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Ausstellung: Beten verboten

Spuren des Geistigen: Eine Ausstellung im Münchener Haus der Kunst sucht nach Gott in der Kunst und findet Skeptiker.

Eigentlich galt er gerade noch als der böse Bube in der Kunst. Mit der Direktversteigerung seiner eigenen Werke für 140 Millionen Euro hat Damien Hirst gegen die heiligen Gesetze des Marktes verstoßen und sich der Todsünde Gier unverhohlen hingegeben. Doch schon kurz darauf erfährt er seine Wiedererhebung mit einer Ausstellung, die das genaue Gegenteil über ihn behauptet. Mit seinem schwärzlich-klebrigen Triptychon aus tausenden, mit Gießharz übergossenen Stubenfliegen bildet er den Auftakt für die fromme Schau „Spuren des Geistigen“ im Münchner Haus der Kunst. Der Titel von Hirsts Totenbild „Vergib mir Vater, denn ich habe gesündigt“ weckt jedoch Zweifel: Tut hier ein reuiger Sünder wirklich Buße? Oder zieht er nur geschickt die Register einer spirituell aufgeladenen Kunst in einer gottlosen Zeit?

Der britische Skandalkünstler schweigt sich fein darüber aus. Sein Werk verbindet perfekt den Tanz ums goldene Kalb mit einem Schuss Jenseitigkeit. In München aber zählt nicht sein schwarzer Humor, seine Widerständigkeit gerade gegen alles Religiöse, sondern die Sehnsucht nach dem Geistigen. In Anlehnung an Wassily Kandinskys berühmtes Buch „Über das Geistige in der Kunst“ von 1911 wurde der ursprünglich französische Ausstellungstitel „Traces du Sacré“ nicht in Spuren des Heiligen, sondern Spuren des Geistigen übersetzt. Und so gelangt das Sünderlein Damien Hirst ins gleiche Himmelreich, den Olymp Museum, wie Caspar David Friedrich, Goya, Malewitsch und de Chirico, die jeder mit dem Verlust Gottes in ihren Werken hadern. Nicht erst seit Nietzsches Diktum „Gott ist tot“ wird die Erlösung in der Kunst statt in der Kirche gesucht.

Einen Schub bedeutete nochmals der 11. September 2001. „Religion is back“ tauchte als Graffiti-Parole schon wenige Wochen später in Manhattan auf. Die Sehnsucht nach dem Religiösen ist seitdem geblieben. Nur sieht Chris Dercon, Direktor des Hauses der Kunst, der zuletzt bei seiner Berliner Helmholtz-Vorlesung den eitlen Privatsammlern die Leviten las, dafür mittlerweile andere Gründe: die entfesselte Kommerzialisierung des Kunstbetriebs, die Trivialität des Marktes. Die vom Pariser Centre Pompidou übernommene Riesenschau mit ihren 200 Werken von 120 Künstlern versteht sich zwar nicht unbedingt als Instrument der Läuterung, könnte aber den Weg zu einer neuen Innerlichkeit weisen.

Mit Goya ist zeitlich der Anfang gesetzt. Sein Leichnam aus der Serie „Los Desastres de la Guerra“ trägt als Gruß aus dem Jenseits eine Tafel mit der Aufschrift „Nichts“. Der blanke Horror, gegen den die Künstler seitdem ihre Werke setzen oder auch sich persönlich als geistige Führer empfehlen. Unvergessen bleibt hierfür Joseph Beuys, der mit einem Film seiner Performance „I Like America and America Likes Me“ von 1974 vertreten ist. Sie zeigt den Künstler mit Stab und in eine Filzdecke gehüllt, wie er drei Tage allein mit einem Koyoten in einem New Yorker Galerieraum zubringt. Das heilige Tier der Indianer erfährt durch den deutschen Schamanen seine künstlerischen Weihen. „Der wahre Künstler hilft der Welt, indem er mystische Wahrheiten enthüllt“, ließ Bruce Nauman 1967 in einer spiralförmigen Neonschrift an die Wand schreiben. Allein, es fehlt der Glaube, wenn einer wie Damien Hirst die Mystik mit dem Mammon zum Kunstevent vereint.

Doch die Münchner Ausstellung will von solchen Blasphemikern nichts wissen. Sie versucht möglichst allen Spuren der künstlerischen Gottessuche nachzugehen: Synkretismus, Ekstase, kosmische Offenbarungen, Magie, Ritual, Trance, Schamanismus, Zen und Profanierung sind die 16 Kapitel überschrieben. Mögen sie im Einzelnen auch mit großartigen Werken ausgestattet sein, neueste Erkenntnisse vermitteln, die Thematik franst dabei aus, der Besucher fühlt sich nicht nur angesichts der riesigen Säle im Haus der Kunst immer wieder gottverlassen.

Genau in dem Moment aber naht das Rettende. Die Künstler imaginieren den Neuen Menschen: In Paul Klees Radierung „Homo Novus“ von 1913 steigt er als lachende Figur mit einem Kreuz über dem Haupt aus seinem darniederliegenden Alter Ego auf. Zu den bitteren Erkenntnissen der Geschichte aber gehört es, dass gerade diese Selbsterschaffung aus eigener Kraft, die Utopie der Befreiung aus den klerikalen Fesseln zu den schlimmsten Verbrechen, dem Nationalsozialismus, führte.

Der Glaube an die Macht des Ursprünglichen steckt auch in der Rückbesinnung auf Magie, Ritual, Trance. Zu den stärksten Arbeiten gehört ein Film, der Mary Wigmans Hexentanz von 1929 zeigt. Mit wildem Furor stampft sie auf, ballt die Fäuste und reckt das Kinn empor. Die magischen Kräfte glaubt man ihr sofort; schon Picasso und die Expressionisten ließen sich von der Macht des Archaischen inspirieren. Wie wenig dazu gehört, zeigen die geradezu kindlich selbstgebastelten dadaistischen Masken von Marcel Janco, die er bei seinen Auftritten im „Cabaret Voltaire“ trug und die ihn auratisiert in andere Sphären davontrugen.

Die Ausstellung springt in Zeit und Raum, mal folgt sie einer chronologischen Ordnung, dann widmet sie sich wiederum einem einzelnen Motiv oder einer bestimmten Richtung. Die einzelnen Abteilungen stoßen vielfach nur Türen auf. Fast jede würde eine eigene Ausstellung lohnen wie etwa jene über die Profanierungen. Pietätvoll warnt ein Schild, dass hier religiöse Gefühle gestört werden könnten, doch scheint den frechen Künstlern nichts ferner als das.

Martin Kippenbergers gekreuzigter Frosch gehört natürlich dazu, der seit dem Sommer am Tiroler Feriendomizil des Papstes für kaum nachvollziehbare Aufregung sorgt. Auch Andres Serranos „Piss Christ“ von 1987, das den Gekreuzigten hinter den rötlich-gelblichen Schlieren vom Blut und Urin des Künstlers zeigt, löst beim heutigen Betrachter kaum noch Unbehagen, eher Rührung aus. Hinter beidem steckt der seit Albrecht Dürer bekannte Künstlertopos der Selbstimaginierung als Jesus Christus, ob nun als Leidender oder als Erlöser. Maurizio Cattelan, dieser geschickte Verwerter von Inkunabeln (sein knieender Miniatur-Hitler passte diesmal nicht), lieferte prompt das Plakatmotiv: eine an die Wand genagelte Frau im Krankenbett. Die Wachsfigur kommt geradewegs von der Synagoge Stommeln, wo sie an der Außenfassade hing. Wahn und Wirklichkeit der Psychiatrie mögen sich hier zwar erschreckend nahekommen, aber „Spuren des Geistigen“ finden sich darin wohl kaum.

Vielleicht ist es gerade dieses Geraune, das nach einiger Zeit stört. Was als nüchterne Bestandsaufnahme begann, kann in der Bestürmung durch die Masse nicht mehr bestehen. „Das Religiöse liegt im Auge des Betrachters“, hatte Chris Dercon noch absichernd zur Eröffnung gesagt. Doch dann fegt das Geistige auch schon über das Publikum hinweg. Michaux’ Mescalingenuss zur Bewusstseinserweiterung, Francis Bacons brutale Fleischbeschau, Lenbachs „Gestürzter“, gegenüber Kandinskys Farben-Nirwana – statt spiritueller Einheit splittert sich die Kunst in Sekten des Geistigen auf. Für Frömmler eignet sich die Ausstellung jedenfalls nicht. Bazon Brocks Verbotsschild mit den durchgestrichenen betenden Händen gleich zu Beginn braucht es kaum. Sie sind eher ein Gag.

Darüber aber geht die Ausstellung allzu lässig hinweg, über jene Gewalt des vom Menschen instrumentalisierten Gottes. Trotzdem ist sie da, diese Gefahr, als gleitende Finsternis: in Gestalt der gigantischen Gebetsmühle von Huang Yong Ping, deren Schlägel unter der Decke der Haupthalle rotieren und einen bedrohlichen Schatten gleichermaßen über Besucher und Bilder huschen lassen.

Haus der Kunst, München, bis 11. Januar 2009; Katalog (Prestel Verlag) 25 €.

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