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Ulrike Ottinger, Ohne Titel (Tabea Blumenschein und Claudia Skoda), Silbergelatine-Vintageprint, 1976.

© Ulrike Ottinger

Ausstellung „Dressed to thrill“: Die Mode-Ikone von West-Berlin

Die Ausstellung „Dressed to thrill“ erzählt, wie Claudia Skoda die Berliner Subkultur mit ihrer Strickmode aufgemischt hat.

Will diese Frau jemanden erschießen? Wie sie da steht, im dunklen Sakko im Berliner Untergrund mit einem schmalen Koffer in den Händen, fühlt man sich gleich an einen Mafia-Film erinnert. Und wirklich trägt Claudia Skoda auf der um 1976 entstandenen Fotografie eine Waffe – bloß kein Präzisionsgewehr, sondern eine Strickmaschine. Das Geheimnis ihres unglaublichen Erfolgs.

Die damit verwobene Geschichte zählt nicht bloß zum Besten, was die Stadt ab dem Moment dieses Shootings in den U-Bahn-Fluchten am Kottbusser Tor bis zum Mauerfall 1989 zu bieten hatte. David Bowie, Iggy Pop, Salome und Luciano Castelli, Regisseurin Ulrike Ottinger, Tabea Blumenschein und Jenny Capitain, die später bei der amerikanischen Vogue arbeitete: Sie alle tauchen in Skodas direkter Umgebung auf und machen die Ausstellung „Dressed to thrill“ in der Kunstbibliothek am Kulturforum zu einem Schaulauf der einstigen West-Berliner Szene.

Aufgenommen hat das Bild Martin Kippenberger und damit eine weitere zentrale Gestalt, die für den legendären Ruf von Kreuzberg sorgte. Der 1997 verstorbene Künstler puzzelte aus über tausend Fotos auch den Boden in der Wohn- und Arbeitsgemeinschaft „fabrikneu“ zusammen, wo die Berliner Modemacherin anfangs ihre Kollektionen zeigte – bis das Interesse an diesen gigs derart stieg, dass sie ins Ägyptische Museum oder den Gropius-Bau ausweichen musste.

Wie Andy Warhols New Yorker „Factory“ – aber in Kreuzberg

Ihre Models rekrutierte Claudia Skoda aus dem Freundeskreis, die Fabriketage in der Zossener Straße wurde gern mit Andy Warhols New Yorker „Factory“ verglichen. Wer durch die aktuelle, ebenso multimedial wie anschaulich gestaltete Ausstellung stromert, der ahnt noch etwas von den Vibes jener Zeit – und weiß, dass sie nun musealisiert wird, denn Skoda hat einen ganzen Teil ihres Archivs an die Bibliothek übergeben.

Es ist die erste Präsentation ihrer fließenden und zugleich sexy zur Schau stellenden Kleider, Hosen und Pullover, die eine Rückschau zelebrieren. Bis jetzt hat die Designerin stets nach vorne geblickt: Skodas Mode nimmt den Zeitgeist präzise auf, macht ihn zu Mustern oder ästhetischen Details.

Claudia Skoda posiert auf dem Dach der fabrikneu in ihrer Kollektion „Shake Your Hips“, aufgenommen um 1975.
Claudia Skoda posiert auf dem Dach der fabrikneu in ihrer Kollektion „Shake Your Hips“, aufgenommen um 1975.

© Claudia Skoda

Neonsigns, Geometrie, Leoparden-Prints? Für die obsessive Strickerin ist das kein Problem, sie hat ja ihre Maschinen. Ihnen verdanken sich glitzernde Faltenröcke und schwarze Pullover mit fetten, leuchtenden Kreuzen, die zum Signum von Skodas Mode wurden. Es gibt geschlitzte Kleider mit Ausschnitten bis zum Bauchnabel und Pluderhosen oder Leggings, die sich zum Bustier tragen ließen. Alles aus Maschen und raffiniert miteinander kombinierten Fäden. Um wirklich zu verstehen, wie viel Avantgarde in diesen Ensembles steckt, muss man zurück in die siebziger Jahre reisen.

Kleider aus Kassettenbändern

Das Weiche, den weiblichen Körper zugleich Umhüllende wie Exponierende ihrer Mode ist ein Novum. So etwas gab es hier nicht. Skoda, damals noch Verlagslektorin, ließ sich aus Unzufriedenheit mit dem herrschenden Angebot einiges einfallen.

Erst für sich im Handstrick, dann – mit steigender Nachfrage – für die maschinelle Fertigung. Die Programme schrieb sie selbst auf dem Atari, als Material verwendete die Autodidaktin unter anderem Lurexgarne, Bast oder Kassettenbänder.

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Aus diesem spielerischen Umgang mit der Kleidung resultierten diverse technische Experimente: Was passiert, wenn ich Dinge ausprobiere, die konservative Damenschneider:innen nie wagen würden?

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Vor allem aber fängt Claudia Skoda das Flair ihrer Umgebung ein. Alles Neue, Ungewohnte, Stilprägende der Subkultur spiegelt sich in ihren Entwürfen. Bildende Künstler wie Musiker prägen die Atmosphäre ihrer Shows mit. Jede hat ein Konzept und eigene Musik, sie heißen „Pablo Picasso“ oder „Big Birds“, die 1979 zum unvergesslichen Gesamtkunstwerk avanciert.

Bowie rät Skoda zu einem Laden in New York

Bilder von Vögeln werden auf die Kollektionen projiziert, die Modelle trainierten sich ihrerseits einen stelzenden Gang für den Laufsteg an – und über ihren Köpfen schweben die Maler Salome und Castelli als Performer fast nackt an Trapezen.

Irgendwann um diese Zeit muss ihr David Bowie (der in seinem Musikvideo „Ashes to Ashes“ in Skoda-Klamotten auftritt) zu einem Laden in New York geraten haben.

Lesen Sie hier das große Tagesspiegel-Interview mit Claudia Skoda

Skodas internationaler Erfolg setzte sich mit einer Audienz bei Lady Di und der Einladung fort, die Eröffnungsgala für „Berlin – Kulturstadt Europa 1988“ zu kuratieren. Wenig später schloss das Geschäft in SoHo, und auch der Versuch, mit mehreren deutschen Luxusmarken zu kooperieren, war ein temporäres Unterfangen: Wann immer sich die Modedesignerin von Produktionsprozessen eingeengt fühlte, brach sie die ökonomisch erfolgreichen Partnerschaften ab, um sich erneut auf ihre Wurzeln zu konzentrieren.

[„Dressed to Thrill“, Kunstbibliothek, Kulturforum am Matthäikirchplatz, bis 29. August, Di–Sa 10–18 Uhr, Sa 11–18 Uhr, Katalog: 42 Euro; aktuell mit Zeitfenster unter www.smb.museum/tickets]

„Dressed to thrill“ erzählt nicht zuletzt von dieser Kompromisslosigkeit. Skodas Mode, die es bis heute zu kaufen gibt, hat sich von jedem Diktat befreit. Ein Zeugnis der weiblichen Selbstermächtigung. Und ein Sonderfall: Für junge Modemacher:innen mit einem Hang zu konzeptuellen, interdisziplinären Projekten verbindet sich die Ausstellung mit der leicht bitteren Erkenntnis, dass so etwas kaum noch geht.

Dennoch lässt sich zwischen den Kleidern, Tonaufnahmen und jeder Menge filmischem Material schwelgen. Alles zusammen ist auch Referenz an ein Berlin, das trotz oder gerade wegen seiner Kaputtheit hochprofessionell Kreatives hervorgebracht hat. Ein bisschen davon wünscht man sich zurück für den wahren Glanz der Metropole.

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