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AUFGESCHLAGEN - Zugeschlagen: Stammelnde Schafe

Lesen oder nicht lesen? Der Literaturkritiker Denis Scheck bespricht die aktuelle "Spiegel"-Bestsellerliste Belletristik.

Denis Scheck, Literaturredakteur beim Deutschlandfunk, bespricht einmal monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch – parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“. Ausnahmsweise erscheint diese Kolumne schon sonnabends. Die nächste Sendung nach der Sommerpause ist am 29. August.



10) Henning Mankell: Der Feind im Schatten (Deutsch von Wolfgang Butt, Zsolnay, 591 Seiten, 26 €)

Auch Mankells zehnter und vermutlich letzter Wallander-Krimi bezieht seinen beträchtlichen Reiz aus der niederschmetternden Aussichtslosigkeit des Kampfs seines Helden: Wallander steht für die Sehnsucht nach Heimat in der globalisierten Welt, das Beharren auf Individualität in der vermassten Gesellschaft, den aussichtslosen Widerstand gegen die alles zermalmende Zeit. Wer fragt da schon groß nach der Plausibilität einer Krimihandlung um U-Boot-Spionage und das Erbe des Kalten Krieges?

9) Paul Auster: Unsichtbar (Deutsch von Werner Schmitz, Rowohlt, 316 S., 19,95 €)

Paul Auster in Hochform: Der große Brückenbrauer zwischen der US-amerikanischen und der europäischen Literatur hat einen genial konstruierten Roman geschrieben über Geld und Kunst, Liebe, Verbrechen und Moral. Auster erzählt Philosophie als Thriller, in diesem Fall die Geschichte eines amerikanischen Faust, der sich von einem europäischen Teufel verführen lässt. „Was, wenn sein Doppelleben kein Doppelleben, sondern ein Dreifachleben ist?“, fragt eine Figur am Ende – doch so einfach geht es dank Paul Austers souveräner Erzählkunst in diesem Buch zum Glück nicht zu.

8) Sebastian Fitzek: Der Augensammler (Droemer Verlag, 442 Seiten, 16,95 €)

Auf der ersten bzw. letzten Seite dieses rückwärts erzählten, aber vorwärts wie rückwärts gleich dummen deutschen Gewaltpornos steht: „Ein Ratschlag, den ich Ihnen jetzt schon geben möchte: Lesen Sie nicht weiter!“ Diesem Ratschlag schließe ich mich gerne an.

7) Cecilia Ahern: Ich schreib dir morgen wieder (Deutsch von Christine Strüh, Krüger Verlag, 366 Seiten, 16,95 €)

„Liebes Tagebuch, ich hasse mein Leben. Kurz gesagt ist es Folgendes: Mein Dad hat sich umgebracht, wir haben unser Haus und überhaupt alles verloren, ich mein ganzes Leben, Mum ihren Verstand, und jetzt wohnen wir bei zwei Soziopathen im hinterletzten Kaff.“ Wäre dies der Beginn des neuen Romans der irischen Autorin Cecilia Ahern, es wäre ihr erster guter. Leider aber steht diese Eintragung in einem magischen Tagebuch auf Seite 128 von „Ich schreib dir morgen wieder“, und alles in diesen wenigen Sätzen Zusammengefasste wurde zuvor genauso haarklein und vorhersehbar auserzählt wie der Rest dieser Schmonzette um eine 16-jährige Waise, die auf dem platten Land von mildtätigen Nonnen in die wahren Werte ewiger Herzensbildung eingeführt wird.

6) Jilliane Hoffman: Mädchenfänger (Deutsch von Sophie Zeitz, Rowohlt Verlag, 461 Seiten, 19,95 €)

Eine verschwundene 13-Jährige, ein Ermittler, dessen Tochter Kathy ebenfalls vermisst wird, ein psychopathischer Serienkiller, der seine Opfer in Öl malt – mindestens so abstoßend wie die geschilderten Verbrechen ist Jilliane Hoffmans moralische Selbstgerechtigkeit in diesem müden Routinekrimi und ihre alberne pauschale Verdammung des „großen bösen Internet“. Wes Geistes Kind dieser Roman ist, offenbart sich in Dialogpassagen wie: „Ich glaube, die Verletzung wurde gnädigerweise post mortem zugefügt – das heißt, nachdem sie tot war.“

5) Stephenie Meyer: Bis zum Ende der Nacht (Deutsch von Sylke Hachmeister, Carlsen, 788 Seiten, 24,90 €)

Gegen die aufgeblähten Schmachtfetzen der Mormonin aus Arizona helfen scheinbar weder Knoblauch noch Weihwasser oder Silberkugeln. Die Gesamtauflage von Meyers bislang vier Romanen um die prüde Schöne Bella Swan und den höflichen Vampir Edward Cullen beträgt über hundert Millionen Exemplare. Doch erfahrene literaturkritische Exorzisten wissen: Lautes Vorlesen enttarnt den adjektivüberladenen Stammelstil Meyers, ihre totale Unfähigkeit zum Malen von Stimmungen ebenso wie ihr Unvermögen, abstrakte Gedanken darzustellen. Zurück bleibt nur ein von Lachtränen benetztes jämmerliches Häufchen Asche.

4) Leonie Swann: Garou (Goldmann Verlag, 415 Seiten, 19,95 €)

Zugegeben: Ich war wild entschlossen, diese Fortsetzung des brillanten Schafkrimis „Glenkill“ unnötig, doof und kommerziell abgeschmackt zu finden, einfach weil Fortsetzungen zu brillanten Krimis immer unnötig, doof und kommerziell abgeschmackt sind. Aber schneller, als ich „Niedlich!“ sagen konnte, hat dieses französische Abenteuer der irischen Schafe um einen „loup garou“ mein Leserherz gewonnen. Werde ich am Ende einfach zu weich?

3) Jussi Adler-Olssen: Erbarmen (Deutsch von Hannes Thiess, dtv, 419 S., 14,90 €)

Der erste Fall von Vizekriminalkommissar Carl Mørck und seines syrischen Assistenten Hafez el-Assad um eine vor fünf Jahren verschwundene dänische Politikerin bietet mäßig spannende skandinavische Krimikonfektion.

2) Stephenie Meyer: Biss zum ersten Sonnenstrahl (Deutsch von Katharina Diestelmeier, Carlsen Verlag, 205 S., 15,90 €)

In diesem mit 200 Seiten für Meyer’sche Verhältnisse Winzling von einem Buch greift die Autorin eine Nebenfigur auf, die einen kleinen Auftritt im dritten Band von Meyers Blut-und-Hoden-Story hatte: die 15-jährige Bree Tanner. Bree ist die klassische „damsel in distress“, eine Jungfrau in Bedrängnis, die im Hochzeitskleid Kohlen schippen könnte, ohne dass auch nur ein Stäubchen ihre Makellosigkeit beeinträchtigen würde. Offenbar plagte Stephenie Meyer das schlechte Gewissen, wie lieblos sie diese Figur über die Klinge springen ließ. Doch in dem Versuch, poetische Gerechtigkeit herzustellen, verschlimmbessert Meyer alles. Dieser Roman trieft vor Moral, deren besondere Perfidie gerade darin besteht, dass sie einen Sinn unterstellen muss für einen sinnlosen Tod.

1) Tommy Jaud: Hummeldumm (Argon Verlag, 320 Seiten, 13,95 €)

Ein öder Roman über einen Urlaub in Afrika und eine Wohnung in Köln. Prosa, verfasst in reinstem Krakeel, stets schielend auf den nächstliegenden Witz, dazu angetan, Depressionen auszulösen.

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