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Stillleben in Potsdam-Mittelmark. Arne Schreiber ergänzt seine Bilder um eine aufgesägte Birke.

© Jan Brockhaus, Courtesy Galerie Koal, Berlin

Ausstellung auf Schloss Roskow: Schwere See

Landpartie mit Ausstellung: Die 22. Ausgabe von Rohkunstbau widmet sich der verlorenen Kindheit.

Ein Strahlen geht über das Gesicht des Jungen. Zwei Knetfiguren hält er in die Kamera und erklärt, dass die etwas unförmigen Gebilde Ochse und Katze darstellen sollen. So geht es weiter, ein kleiner Chinese nach dem anderen präsentiert sein Werk – mal lächelnd, mal ernst, immer stolz. Die Arbeiten der Kinder sind nun in einer Ausstellung zu sehen, genauer: in einem sogenannten Mini-Shop, den die Berliner Künstlerin Jia für die 22. Ausgabe des Ausstellungsprojekts Rohkunstbau auf Schloss Roskow in Potsdam-Mittelmark eingerichtet hat. Solche Mini-Shops gibt es in ganz China, dort werden Softdrinks und Süßigkeiten verkauft, ein Himmelreich für Kinder. Auch Jia, die in Peking aufwuchs, machte dort auf dem Heimweg von der Schule immer Halt.

Plötzlich rücken die Mädchen und Jungen des Films, die in der südchinesischen Provinz Sichuan zu Hause sind, dem Besucher nahe. Ihre bunten Objekte lassen sich aus den Regalen nehmen, ebenso ihre Bilder. Man darf die Werke im Tausch gegen eine eigene Gabe behalten. Aber wer hat schon bei seinem Ausflug aufs Land etwas bei der Hand, das eines solchen Wechsels würdig wäre? So bleibt es beim Blickwechsel.

Umso bedrückender breitet sich im Schlosssaal die Atmosphäre einer Kindheit aus, die keine Chance auf Unbeschwertheit, Spiel, Entdeckerfreude kennt, die schon für die Acht-, Neunjährigen verloren ist. Jia entwickelte ihr Projekt zusammen mit sogenannten zurückgelassenen Kindern der Yi-Minderheit, die an der Grenze zu Burma lebt, nahe dem Goldenen Dreieck mit seinen Opiumfeldern. Im China der Wanderarbeiter wachsen 62 Millionen Mädchen und Jungen ohne ihre Eltern auf, da sie per Gesetz nur an ihrem Geburtsort zur Schule gehen dürfen. Die Kinder der Yi trifft es häufig noch schwerer, denn viele Familien sind in den Drogenhandel involviert. Sucht und Kriminalität der Eltern haben viele zu Waisen gemacht.

Rohkunstbau gibt sich in diesem Sommer engagiert. Nicht Richard Wagner oder die Farben der Trikolore liefern wie in den Vorjahren das oft weit gesponnene Thema, sondern jene schwer zu greifende Spanne zwischen Kindheit und Erwachsensein. Als Motto ist der Schau ein Zitat von Kofi Annan, dem früheren Generalsekretär der Vereinten Nationen, vorangestellt: „Nichts ist heiliger als der Schatz, den die Welt mit Kindern besitzt. Nichts ist wichtiger, als sicherzustellen, dass die Rechte von Kindern respektiert werden, dass ihr Wohlergehen garantiert ist, dass sie frei von Angst leben und in Frieden aufwachsen können.“

Von diesem Idealzustand sind nicht nur die Kinder der Yi weit entfernt, sondern auch syrische Flüchtlingskinder. Ihnen widmete Hamid Sulaiman seine Comicserie „Brainwash“. Der syrische Zeichner hat selbst die Erfahrung von Terror und Gewalt gemacht, heute lebt der einstige Chronist des Arabischen Frühlings in Paris. Seine Arbeiten zeigen Kinder, die Waffen tragen, zu Selbstmordattentätern herangezogen werden, Beine und Arme im Krieg verlieren. Sulaiman verdichtet das Drama einer ganzen Generation Heranwachsender, die von einem Terrorregime missbraucht wird. Die im Schloss verteilten Teddybären mit amputierten Gliedmaßen braucht es da nicht mehr, um Beklommenheit zu wecken.

Auf die Vorgeschichte des herrschaftlichen Baus, der zu DDR-Zeiten als Dorfschule diente, wird zwar angespielt, Kinder gab es hier auch. Doch ist Roskow meilenweit von Syrien entfernt, das Schloss bietet in diesem Jahr eine schöne Kulisse, als Resonanzraum taugt es nicht.

„Zwischen den Welten“ hat Kurator Mark Gisbourne seine Ausstellung genannt, womit er jene Phase der Adoleszenz meint, in der noch alles möglich ist. Elf Künstler versuchen diese unbestimmte Zeit mit Film, Malerei, Skulptur zu erfassen. Arne Schreiber hat zwei Fotografien aus Kindertagen an der Ostsee als Siebdruck vergrößert und darüber schwarze Streifen gemalt, sodass die Bilder zu flirren beginnen, die Erinnerung noch unbestimmter wird. Auf der einen Aufnahme springt der kleine Arne ins Meer, auf der anderen verlässt er das Wasser. Die Bedrohlichkeit des Elements lastet auf beiden Bildern, auch evozieren sie das aktuelle Schicksal von Flüchtlingskindern, die sich über das Meer nach Europa zu retten versuchen.

Clemens Krauss bedient sich ebenfalls bei der eigenen Vergangenheit. Der österreichische Künstler unterlegt Videoaufnahmen, die er als Jugendlicher gemacht hat, mit einer kruden Beschreibung familiärer Beziehungen, erwachender Sexualität, der Träume eines Teenagers im Graz der siebziger Jahre. Traumwandlerisch fängt er die sehnsüchtige Stimmung eines Heranwachsenden ein, seine Empfindsamkeit.

Mark Gisbourne gelingt diesmal ein Parcours durch das Haus, der auf stimmige Weise interessante Werke vereint, geschickt bekannte Größen und Neulinge mischt. Der Weg nach Roskow lohnt allemal, und sei es für den anschließenden Sprung in den Dorfsee, um selber in eine ebenso nahe wie ferne Vergangenheit einzutauchen.

Schloss Roskow, Dorfstr. 30, Roskow, Eröffnung 9. Juli, 15 Uhr. Bis 18. September, Sa / So 12 – 18 Uhr.

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