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Natalia Kepesz hat Kinder und Jugendliche in einem polnischen Militärcamp fotografiert.

© Natalia Kepesz

Ausstellung der Ostkreuzschule: Jugend in der Warteschleife

Isolation und pralles Leben: der 14. Absolventenjahrgang der Ostkreuzschule zeigt seine Fotoprojekte in Oberschöneweide.

Die Absolventinnenausstellung der Ostkreuzschule ist normalerweise ein riesiges Event. Die Eröffnungsabende sind meist sehr gut besucht, das ehemalige Kaufhaus Jandorf oder das SEZ platzten bei diesen Anlässen schon aus allen Nähten. Der vierzehnte Jahrgang, der jetzt seine Abschlussarbeiten präsentiert, muss es pandemiebedingt etwas ruhiger angehen lassen.

Die Treptow Ateliers in Oberschöneweide versprühen eher konzentrierte Arbeits- als Partyatmosphäre. Aber mit dem großen Raum zum Wasser und der rauen Industriearchitektur bieten die Studios einen schönen Rahmen für die Bildproduktionen der Ostkreuzschüler:innen.

Es ist viel Sehenswertes dabei in diesem Jahr, die Ansätze werden immer heterogener. Mit Pionieren wie Ute und Werner Mahler, Sibylle Bergemann und Harald Hauswald, den berühmten Foto-Dokumentaristen der ehemaligen DDR, steht Ostkreuz für persönliche Reportagen und Gesellschaftsbeobachtungen. Daran haben sich die Absolvent:innen der 2004 gegründeten Schule lange orientiert.

Die Kinder in Limerick

Das Eintauchen in bekannte oder unbekannte Alltagswelten oder die teilnehmende Beobachtung ist immer noch der prägende Aspekt der Ostkreuz-Fotografie. Tamara Eckhardt hat sich eine wirtschaftlich abgehängte Wohngegend im irischen Limerick zum Thema gemacht. Und landete bei den Kindern von „St.Mary’s Park“. In dieser abgeschotteten Gemeinschaft ist das Misstrauen gegenüber Außenstehenden groß, die Kontaktaufnahme erforderte Geduld – und Mut, auch wenn Steine flogen, ging sie am nächsten Tag wieder hin. Eckhardts Beharrlichkeit hat sich ausgezahlt. Die Bilder zeigen unverstellte Gesichter von Jungen und Mädchen, die der Kamera nichts mehr beweisen müssen.

Aufnahme aus Tamara Eckhardts Serie „Youth of the Island Field“.
Aufnahme aus Tamara Eckhardts Serie „Youth of the Island Field“.

© Tamara Eckhardt

Anders die Kinder und Jugendlichen, die in polnischen Militärcamps, das Robben, Schießen und Salutieren lernen. Sie lassen sich dabei gerne über die Schulter schauen. Auch weil diese Freizeiteinrichtungen, die sich in Polen zunehmender Beliebtheit erfreuen, viel Geld kosten.

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Für Natalia Kepesz war die Annäherung an ihre Protagonist:innen also nicht so problematisch. Authentische Bilder hinzubekommen ist dagegen immer eine Herausforderung. Trotz Pose soll eine Beziehung zum Betrachter entstehen, soll sich der Zwiespalt vermitteln, zwischen unschuldiger jugendlicher Abenteuerlust und der Indoktrination eines fragwürdigen Militärkults. Spiel und Ernst vermischen sich. Auf einem Bild sind Wäschestücke auf dem Rasen zu sehen. Sie symbolisieren die Toten und Verletzten, die Militärgefechte nun mal mit sich bringen.

Toilettenpapier – aus Caroline Heineckes Serie „Herr der Dinge“.
Toilettenpapier – aus Caroline Heineckes Serie „Herr der Dinge“.

© Caroline Heinecke

Natalia Kepesz wurde mit ihrer Serie „Niewybuch“ für den „World Press Photo Award“ nominiert. Caroline Heinecke ist für ihre Fotoreihe „Herr der Dinge“ bereits ausgezeichnet worden. Heineckes Serie merkt man an, dass sie lange gereift und vielfach durchdacht ist.

[Bis So 5. 9., täglich 12-20 Uhr, Treptow Ateliers, Wilhelminenhofstraße 83-85. Infos: https://jahrgangvierzehn.de]

Die Künstlerin hat die Trophäen von passionierten Sammlern und Sammlerinnen fotografiert, da sind Streichhölzer ebenso dabei wie Gallensteine oder Klopapier. Heinecke inszenierte die Gegenstände oft vor farbigen Hintergründen, direkt vor Ort, mitnehmen war ja nicht möglich. Und obwohl Stillleben von skurrilen Objekten Konjunktur haben, wirken sie in dieser Serie frisch und immer überraschend.

Bilderserie zum Muttersein

Das Ausstellen und Veröffentlichen ist in der Ostkreuzausbildung fester Bestandteil. Fast alle Absolvent:innen haben ihre Projekte auch in Buchform aufbereitet, was eine zusätzliche Perspektive ermöglicht. Mehrere Fotoschülerinnen verarbeiten ihre Recherchen sehr konzeptionell, etwa Tagesspiegel-Bildredakteur Stefan Weger.

Mit der Serie „Luise – Archäologie eines Unrechts“ steigt er tief in die eigene NS-Familiengeschichte ein. Der junger Pole Walerian wird während des Zweiten Weltkrieges an einen Bremer Bauernhof geschickt, dann brennt die Scheune und Bäuerin Luise, Wegers Urgroßmutter, lässt den Zündler abholen. An dem jungen Mann wird ein schreckliches Exempel statuiert. Weger spielt mit Reproduktionen historischer Dokumente, abfotografierten Familienbildern, neuen Fotografien des Tatorts und einem Film verschiedene Ebenen des Erinnerns durch. Ihm gelingt eine nachdenkliche, unsentimentale Reflektion der Ereignisse.

Rabea Edels Serie „A Scond Beating Heart“.
Rabea Edels Serie „A Scond Beating Heart“.

© Rabea Edel

Auch Rabea Edels autofiktionale Fotoserie über das Muttersein mit seinen hellen und oft verschwiegenen dunklen Seiten ist eine untypische, aber gelungene Spielart des Ostkreuz-Dokumentarismus. Edel hat Wohnzimmerszenen mit Mutter und Kind auf Stoff gedruckt und vor die Fenstern aufgehängt. Der Blick auf die Welt draußen, die in Momenten der Depression unendlich weit weg scheint, wird doppelt spürbar.

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