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Georg Tappert malte „Geisha-Revue“ um 1911, die Berliner Galerie Nierendorf stellte das Gemälde damals aus.

© Grisebach / VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Auktionen bei Grisebach: Feuer und Funken

Tolle Ausreißer, aber auch schmerzliche Rückgänge: Die Herbstauktionen bei Grisebach.

Den geflügelten Vulkan zum Tanz malte Georg Tappert in den Jahren unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg gleich mit. Berlin feiert, zeigt sich weltoffen, lustvoll, farbrauschend geradezu. Aber schon auch mit eruptivem Duktus. Im Vordergrund der in jeder Hinsicht expressive Fels, der mächtig ins Bühnengeschehen hineinragt. Dicht darum herum die Revue-Tänzerinnen, weiß geschminkt und in üppig ornamentalen Kostümen als Geishas auftretend. Ob sie im Sinne des japanischen Nabuki-Theaters eher gesittet, neutral oder schon in unruhiger Vorahnung auf dem Vulkan tanzen, lässt der Künstler, den Eberhard Roters einmal „als Rubens des deutschen Expressionismus’“ bezeichnete, in der Schwebe.

Die Geishas sicherte sich ein amerikanisches Museum

Mit einer unteren Bewertung von 350.000 Euro ging das um 1911 entstandene Ölbild ins Rennen, schlussendlich endete es bei einem Hammerpreis von 500 000 Euro. Ein amerikanisches Museum am Telefon von Laura von Bismarck, die das Privatkunden-Segment bei Grisebach betreut, hat sich mit großer Geduld gegen einen ebenfalls aus dem englischsprachigen Raum zugeschalteten Telefonbieter durchgesetzt. Für insgesamt 709.000 Euro geht es nun an die US-amerikanische Ostküste.

Nicht nur ob dieses immer wieder ausgiebig zögerlichen Gegenbieters musste auch Grisebach-Geschäftsführer Markus Krause am Pult Geduld beweisen. Kein leichtes Unterfangen, wenn der Auktionssaal im ebenerdigen Ladenlokal, der mit seiner eher kühlen Atmosphäre ansonsten der zeitgenössischen Kunst vorbehalten ist, schon Corona bedingt sehr überschaubar gefüllt ist. Da fehlen das Flair des einst stets dicht besetzten ersten Stocks in der Villa Grisebach und das Raunen, Hüsteln und Tuscheln des Publikums.

Aber generell wird es im hochpreisigen Segment zunehmend dünn auf dem deutschen Auktionsmarkt. Den höchsten Zuschlag der Abendauktion verbuchte Max Liebermanns „Große Seestrasse in Wannsee mit Spaziergängern“. Ein Privatsammler aus Hessen sicherte sich die wunderschön durchgearbeitete, impressionistische Sonntagszenerie für insgesamt 745 000 Euro zum oberen Schätzpreis.

Rekordpreis für Arnulf Rainer

Für Spannung sorgte ein österreichischer Bieter beim Aufruf der unbetitelten, in kraftvollem Rot übermalten Leinwand von Arnulf Rainer. Ein Frühwerk von 1959, dass außerdem durch seine Marktfrische überzeugt: Einlieferer war eine Berliner Privatsammlung, die die Übermalung einst direkt beim Künstler erwarb. Am Ende hatte Rainers Landsmanns das Nachsehen. Eine Dame im Saal blieb beharrlich, bis der Hammer bei 320.000 Euro – und damit glatt dem Doppelten der oberen Taxe – fiel. Mit summa summarum 400.000 Euro geht die Übermalung nun in eine Sammlung in Norddeutschland, die damit einen weltweiten Rekordpreis für den Österreicher markiert.

Durchaus umkämpft war kurz zuvor auch die neusachliche „Kreuztragung“ von Albert Birkle aus dem Jahre 1924. Der Schmerzensmann als voyeuristisches Objekt mitten auf der abendlichen Friedrichstraße. Umringt von allerlei Halbweltgestalten, von zynischen Damen angestarrt oder von grünhäutigen Gesichtern, maskenhaft und gleichgültig fixiert. Am Rande des Geschehens will ein Priester händeringend Einhalt gebieten. Doch nicht einmal die berittene Polizei vermag die Meute zu stoppen. Will es vielleicht nicht einmal. Das psychologisch eindringliche, panoramaartige Gemälde sicherte sich ein amerikanischer Privatsammler, der erst einstieg, als die obere Erwartung bereits übertroffen war, für 275.000 Euro inklusive Aufgeld.

Ebenfalls in die USA geht Hans Grundigs „Mädchen mit Rosa Hut“. Nachdem Grisebach im vergangenen Juli mit 462.500 Euro einen Rekordpreis für den Dresdener Maler eingespielt hatte, war das Frühwerk nun mit einem Minimum von 100 000 Euro bewertet, erzielte letztlich aber souveräne 347.500 Euro. Bei den weiteren Vertretern der Neuen Sachlichkeit reüssierte außerdem Rudolf Schlichters skurriles Porträt seiner Frau „Speedy als Madonna“, für das ein niedersächsischer Sammler am Telefon insgesamt 262.500 Euro gewährte.

Durchwachsen fällt das Resümee der Ausgewählten Werke aus. Zwar konnte das Gros der insgesamt 57 Los-Nummern meist im Rahmen der Erwartung verkauft werden, gleichzeitig aber musste das Auktionshaus Rückgänge von Lyonel Feininger, Max Ernst oder Alexej von Jawlensky im höheren sechsstelligen Bereich verbuchen. Einmal mehr fehlten bedeutende Werke der klassischen Moderne. Da sorgt dann immerhin eine Studie von René Magritte für Aufsehen. Die kleine Gouache auf Papier „Le domaine enchanté“ ist typisch für den belgischen Surrealisten und konnte einen US-Sammler überzeugen, der inklusive Aufgeld 500 000 Euro bewilligte.

Bilder von Oehlen und Havekost überzeugten nicht

Unter den Zeitgenossen ging Karin Kneffels hyperrealistisch gemalter, fast zweieinhalb Quadratmeter großer Pasta-Teller, der rund zwei Jahrzehnte über dem Esstisch des Salzburger Kunsthändlers Thomas von Salis hing – zur unteren Schätzung und für 125.000 Euro an eine norddeutsche Privatsammlung. Zwei fast transparent aquarellierte Aktfiguren der südafrikanischen Künstlerin Marlene Dumas, über die ihr niederländischer Kollege Bert Boogaard schnittmusterartige Ornamente gemalt hat, blieben jedoch ebenso liegen blieben wie die Bilder von Albert Oehlen oder Eberhard Havekost. Auch das Experiment, edle Meissner Porzellane in die Abendauktion zu einzustreuen, fand – trotz königlicher Provenienz eines Flötenkastens Friedrichs des Großen – keinen Zuspruch.

„Es gab erfreuliche Einzelergebnisse“, resümiert Micaela Kapitzky, Geschäftsführerin von Grisebach, „und in der Sparte 19. Jahrhundert konnten diverse Museen aus Deutschland, Frankreich und Polen mitsteigern." Dort konnte am Tag zuvor Carl Gustav Carus’ „Schiffsmühle auf der Elbe bei Dresden“ seine Position als Spitzenlos behaupten. Leicht oberhalb der unteren Taxe geht das romantische Gemälde zurück an seinen Entstehungsort, in eine sächsische Privatsammlung, die beim Hammerpreis von 110.000 Euro zuschlug. Eine Gesamtquote von knapp 50 Prozent machen jedoch auch diverse Ausreißer – unter anderem André Giroux oder Théodore Gudin, die von 3000 respektive 6000 Euro auf 22.500 und 28.750 Euro kletterten – nicht wett.

Einen Erlös von rund 500.000 Euro brachte die Fotografie-Sparte, allerdings kommen viele Fotografen der Gegenwart, unter anderem Thomas Demand oder Ricarda Roggan, bei der Auktion mit zeitgenössischer Kunst zum Aufruf. Insgesamt konnten die ersten drei von insgesamt sechs Versteigerungen 8,6 Millionen Euro verbuchen. Bis zu den im Vorfeld geschätzten 15,5 Millionen verbleibt eine gehörige Strecke, auf der über 500 Lose das Prinzip Hoffnung anfachen.

Villa Grisebach, Fasanenstr. 25, 27 & 73. Third Floor: 18. Dezember, www.grisebach.com

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