstellungen präsent, hat sich für eine andere Form der Repräsentation entschieden. Die von ihm ausgewählte Fotografie reflektiert die Berührungspunkte der Villa mit der unmittelbaren deutschen Geschichte.

Bis 1989 verlief die Grenze zwischen Potsdam und West-Berlin direkt auf der benachbarten Glienicker Brücke. Mehrfach wurden dort Agenten ausgetauscht, eine Ausstellung in der Villa zeichnete Aspekte der deutsch-deutschen Teilung nach. 

In Brönners Bildern zeigt sich Stolz

Wenn Dinter und Falckenberg nun eine Fotoschau der gemischten Gefühle inszenieren, beschwören sie den Gründungsgedanken des Hauses noch einmal herauf: Es ist sowohl eine Adresse für Historie als auch für zeitgenössische Kunst.

Dass der populäre Jazz-Trompeter Brönner mit seinen teils monumentalen Aufnahmen vom Ruhrgebiet dabei ist, erstaunt nur auf den ersten Blick. Die Bilder, von denen die meisten 2019 in der Duisburger Küppersmühle unter dem Titel „Melting Pott“ zu sehen waren, treffen in Staecks Motiven auf ihr lakonisches Gegenstück. 

Brönner feiert die Nüchternheit einer Stahl und Kohle huldigenden Region. Und obwohl sie sich ähnlich den einstigen ostdeutschen Industriegebieten radikal wandeln muss, zeigt sich in jedem Bild Stolz.

Brönner hat Arbeiter und Borussia-Fans, vor allem aber Brücken und Häfen fotografiert. Manchmal übertreibt er es mit der Erhabenheit seiner Perspektive, dann dreht man sich besser zu den blassen, körnigen Bildern von Staeck mit ihrem ruinösen Bitterfeld: die Zoohandlung geschlossen, der Plattenbau verwahrlost, ein Gebäude halb abgetragen. 

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Seine Eingangstür führt nun ins Nichts. Da ist auf den Fotografien aber auch niemand, der sie benutzen könnte.

Es fällt einigermaßen schwer zu glauben, dass sich das Zentrum der chemischen Industrie in Sachsen-Anhalt so früh zerkrümelte. Doch Staeck, Deutschlands politischster Plakatkünstler und lange Jahre Präsident der Akademie der Künste in Berlin, ist der sachliche Chronist dieser frühen Implosion. Wirklich?

Spricht aus den Motiven nicht auch der Junge, dessen Mutter selbst ein Geschäft für Kunstgewerbe betrieb? Der Briefmarken sammelte, um etwas von der Welt zu sehen und den Ort 1956 verließ? 

Staeck zeigt wie Brönner und die intensiven Filmszenen, wie sich Menschen in konkreten Situationen, die politischen wie ökonomischen Zwängen unterliegen, im Alltag einrichten. Diesem Anspruch, den die Kuratoren für ihre Ausstellung formulieren, werden alle drei Positionen in ihrem Dialog gerecht.
[Villa Schöningen, Berliner Str. 86, Potsdam. Bis 23. August, Fr.–So. 12–18 Uhr]

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