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Kultur: Auch Augen können hören

Der NBK zeigt Fotografien von Jens Ziehe und einen Film über den Ursprung des Geldes.

Franz Ackermann als Messias, Dan Graham ein introvertierter Alter und Karin Sander? Was erzählt eine Künstlerin, die sich eine Brille mit orangefarbenen Gläsern auf die Nase setzt, um den Fotografen dann doch über die Fassung hinweg anzuschauen? Man bleibt ohne Antwort, wird aber im Kabinett des Neuen Berliner Kunstvereins (NBK) immer wieder auf diese Frage zurückgeworfen.

Das Gesicht als Spiegel ist ein undankbarer Topos – zu abgenutzt und im Überfluss der Bilder auch anachronistisch. Doch dann kommt Jens Ziehe und zwingt einen zu der Erkenntnis, dass er die Porträts seiner renommierten Modelle sehr wohl zur Reflexionsfläche machen kann. Nicht für die Seele allerdings, die klassischerweise dafür herhalten muss. Sondern für das, was der Berliner Fotograf in der Arbeit der Künstler zu entdecken vermag.

Seit über zwei Jahrzehnten begleitet der Absolvent des Lette-Vereins nun den hauptstädtischen Kulturbetrieb. Sein Name steht ebenso unter Installationsansichten aus dem Hamburger Bahnhof wie aus der Sammlung Hoffmann oder der Deutschen Guggenheim. Frühe Aufnahmen zeigen Junggaleristen wie Burkhard Riemschneider und Tim Neuger in den Neunzigern oder Zitty-Redakteur Marius Babias, der nun NBK-Direktor ist und den Ball zurückspielt: In seiner ersten institutionellen Ausstellung „Künstlerporträts 1992-2012“ wechselt Ziehe vom Chronisten zum autonomen Fotografen. Was zuvor schon seine Aufnahmen kennzeichnete, tritt bloß noch ein bisschen präziser hervor: Das Porträt ist immer auch Kommentar.

So scheint sich im Gesicht von Olafur Eliasson die ganze Glätte und Perfektion seiner Installationen zu spiegeln. Jedenfalls wenn man es mit dem von Hartmut Bitomsky vergleicht, das unmittelbar nebenan hängt und dramatisch ausgeleuchtet ist. Der Maler Armin Boehm geht mit den Verletzungen – und der Verletzlichkeit – seines Körpers offensiv um, während die Augen von Thomas Scheibitz so intensiv leuchten, als verberge sich dahinter noch ein Universum.

Mike Nelson nimmt in der von ihm errichteten Installation nicht im Scheinwerferlicht Platz. Stattdessen sitzt der britische Künstler im Halbschatten und erzählt auf diese Weise noch einmal etwas über seine nach der Ausstellung zerstörte Arbeit: Als sie im Herbst 2012 für ein paar Wochen in einem alten Varieté in Berlin-Mitte stand, fanden sich die Ausstellungsbesucher bei der Erkundung des Hauses unversehens unter dem Spot und damit auf der Bühne wieder. Bei den Frauenbildnissen im Kabinett – Friederike Feldmann, Monica Bonvicini, Sinta Werner oder Valèrie Favre – macht Ziehe schließlich jede Linie sichtbar, die sich als Spur in die Haut gezeichnet hat. Man kann vieles darin lesen, stellt sich die Künstlerinnen aber immer wieder beim konzentrierten Arbeiten im Atelier vor. Einzig Dan Graham, der sich entkoppelt von seinem Werk nur selten abbilden lässt, darf sich entziehen: Der amerikanische Avantgarde-Künstler nimmt statt des Betrachters den Fußboden ins Visier.

Zu den 16 Porträts gesellt sich im Vorraum zum Kabinett eine Diashow, die deutlich macht, weshalb Babius in naher Zeit ein Buch mit Jens Ziehe veröffentlichen möchte: Berlins Kunst-Geschichte ist von der Genese seiner fotografischen Arbeit kaum zu trennen.

Wie weit entfernt scheint dagegen erst einmal das Thema des aufwendigen Videofilms „Ultimate Substance“ (2012) im Erdgeschoss des Kunstvereins. Geografisch, weil Anja Kirschner und David Panos in Griechenland gedreht haben. Und zeitlich, weil es um den Beginn des Münzwesens geht, das seinen Ursprung – ausgerechnet – im antiken Griechenland hat.

Doch Kirschner und Panos richten in ihren erzählerischen Untersuchungen den Blick immer wieder auf historische Ereignisse, die bis heute Wirkung zeigen. Denn um den (virtuellen) Wert des Geldes festzulegen und eine Währung zum verbindlichen Zahlungsmittel zu erklären, mussten sich die Griechen von der sinnlich erfahrbaren Welt auf ein abstraktes Niveau begeben. Als Konsequenz fielen bald auch die Götter mit ihren menschlichen Zügen. An ihre Stelle trat der Logos und in seinem Gefolge der Glaube, dass sich alles erklären und berechnen lässt. Für diese „erste durchgehend monetarisierte Gesellschaft“ vollzieht der Ausstellungskatalog anschaulich die Veränderungen nach, denen sich sukzessive die kosmologische Vorstellungswelt der Griechen unterzog.

„Ultimate Substance“ macht sich parallel dazu mit filmischen Mitteln auf den Weg und findet starke, dichte Bilder für den Paradigmenwechsel. Mit absichtsvoll ästhetischen Szenen locken die zeitgenössischen Künstler nach Lavreotiki, wo einst Sklaven in einem Bergwerk nach Silber schürfen mussten, das anschließend zu Münzen geprägt wurde. Man sieht Körper bei der Arbeit und wird im nächsten Augenblick ins Numismatische Museum von Athen befördert, wo die antiken Geldschätze geschützt unter Glas liegen. Dazwischen schwenken nackte Arme Steinbrocken mit Silberadern, unterbrochen von harten Schnitten, nach denen sich wiederum nackte Torsi verrenken oder kurze Sequenzen den aktuellen Zustand Griechenlands vorführen.

Ökonomische Prozesse machen solche filmischen Montagen zwar nicht transparent. Dafür wird in der gut 30-minütigen Arbeit jedoch deutlich, wie sehr die eigene Perspektive und damit das Verständnis für Zusammenhänge von der europäischen Geschichte geprägt ist. Kirschner und Panos ziehen dem reinen Abstraktionsvermögen die opulenten, dabei perfekt komponierten Bilder vor. Sie proben den abrupten Wechsel von Situationen, beschwören den Bruch mit linearen Erklärungsmodellen und setzen auf die Suggestivkraft sinnlicher Wahrnehmung. Den Verstand soll das keineswegs ausblenden. Aber doch eine Idee davon vermitteln, dass man sehr wohl auch mit den Augen hören kann. Christiane Meixner

Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestr. 128/129. Kirschner & Panos: bis 27. 1., Jens Ziehe: bis 25. 1., jeweils Di–So 12–18 Uhr, Do 12–20 Uhr

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