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Es klingt nach Zukunft. Das Artemis Quartett in aktueller Besetzung.

© Felix Broede

Auftakt mit neuer Besetzung: Artemis Quartett: Das Ich und das Wir

Stabübergabe im Kammermusiksaal: Das Artemis Quartett spielt mit neuer Besetzung. Die Temperamente unterscheiden sich - doch am Ende finden sie zueinander.

Bei der Zugabe finden sie sich. Der Bratscher Gregor Sigl, jetzt der Dienstälteste im Artemis Quartett, hatte von der Kompromisslosigkeit bei der Suche nach zwei neuen Ensemblemitgliedern berichtet, von der Angst vor eigenen Courage und der Sehnsucht, die sie dann teilten. Die alten und die neuen Artemisten, sie eint das Unbehagen über das Tempo der Gegenwart. Und sie stellen tatsächlich die Zeit still, im Andantino aus Debussys Streichquartett g-Moll. Das kurze Ganzton-Thema, doucement expressif, wird zur Geste der Kontaktaufnahme, behutsam gibt man einander die Töne weiter, es ist ein Sinnieren und Nachhorchen, mit verhaltenem Vibrato und großer innerer Spannung. Mit einem Mal sind sie eins, bis zum diffundierenden Schluss, der von der Zerbrechlichkeit jedweder Wahrheit kündet. Eine Meditation auch in eigener Sache.

Die künftig alternierenden Geigerinnen Suyoen Kim und Vineta Sareika, Gregor Sigls Viola und das Cello von Harriet Krijgh, die das letzte Artemis-Gründungsmitglied Eckart Runge ersetzt, sie bringen die scheuen Melodien zum Schwingen und Schweben. Sie feilen an einer Emotion, die nie ins Beliebige driftet, sie plädieren für die Kunst des Zuhörens. Und plötzlich klingt es nach Zukunft. Nicht nach einer Fortsetzung von Artemis mit seinem legendären Ringen um Verbindlichkeit und den geistigen Kern der Musik, sondern nach einem anderen, weniger nach Vollkommenheit als nach wechselseitiger Aufmerksamkeit strebenden Quartett.

Bekenntnis zum persönlichen Ton

Dabei hatte das Stabübergabe-Konzert im Kammermusiksaal der Philharmonie eher enttäuschend begonnen, mit zu viel Druck auf dem Kessel und pastosem Legato im ohnehin dicht-verschliffenen Gefüge von Johannes Brahms’ Streichsextett B-Dur op. 18 (im Programmheft war fälschlich op. 36 in G-Dur angegeben). Die scheidenden Artemisten, Runge und die Bratscherin Anthea Kreston, begnügten sich ohnehin mit den begleitenden Parts; ein Vorher-nachher-Vergleich erübrigte sich. Zudem harmonierten Runges Gelassenheit und die souveräne Ruhe von Sareikas zweiter Geige nicht recht mit der Unruhe der „Neuen“, vor allem nicht mit Harriet Krijghs Neigung zur nervösen Expressivität. Der satte, fast übersatte Klang des Werks bräuchte mehr Struktur.

Ein wenig entschädigt dafür der derbe, fast wütende Volkston im Variationssatz – und erst recht Alban Bergs Klaviersonate op. 1 in der Sextett-Bearbeitung von Heime Müller. Beseelte Gesänge steigen aus dem Dickicht des Satzgefüges empor – eine schöne Hommage an die eigene Geschichte: Müller gehörte 16 Jahre zu Artemis, als Geiger bis 2007.

Schön auch, dass ausgerechnet „Veteran“ Sigl dann den ersten Auftritt in der neuen Formation anführt, mit dem schicksalhaft sich aufbäumenden ersten Thema von Smetanas Streichquartett Nr. 1 „Aus meinem Leben“. Die Verschiedenheit der Temperamente lässt sich zwar wieder nicht leugnen, und dem Cello fehlt mitunter die Durchsetzungskraft. Aber die Geigen betören mit zunehmend symbiotischem Spiel; die Polka-Rhythmen leben vom Mut zum Vulgären; der Witz und die Koketterie von Smetanas autobiografischem Programm sind unüberhörbar. Bis hin zum schrillen Tinnitus, unter dem der Komponist auch im echten Leben litt. Eine Art Identitätspolitik: Das Artemis Quartett bekennt sich zum Ich-Sagen, zum persönlichen Ton.

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