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Kultur: Auf den Hintergrund kommt es an

Nur echtes Licht: Die Galerie c/o Berlin zeigt Künstlerporträts der Fotografin Barbara Klemm

Sie steht schräg vor Janis Joplin, Bob Dylan und Madonna. Nie sah Janis Joplin mehr nach sich selbst aus. Und Dylan auch nicht. Und Madonna erst! Die hat doch sonst nie Ähnlichkeit mit sich. Barbara Klemm hat sie alle fotografiert. Das mit Janis ist schon etwas länger her. Aber jetzt wird sie fotografiert, die Fotografin. Barbara Klemm tut so, als wäre nichts normaler. Man hätte sie sich anders vorgestellt. Massiver. Schließlich hängen an so einer Fotofrau immerzu große Gewichte. Kameras, Objektive, Stative. Sie ist eher schmal. Sie hat ein sehr feines Gesicht, es könnte leiseste Ironien abbilden – aber da ist nichts. Kein abschätziges Taxieren des Kollegen. Kein Zeichen von Überlegenheit der Meisterfotografin. Kleinere Künstler würden nicht darauf verzichten. Barbara Klemm macht alles, was der Fotograf von ihr möchte. Jetzt sieht sie schon fast aus wie Thomas Bernhard hinter ihr. Rein von der Körperhaltung her gesehen. Sie muss wirklich eine große Künstlerin sein.

Vor Thomas Bernhard hat sie ein wenig Angst gehabt. Was, wenn der nun redet wie in seinen Büchern? Und dann war er so ein sanftes, folgsames Motiv. Nein, folgsam ist falsch. Barbara Klemm würde ja nie sagen: linkes Bein nach vorn. Kopf mehr schräg. Oder, los Bernhard, einmal durchs Zimmer laufen! Das geht nicht, findet sie, wegen der Authentizität.

Wenn einer nicht von selbst durchs Zimmer läuft und dabei den Kopf schräg hält, dann, glaubt die Fotografin, gehört das einfach nicht zu seinem Wesen. Es wäre eine Fehlinterpretation. Botho Strauß zum Beispiel würde das nie machen. Botho Strauß hängt gleich neben Bernhard. Der Konkurrenz-Dramatiker sitzt picobello aufgeräumt an seinem picobello aufgeräumten ziemlich antiken Sekretär mit Kontorleuchte drauf, fast nichts Geschriebenes vor sich (das signalisiert: Hab’ ich nicht nötig! Hab’ ich alles im Kopf!) und schaut in Richtung Fotografin. Das heißt, er sitzt gar nicht, er thront. Und man denkt, was man bei den meisten Klemmschen Künstlerporträts denkt: Das ist er, genau das ist er! Und dann denkt man noch: Wie macht die das?

Denn der Strauß zum Beispiel ist doch nicht eigentlich ein gutes Bild. Vielleicht würde es an der Fotografenschule glatt durchfallen. In der Mitte des großen Fotos sind zwei große Fenster, darunter sind zwei Zentralheizkörper in Rippenoptik. Die Rippenoptik-Heizkörper bilden ohne Frage das Zentrum des ganzen Strauß-Fotos. Und dann ist da noch, rechts in der Ecke der Dramatiker. Ein wenig böse ist das schon. Genau wie Beuys charlie-chaplin-klein neben seinen riesigen Sandhaufen, Schienen und anderem Industrie-Schrott. Oder Andy Warhol vor dem in Italien flegelnden Tischbein-Goethe. Warhol vor riesigem Goethehintergrund – so etwas hätte Bernhard einfallen können, oder Heiner Müller. Aber doch nicht ihr. Barbara Klemm steht noch immer Modell für den Fotografen. Sie sieht wirklich nicht aus wie Müller oder Bernhard.

Der Fotograf hat einen Schirm aufgebaut, blödes Licht hier, Barbara Klemm blickt ihn verständnisvoll an. Wer ist sie, die Lichtschirme fremder Fotografen zu kritisieren? Sie würde nie den Schirm nehmen. Nur „echtes“ Licht. Und wenn fast kein Licht da ist, nimmt sie eben fast kein Licht. Dass das geht, hat schon viele erstaunt. Sie selbst am meisten. Mit Eigentlich-kein-Licht hat sie auch angefangen.

Sie war das Mädchen aus dem „FAZ“-Fotolabor, fast zehn Jahre lang. So eine, die nie richtig herauskommt aus der Dunkelkammer. Nur wenn die Kollegen keine Zeit hatten oder keine Lust, durfte sie mal fotografieren gehen. Das war Ende der Sechziger. Manchmal nahm sie auch Termine wahr, die es gar nicht gab. So stand sie eines Tages mit einem Foto in der Redaktion, darauf war eine Kinoleinwand. Auf der Kinoleinwand lief ein Andy-Warhol-Film, und an der Leinwand klebten Eierschalen, der Inhalt des Eis lief die Leinwand herunter, streng Richtung Erdmittelpunkt. Dem Publikum hatte irgendetwas an den Filmen missfallen. Kein anderer hätte dieses Foto „Ei auf Warhol“ machen können. Schon weil niemand vom „FAZ“-Feuilleton sich solche Filme angetan hätte. Und außerdem, weil es dunkel war im Kino. Trotzdem wurde es ein Bild. Die „FAZ“ war beeindruckt. Das war sie noch öfter. Sie stellte die Irgendwie-’68erin ein. Vielleicht dachte sie, das ’68erhafte gibt sich mit der Zeit, schon mit dem Erwachsenwerden, und schickte sie erstmal zur Bewährung nach Polen.

Barbara Klemm sitzt jetzt auf einem roten Plastikstuhl vor ihren Fotos. Eine Linke in der „FAZ“. Sie dachte ja auch, dass sich das gibt, dass sie die „FAZ“-Kommentare nicht gut findet. Aber eins musste sie den Konservativen lassen: Sie erkennen Qualität. Sie haben sie erkannt. Das würde Barbara Klemm natürlich nie sagen. Nie! Aber sie weiß es.

Eine Frau als Fotoreporterin. Eine der berühmtesten des Landes. Denn nicht als Künstler-Porträtistin, sondern als Reportage-Fotografin ist sie bekannt geworden. Fast keiner hat geglaubt, dass eine Frau das kann. Schon weil ein Fotoreporter vollbehangen mit Ausrüstung zwischen hundert anderen Fotoreportern steht, aber trotzdem in der ersten Reihe ankommen muss. Manchmal hat ihr das Frau-Sein auch Vorteile gebracht. Man wird eher an Orten geduldet, an denen man nichts zu suchen hat. Etwa in einem Raum mit Breschnew und Brandt 1973 – beim ersten Besuch eines sowjetischen Staatschefs in der Bundesrepublik. Honecker hatte sie auch mal aus Versehen im Auto mitgenommen: „Ach, lass doch das Mädchen mitfahren!“

Porträts sind etwas Anderes. Sie ist allein mit einem Fremden, den sie gleich fotografieren wird. Und der soll nicht sie sehen und ihre Kamera. Er soll sich selber sehen. Da muss man den Anderen ganz weit machen. Man spürt, sie gehört zu den wenigen Menschen, die das können. Es ist fast immer viel Umgebung auf ihren Fotos. Weil ein Mensch ohne Umgebung eine Lüge ist. Und weil manchmal die Umgebung die Wahrheit über den Menschen ist.

Es gibt einen wunderbaren neuen großen Bildband von ihr, da ist hinten ganz sicher ein Autorenfoto. Ist es nicht. Weil es das gültige Barbara-Klemm-Foto noch nicht gibt? Vielleicht müsste es sie beim Fotografiertwerden zeigen. So bestimmt und so leicht zugleich, wie sie vor der fremden Kamera steht. Die Frau im Focus ihres Berufs. Es wäre viel Umgebung auf dem Foto. Genau wie auf ihren Porträts.

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