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Blick über die Schleusenbrücke, 1937. Das Eckhaus An der Stechbahn 1–4 wurde „arisiert“, im Hintergrund das Schloss.

© akg-images

Ausstellung "Geraubte Mitte": Raub und Reibach

Das Unrecht bleibt: Die Ausstellung „Geraubte Mitte. Die ,Arisierung‘ des jüdischen Grundeigentums im Berliner Stadtkern 1933–1945“ klärt auf, was während des Nationalsozialismus im Zentrum geschah.

Wer vor hundert Jahren zu den happy few von Berlin gehörte, kaufte seine elegante Garderobe und die dazu passenden Designermöbel bei Herrmann Gerson am Werderschen Markt. Bis zur Weltwirtschaftskrise blieb das Luxuskaufhaus und das benachbarte Einrichtungshaus im Besitz der jüdischen Familie Freudenberg Berlins erste Adresse für feinen Geschmack – ein „Feentempel der Mode“, wie es in einer zeitgenössischen Besprechung hieß. Nur ein paar Jahre später hatte sich im ehemaligen Kaufhaus Gerson das unmittelbar der SS unterstellte Reichskriminalpolizeiamt eingenistet. In den Mauern, die Schönheit und Luxus beherbergt hatten, wurden nun technische und organisatorische Voraussetzungen für erste Massenvergasungen und Euthanasiemorde geplant. Die Immobilie war den in den wirtschaftlichen Ruin getriebenen jüdischen Eigentümern durch die NS-Behörden unrechtmäßig abgenommen worden.

Das traurige Ende des Kaufhauses Gerson ist nur eines von mindestens 225 Beispielen, wie durch staatliche Willkür jüdischen Grundstücksbesitzern im Berliner Stadtzentrum nach 1933 ihr Eigentum geraubt wurde. Dokumentiert ist der Fall in der Ausstellung „Geraubte Mitte. Die ,Arisierung‘ des jüdischen Grundeigentums im Berliner Stadtkern 1933–1945“. Im Auftrag der Stiftung Stadtmuseum Berlin haben die freien Kuratoren Benedikt Goebel und Lutz Mauersberger in neun Räumen des Ephraim-Palais eine Galerie des Schreckens inszeniert. Erschrecken, weil hier wieder einmal höchst anschaulich und konkret daran erinnert wird, wie gut geölt die Raubmaschinerie des NS-Staats auch im eigenen Land lief, und wie leicht es den beteiligten Beamten und sich bereichernden Privatpersonen dabei gemacht worden ist, ihr bürgerliches Gesicht zu wahren.

Der Zerstörung der Stadt ging die Zerstörung von Menschen voraus. 2010 hatte der Stadthistoriker Goebel an gleicher Stelle die Ausstellung „Berlins vergessene Mitte“ kuratiert, die sich der Abrissgeschichte der historischen Altstadt ab 1840 widmete. Damals verfiel man als Besucher vor den Fotos des vormodernen Berlins unweigerlich in nostalgische Gefühle. Diesmal dürfte die Erkenntnis, warum die deutsche Hauptstadt in ihrer Mitte noch immer eine wüste und verwüstete Stadt ist, tiefer gehen.

Das Untersuchungsgebiet der Ausstellung erstreckt sich auf Alt-Berlin, Alt-Cölln und den Friedrichswerder, wo sich vor der radikalen Modernisierung des Stadtzentrums vor und nach 1945 etwa 1200 Grundstücke befanden. Seit über zehn Jahren beschäftigt sich Goebel intensiv mit der Eigentümer- und Nutzungsgeschichte dieser Parzellen und kann mittlerweile für Anfang der 30er Jahre mindestens 225 Grundstücke im Besitz jüdischer Eigentümer lokalisieren – Tendenz steigend, da es noch etwa vierzig Zweifelsfälle gibt, wo weitere Recherchen nötig sind. Alle gesammelten Daten sind in der Ausstellung in einer Datenbank zugänglich, die künftig vom Verein „Aktives Museum“ betreut wird.

Die „Entjudung des Berliner Grundbesitzes“, von der seit Ende der Dreißiger unverhohlen gesprochen wurde, war ein sich stetig radikalisierender Prozess. Die bereits 1931 eingeführte Reichsfluchtsteuer sowie Zwangshypotheken von bis zu 250 000 Reichsmark dienten den Nazis dazu, jüdische Immobilienbesitzer beim geringsten Verdacht einer geplanten Emigration in den wirtschaftlichen Ruin zu treiben. Mit der Berufung Albert Speers zum Generalbauinspektor der Reichshauptstadt verschärfte sich der staatliche Terror. Ab April 1938 wurde jüdisches Vermögen listenmäßig erfasst.

Für den Umbau Berlins zur „Welthauptstadt Germania“ ließ Speer 50 000 Wohnungen jüdischer Berliner als Ersatzwohnraum für „Arier“ konfiszieren. Die vertriebenen Bewohner wurden in „Judenhäuser“ genannte Sammellager überführt oder ab 1941 direkt ins KZ deportiert. Superbehörden wie die Generalbauinspektion konnten dabei auf willfährige Helfer in der Stadtverwaltung rechnen. Der staatlich organisierte Immobilienklau blieb nicht auf das Zentrum Berlins beschränkt. Dort allerdings profitierten nicht nur Privatleute, sondern auch Staat und Stadt, die damals – wie am Molkenmarkt – große Bauvorhaben planten, für die ganze Häuserblocks abgerissen werden mussten.

Ein Hauptverdienst der Ausstellung besteht darin, bürokratische Willkür und die damit verbundenen Schicksale erfahrbar zu machen. Mit bescheidenem Materialeinsatz haben Thomas Meter und Ines Wenzel den Rundgang mit Großfotos und theatralisch verfremdeten Täter-Schreibtischen inszeniert. Mit Sebastian Panwitz holten sich die Kuratoren einen Spezialisten, um die Vorgeschichte der Berliner Judenverfolgung und Assimilation vom Mittelalter bis zur Weimarer Republik zu erzählen.

Anhand von fünf jüdischen Eigentümerfamilien und ihren Grundstücken – bis auf eines alle in Sichtweite des Berliner Schlosses – erhalten die Opfer des Vermögensraubs Namen, Ort und Gesicht. Auch die Täter bleiben nicht ausgespart, darunter beflissene Beamte wie Karl Maria Hettlage, ab 1959 Staatssekretär der Bundesregierung. Für die fünf dokumentierten jüdischen Familien, erzählt Benedikt Goebel, sei es relativ einfach gewesen, aus Berliner Archiven die betreffenden Akten zusammenzutragen. Viel schwieriger war es dagegen, von den Nachfahren Porträt- oder Familienfotos aus der Zeit vor der Emigration zu erhalten. Was wohl schwerer wiegt: verlorener Besitz oder geraubte Erinnerung?

In einem Epilog werfen die Ausstellungsmacher Fragen nach dem Umgang mit den geraubten Grundstücken nach 1945 auf. Die DDR baute das Zentrum ihrer Hauptstadt ohne Rücksicht auf alte Grundstücksgrenzen und frühere Eigentümer. Entschädigungen an Einzelne oder jüdische Organisationen insgesamt wurden bis 1989 verweigert. Doch auch nach 1990 haben die Landesämter für offene Vermögensfragen Restitutionsanträge von Erben abgelehnt oder Entschädigungszahlungen nur halbherzig geleistet. Ehe eine Neubebauung der Freiflächen im Stadtzentrum konkret werden kann, muss der gordische Knoten dieses verschleppten Unrechts gelöst werden.

Der Gemeinplatz, dass Zukunft ohne Geschichtskenntnis nicht erfolgreich sein kann, wird durch die Ausstellung beklemmend anschaulich. Die Stiftung Stadtmuseum Berlin leistet mit ihr das, was man vom größten deutschen Stadtmuseum erwarten darf: Aufklärung.

Stiftung Stadtmuseum im Ephraim-Palais, bis 19. 1.2014; Begleitheft 3 €.

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